Update: Verdächtige auf Bildern von Überwachungskameras

Noch ist unbekannt, wer hinter den fehlgeschlagenen Anschlägen in London steht, aber ein Schutz vor dem Terrorismus hat sich trotz Vorwarnung als unwirksam erwiesen, gleichwohl fordert die Polizei bereits schärfere Gesetze und mehr Überwachung

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Genau zwei Wochen nach den Anschlägen vom 7.7. ist London erneut zum Ziel von Anschlägen geworden, die offenbar auch als exakte Wiederholung intendiert waren. Die Abu Hafs al Masri Brigaden haben sich schnell wie immer auch für diese Anschläge die Urheberschaft zugeschrieben. Sie hatten allerdings erst vor ein paar Tagen ein Ultimatum mit Waffenstillstand verkündet (Ein ungerichteter Befehl, Anschläge auszuführen?). Medien sprechen von der "City of Terror", von einem "Krieg gegen Großbritannien", vom "Todeskult", der erneut zugeschlagen hat. Der Mirror fragt: "Müssen wir so weiter leben?" Auch wenn dieses Mal keine Opfer zu beklagen sind und durch einen glücklichen Zufall, wahrscheinlich durch einen Fehler des Bombenbauers alle Sprengladungen nicht zündeten, haben die versuchten Anschläge trotzdem Angst und Schrecken verbreitet, weil sie demonstrierten, dass Attentäter jederzeit wieder zuschlagen können und es keinen wirklichen Schutz gibt. Die Panik ist groß. Um 10 Uhr heute Vormittag haben Polizisten an der U-Bahnstation Stockwell einen Mann erschossen, der im Verdacht stand, ein Selbstmordattentäter zu sein. Die Polzei darf schießen, wenn sie glaubt, dass eine Person einen Sprengsatz zünden will.

Update: In einer Pressekonferenz wurden heute von der Metropolitan Police vier Aufnahmen von Überwachungskameras zeigt, auf denen die Personen zu sehen sind, die verdächtigt werden, die Bomben platziert zu haben.

Über den Vorfall, bei dem eine Person von Polizisten erschossen wurde - nach Zeugenaussagen aus nächster Nähe mit fünf Schuss, nachdem er in einen U-Bahnwagen gelaufen und dort gestolpert war -, wollte sich Ian Blair, der Chef der Polizei, nicht weiter äußern. Er wiederholte nur, dass sich der Vorfall im Kontext der laufenden Antiterror-Untersuchungen ereignet habe, und er äußerte Bedauern. Zeugen berichten, es habe sich um einen Asiaten, möglicherweise um einen Pakistani gehandelt. Nachdem aber nun die Bilder der Verdächtigen veröffentlicht wurden, scheint es sich nicht um einen der Täter zu handeln, sondern möglicherweise um eine Person, die aus anderen Gründen von der Polizei nicht festgenommen werden wollte.

Mit der Veröffentlichung der Bilder wendet sich die Polizei an die Öffentlichkeit und fordert alle auf, sich an die Polizei zu wenden, die diese Personen kennen oder wissen, wo sie sich aufhalten. Ansonsten hätten forensische Analysen ergeben, dass alle vier Bomben "teilweise" entzündet wurden und dass es sich um Sprengsätze handelt, die selbst hergestellt wurden. Wieder scheint unklar zu sein, wie die Bomben, wenn auch fehlerhaft, gezündet wurde. Unbekannt ist auch noch, warum die Bomben nicht vollständig detoniert sind. Es wurden auch einige Häuser durchsucht, die Polizei teilte aber nichts über die Ergebnisse mit. Dass Häuser in London durchsucht wurden, könnte allerdings darauf hinweisen, dass die Polizei der Überzeugung ist, dass es sich um eine andere Gruppe handelt. Die mutmaßlichen Täter der Anschläge vom 7.7. kamen aus der Umgebung von Leeds.

