Unterschiedliche Lesarten
Die Energie- und Klimawochenschau: Von extremen Sommern, unrealistischen Energieszenarien und dänischen Freisprüchen
Nicht nur weltweit jagte im ausklingenden Sommer ein Extrem das nächste, auch hierzulande hatte die warme Jahreszeit einiges zu bieten: Schafskälte im Juni, Sauna-Fahrten im ICE, Hochwasser in Sachsen, Tornados an Nord- und Ostsee, neue Hitzerekorde im Juli und Rekordniederschläge im August.
Der Deutsche Wetterdienst hat dieser Tage Bilanz gezogen: Demnach war der Sommer insgesamt, übers ganze Land und alle drei Sommermonate gemittelt, um 1,5 Grad zu warm, womit er auf Platz zehn der Rangfolge seit 1881 landete. Im Juni sah es allerdings gar nicht nach Wärmerekorden aus, denn es ging zunächst einmal mit einer Schafskälte los. Die kältesten Nächte wurden zwischen dem 14. und 22. Juni registriert. Am 22. Juni sank in Bad Königshofen das Thermometer auf 0,9 Grad Celsius. Hier und da gab es Mitte Juni sogar leichten Bodenfrost (die üblichen Temperaturangaben beziehen sich auf Messungen in zwei Metern Höhe über dem Erdboden). Nach der Kälte folgte im Juli die große Hitzewelle. An einigen Orten kletterte das Thermometer zeitweise auf etwas über 38 Grad Celsius, und es stellte sich heraus, dass bei der Bundesbahn niemand auf einen warmen Sommer vorbereitet war.
Auch der August war übrigens, anders als man meinen könnte, überdurchschnittlich warm, allerdings mit 0,2 Grad Abweichung nur minimal. Dafür waren die oft sehr starken Gewitter rekordverdächtig. Mit etwas mehr als dem Doppelten des langjährigen Mittelwertes liegt der niederschlagsreichste August seit 1881 hinter uns.
Seit diesem Jahr verfügt der DWD über flächendeckende Wetterbeobachtungen. Aktuell fließen die Messwerte von rund 2.300 Stationen in seine Auswertungen ein. Bemerkenswert ist auch der Abstand zur Nummer zwei auf der Rangliste der Augustniederschläge. Dieses Jahr fielen 157 Liter pro Quadratmeter, im August 1960 waren es 134 Liter und normal wären 77 Liter. Hamburg machte übrigens mit der geringsten Zahl von Sonnenstunden (127 Stunden im August) mal wieder seinem Namen als deutsche Schlechtwetter-Metropole alle Ehre.
Good cop bad cop
Und dann sind die Hanseaten auch noch mit einem einst linken Grünen Landesverband geschlagen, der nichts dabei findet, Kohlekraftwerke zu bauen und nun auch noch die Koalition mit CDU-Hardlinern fortsetzen will. Aber auch im eher sonnenverwöhnten Berlin kann man viel schlechte Politik machen, wie am Wochenende einmal mehr Bundeskanzlerin Angela Merkel bewies. Die Atomkraftwerke sollen zehn bis fünfzehn Jahre länger laufen, ließ sie nach einem Blick in ein von der Regierung bestelltes Gutachten wissen.
Allerdings kann man dieses Gutachten sehr unterschiedlich lesen und entsprechend machte die Bundesregierung aus seiner Interpretation ein Good-cop-bad-cop-Spiel. Die bad cops mimten in diesem Fall die Kanzlerin, ihr Vize Westerwelle und natürlich Wirtschaftsminister Brüderle, die sich hemmungslos für die Sache der Atomwirtschaft ins Zeug legten. Umweltminister Röttgen durfte hingegen den good cop geben und ein bisschen mit dem schwarz-grünen Fähnchen winken. Eine bessere Absicherung gegen Flugzeugabstürze müsse her und außerdem habe das Gutachten nur einen marginalen Einfluss verlängerter Laufzeiten auf Strompreise und Klimaschutzziele ergeben.
Das wäre immerhin doppelt bemerkenswert, denn die Grundannahmen, die den durchgerechneten Szenarien zugrunde lagen, hätten für die AKW-Betreiber günstiger kaum sein können. So gingen die Gutachter davon aus, dass die von den erneuerbaren Energieträgern zur Verfügung gestellte Strommenge bis 2050 gegenüber 2008 nur um das 3,5-Fache wachsen wird. Offensichtlich entspricht das angesichts der derzeitigen Zuwachsraten eher dem Wunschdenken der Energiekonzerne, als den Realitäten. Branchenverbände gehen eher davon aus, dass dieser Wert schon 2020 erreicht werden kann. Für 2050 haben inzwischen diverse Studien gezeigt, dass bis dahin eine Vollversorgung durch Wind & Co. möglich ist.
Interessant ist allerdings, dass die Autoren auch durchblicken lassen, wie ihre Auftragsgeber – einer der beteiligten Experten sitzt auf einem von der Energiewirtschaft finanzierten Lehrstuhl – sich das Ausbremsen der Erneuerbaren vorstellen: Das EEG gilt nur noch bis 2020, danach gehen alle Szenarien von einer EU-weit harmonisierten Förderung aus, die technisch unspezifisch ist. Dann würden, so die Annahme, die verschiedenen Technologien in einen Wettbewerb miteinander treten und die kostengünstigste einen Vorteil haben. Notwendig sei dafür unter anderem ein Ausbau eines europäischen Versorgungsnetzes. Den Autoren schwebt ein kontinentaler Wettbewerb der günstigsten Standorte vor (Seite 105). Gezielte Klimaschutzpolitik im Stromsektor ist für die Autoren offensichtlich nicht wünschenswert und floss daher in keinem der Szenarien ein.
Oder höchstens in ihrer höchst umstrittenen Form, der CO2-Abtrennung und Einlagerung, der sogenannten CCS-Technologie. Bis 2025 könne die Technik marktreif sein, so eine weitere Grundannahme der Gutachter. Bisher hatte es immer geheißen, 2020 sei es soweit. Die Autoren weisen allerdings daraufhin, dass ihre ökonomische und technische Machbarkeit noch keineswegs erwiesen sei. Dennoch rechnen sie für 2050 mit CCS-bestückten Kohlekraftwerken mit einer Kapazität von zehn bis 12 Gigawatt. Das entspricht 12 bis 15 Großanlagen.
Zu den Grundannahmen der Szenarien gehört weiter, "dass CCS-Kraftwerksprojekte sowie Pipelinebau und CO2-Speicherung nicht durch fehlende öffentliche Akzeptanz gefährdet oder verhindert werden". Das ist jedoch angesichts der vehementen Proteste in den potenziell betroffenen Gebieten in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Brandenburg mehr als unwahrscheinlich. Zur Zeit wird in den betroffenen Regionen mit zahlreichen Aktionen gegen das geplante CCS-Gesetz (siehe Die unterirdische Lagerung von CO2 soll erprobt werden) mobil gemacht. Am kommenden Samstag ist zum Beispiel im brandenburgischen Beeskow eine Kundgebung geplant.
Da kann es eigentlich nur noch als zynisch angesehen werden, dass dieser offenkundige Unwille der Bevölkerung, ebenso wie die große Ablehnung verlängerter AKW-Laufzeiten in der Bevölkerung in der Planung der Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte vollkommen unberücksichtigt bleibt. Die Gutachter gehen sogar noch davon aus, Deutschland könne einen Teil seines abgeschiedenen CO2 im benachbarten Ausland einlagern. Ob man dort wohl erfreut sein wird, den hier unerwünschten Müll abnehmen zu dürfen?
Was sonst noch geschah
Am Beispiel der Arktis konnte man in der letzten Woche mal wieder die Schnelllebigkeit der Medienwelt beobachten. War es in den letzten Jahren noch Titelgeschichten und Schwerpunktseiten wert, wenn sich zwischen den kanadischen Inseln die Nordwestpassage öffnete, so blieb in diesem Jahr der Eisschwund nahezu unbeachtet. Offensichtlich haben wir uns schon daran gewöhnt, und was eben noch eine Sensation war, erscheint heute schon normal.