Die Attentäter waren offenbar wieder mitähnlichen oder denselben Sprengsätzen in Rucksäcken unterwegs und wollten sich damit in die Luft sprengen. Zeugenaussagen, die zwei junge Männer beobachtet hatten, sprachen davon, dass diese zunächst wegen ihrer Anspannung auffielen und dann, als der Zündmechanismus die Sprengladung nicht detonieren ließ, sondern nur ein Geräusch zu hören war und Rauch aufstieg, Enttäuschung zeigten. In zwei Fällen wurde beobachtet, wie die Attentäter fliehen konnten, einer entkam auch Passagieren, die ihn zu fangen suchten. Man geht davon aus, dass sich bei jeder Bombe ein Attentäter befand. Alle vier konnten entkommen. Da sie mit großer Wahrscheinlichkeit von Überwachungskameras festgehalten wurden und die zurückgelassenen Rucksäcke mit den Sprengsätzen genügend Materialien, DNA und Fingerabdrücke hinterlassen haben, gibt es hinreichend viele Spuren, um sie früher oder später identifizieren zu können.

Die offensichtliche Entschlossenheit, einen Selbstmordanschlag auszuführen, könnte man, sollte es sich um eine Gruppe mit demselben Hintergrund handeln, als Bestätigung dafür verstehen, dass es sich auch bei den Anschlägen vom 7.7. um Selbstmordattentate gehandelt hatte. Allerdings ist seltsam, dass keine der Bomben funktionierte, während beim letzten Mal alle explodierten. Das könnte dafür sprechen, dass es sich um eine andere Gruppe handelt, die eher Amateure sind, zumindest um einen anderen Bombenbauer, selbst wenn er dieselben Materialien verwendet hat. Möglicherweise stammten die Sprengsätze aber aus demselben Material und waren nur schon unbrauchbar geworden. Allerdings gibt es über die Art der Sprengsätze keine einheitlichen Berichte. Manche beschreiben sie als identisch, andere sagen, sie seien kleiner. Und bislang wurde auch nicht bekannt gegeben, welche Sprengsätze bei den Anschlägen vom 7.7. verwendet wurden.

Warum das letzte Mal eine der Bomben eine Stunde nach den drei Explosionen in den U-Bahnen in einem Doppeldeckerbus gezündet wurde, ist noch immer unbekannt. Offenbar sollte aber trotz der (intendierten?) Zeitverzögerung ein Kreuz in das Zentrum von London gebrannt werden (was freilich auch die Frage entstehen lässt, was islamistische Terroristen damit zum Ausdruck bringen wollten, wenn sie dies beabsichtigt hatten). Beim gestrigen Anschlag wurde jedenfalls das Muster getreu wiederholt: die drei Bomben in den Zügen sollten etwa zeitgleich hochgehen, die Sprengladung im Bus eine Stunde später.

Bislang waren die Selbstmordanschläge, die nicht in den Konfliktzonen des Nahen Ostens und Asiens stattfanden, einmalige Attentate. Oft wurden mehr oder weniger zeitgleich mehrere Bombenanschläge ausgeführt – das "Zeichen" von al-Qaida nahen Gruppierungen -, aber sie wurden nicht an Ort und Stelle wiederholt. Die Wiederholung in London könnte einerseits für eine Veränderung der Taktik sprechen, um die Bevölkerung noch stärker in Angst zu versetzen, andererseits könnte die genaue Reproduktion (mitsamt des Scheiterns) aber darauf hinweisen, falls es keine identischen Sprengsätze waren, dass eine ganze andere Gruppe sich die Panik zunutze machen wollte, um sich und/oder ihr Anliegen gewissermaßen in die Aufmerksamkeit zu bomben. Spekulationen gibt es zahlreiche. Falls es sich um die gleiche Organisation handelt, die auch hinter den Anschlägen vom 7.7. steht, so ist wiederum fraglich, ob der in Pakistan festgenommene Haroon Rashid Aswat mit britischer Staatsbürgerschaft tatsächlich eine zentrale Rolle gepielt hatte oder gar der "Mastermind" war, wie britische Geheimdienstmitarbeiter vermuteten. Rashid soll mit einigen der Attentäter vom 7.7. in Kontakt gestanden und Mohammad Sidique Khan noch am Tag des Anschlags angerufen haben.