Dass die Durchfahrt durch das kanadische Archipel auch ohne Eis tückisch sein, erlebten dieser Tage 120 Kreuzfahrer, deren Schiff auf Amundsens Spuren durch die südliche Route fuhr und in den flachen Gewässern prompt auf einen Felsen auflief. Hilfreiche Hände brachten sie im Eskimo-Städtchen Kugluktuk unter.
Ein gutes Stück südlich davon pflügen verschiedene Ölkonzerne den Norden des kanadischen Bundesstaates Alberta auf der Suche nach Ölsänden um. Unter erheblichem Aufwand von Energie und Chemikalien wird dabei eine teerähnliche Substanz aus dem Sand extrahiert und mit noch mehr Energie zu Diesel- und Benzinkraftstoffen umgewandelt. Der Prozess ist nicht nur eine erhebliche Quelle von Treibhausgasen, sondern setzt auch allerlei schädliche Substanzen frei, unter anderem Schwermetalle (Der kanadische Ölsand-Komplex).
Flussabwärts der gigantischen Löcher, die der Tagbau in die noch vor kurzem unberührte Landschaft aus Wäldern und Seen im Norden Albertas frisst, leiden die Bewohner an erhöhten Krebsraten. Wie üblich mochten Industrie und Regierung keinerlei Zusammenhang mit der Ölgewinnung sehen, doch nun berichtet die New York Times von einer wissenschaftlichen Studie, die eine andere Sprache spricht. In den Flüssen unterhalb der Abbaugebiete finden sich deutlich erhöhte Werte von Blei, Quecksilber, Zink, Cadmium und anderen giftigen Stoffen. Die Konzentrationen würden die staatlichen Richtwerte weit übersteigen. Flussaufwärts, oberhalb des Teersandabbaus seien die Konzentrationen deutlich geringer. Nicht wirklich überraschend, aber ein weiterer Beleg dafür, wie fahrlässig Industrie und Behörden mit Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen umgehen, wenn das große Geld winkt.
Und zu guter letzt die gute Nachricht der Woche: Ein dänisches Gericht hat die Australierein Natasha Verco und den US-Amerikaner Noah Weiss freigesprochen, die im Dezember 2009 am Rande der Proteste anlässlich des Weltklimagipfels in Kopenhagen festgenommen worden waren. Verco ist eine der Gründerin des australischen Zweigs von Freunde der Erde, dem auch der deutsche BUND angehört. Den beiden wurde von der Staatsanwaltschaft Anstiftung zu Straftaten vorgeworfen, die nie stattgefunden haben. Grundlage war die monatelange Überwachung ihrer Telefongespräche, in denen die Lauscher etwas von einem großen Bolzenschneider aufgeschnappt hatten. Tatsächlich handelte es sich um eine überdimensionale Attrappe, die bei einer Aktion eingesetzt werden sollte.
Natasha Verco bewertete den Prozess als völlig absurd: "Dass man uns vor Gericht bringt, hat einen sehr klaren politischen Zweck und die Verhandlung war denn auch vollkommen absurd. Im gesamten Verlauf gründete die Beweisführung auf vollkommen legalen Aktivitäten, die die Polizei versuchte zu manipulieren, um sie illegal erscheinen zu lassen. Dazu zählte der Druck von Postern, die Suche nach Parkplätzen für Musikanlagen und die Teilnahme an öffentlichen Informationsveranstaltungen für Hunderte von Menschen."
Die Australierin hatte im Januar in einem Interview mit dem australischen Sender ABC über die brutalen Umstände ihrer Festnahme berichtet. Danach war sie ohne Angaben von Gründen von Zivilpolizisten auf offener Straße, fernab aller Aktionen, von ihrem Fahrrad gestoßen worden. In dem Wagen, in dem man sie brachte, haben sich Beamte auf ihre Beine gesetzt und andere ihre Füße auf ihren Rücken gestellt. Das ist die Kehrseite einer Energie- und Klimapolitik, die gegen den Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden soll.