Scotland Yard hatte von einem Informanten die Warnung erhalten, dass diese Woche ein neuer Anschlag geplant sei. Wo und wann er stattfinden sollte, wusste der Informant aber nicht, die Polizei ging aber davon aus, dass dies wieder am Donnerstag geschehen würde. Der Innenminister Charles Clarke hatte dem Kabinett noch zwei Stunden vor den versuchten Anschlägen berichtet, dass man mit weiteren Attentaten rechnen müsse. In Busse und U-Bahnen fuhren am Donnerstag viele nicht-uniformierte, aber bewaffnete Sicherheitskräfte, 2.000 Polizisten überwachten die U-Bahnhöfe, durchsuchten Gepäck von Passagieren und ließen Hunde nach Sprengstoff schnüffeln.

Auch wenn die Polizei sich auf die "Zone 1" konzentrierte, wo am 7.7. die Anschläge stattfanden, während drei der vier versuchten Anschläge gestern in der "Zone 2" sich ereigneten, zeigt dies, dass die Attentäter natürlich auf forcierte Sicherheitsmaßnahmen reagieren und nach neuen Wegen suchen, macht aber auch deutlich, dass selbst erhöhte Sicherheitsmaßnahmen und Wachsamkeit der Menschen keine Garantie sein können. Mit mehr Überwachung und Sicherheit oder nur mit der Bekämpfung der Terroristen und ihrer Hintermänner, das lehrt die Geschichte, lässt sich in aller Regel der Terrorismus nicht eliminieren bzw. verhindern und kein Frieden schaffen. Es wird allmählich Zeit, dass die Politiker aufwachen und nicht nur auf derselben Ebene wie die religiös sich legitimierenden Terroristen das "Böse" auf der Oberfläche bekämpfen, sondern auch die innen- und außenpolitischen Ursachen angehen, die junge Menschen, meist: junge Männer, dazu bringen oder verführen, ihr Heil in der (selbstdestruktiven) Gewalt zu suchen.

Reflexartig fordert die Polizei von der britischen Regierung auf dem Hintergrund der neuen Anschläge schärfere Maßnahmen zur Terrorabwehr. So will sie künftig Verdächtige ohne Anklage für drei Monate festhalten können. Bislang darf sie das "nur" 14 Tage lang. Die Polizei will die Möglichkeit haben, Websites anzugreifen und vom Netz zu nehmen (was wohl bedeutet, dass man hier auf Websites auf ausländischen Servern abzielt). Die Benutzung des Internet zur Vorbereitung von Terrortaten soll zu einer Straftat werden. Bestraft werden soll auch, wer nicht voll mit der Polizei kooperiert und dieser den Zugang zu allen Computerdateien eröffnet, indem er den Verschlüsselungscode zurückhält. Belauschte Telefongespräche sollen als Beweismittel in Prozessen verwendet werden dürfen. Man will eine bessere Kronzeugenregelung schaffen, neue Überwachungskameras an Häfen, Flughäfen und Straßen.

Ein Zeuge berichtet, was er heute in der U-Bahn gesehen hat, als ein Mann von der Polizei erschossen wurde:

"As [the suspect] got onto the train I looked at his face, he looked sort of left and right, but he basically looked like a cornered rabbit, a cornered fox. He looked absolutely petrified and then he sort of tripped, but they were hotly pursuing him, [they] couldn't have been any more than two or three feet behind him at this time and he half tripped and was half pushed to the floor and the policeman nearest to me had the black automatic pistol in his left hand. He held it down to the guy and unloaded five shots into him."

Wie die britische Times berichtet, könnte es sich um einen der Attentäter von gestern handeln.