Venezuela-Guyana-Konflikt: Droht ein neuer Öl-Krieg in US-Einflusszone?

Das Offshore-Schiff Liza Destiny in den Gewässern vor der Küste Guyanas. Bild: ExxonMobil

In Guyana-Region gibt es riesige Vorkommen. Wie reagiert US-Gegner und Russland-Partner Venezuela im Grenzstreit? Was geopolitisch auf dem Spiel steht. Gastbeitrag.

Das Szenario in der Grenzregion zwischen Venezuela und Guyana ist beängstigend, wenn man es im Rahmen des Gesamtszenarios des von inneren und äußeren politischen Konflikten heimgesuchten Lateinamerika betrachtet.

Dieser schon lange schwelende Konflikt könnte tatsächlich virulent werden, wenn man ihn mit der neuen Lateinamerika-Strategie der USA in Verbindung bringt, in der eine militärische Abschreckungsstrategie gegen den wachsenden Einfluss Chinas und Russlands in Lateinamerika das Hauptziel darstellt.

Raina Zimmering lehrte als Professorin an verschiedenen Universitäten und ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik in Potsdam.

Die USA erhöhten ihre Militärpräsenz in mehreren lateinamerikanischen Ländern mit tausenden Soldaten, so auch in Guyana. Da Venezuela einer der Hauptgegner der USA in Lateinamerika und strategischer Partner Russlands ist, macht die Sache nicht einfacher, sondern hochgefährlich.

Dass jetzt die Brasilianer an ihren Grenzen zu Venezuela und Guyana auch noch ihre Streitkräfte mit 2.000 Soldaten und umfangreichem Kriegsgerät verstärken, zeigt, wie ernst die Lage ist.

Die Völkerrechtsfrage in der Region Essequibo, einem Gebiet von 160.000 km², das reich an Öl und natürlichen Ressourcen ist, ist nicht eindeutig, da es verschiedene internationale Verträge zur Grenzregelung zwischen Venezuela und Guyana gibt. Die USA und der Internationaler Gerichtshof (IGH) beziehen sich auf einen englischen Schiedsspruch aus dem Jahr 1899, den Venezuela nicht anerkennt.

Es orientiert sich an anderen Verträge wie den von 1777, der das Gebiet unter spanischer Kolonialherrschaft bis zum Fluss Essequibo Venezuela zuordnete, einen von 1850 zwischen Venezuela und England sowie einen Schiedsspruch von 1887 in Washington (unter US-Präsident Grover Cleveland), in dem sich unter der Ägide der USA Venezuela und Großbritannien über das Gebiet einigen sollten, was auch zwei Jahre später in Paris geschah und zu dem überraschenden Ergebnis führte, dass das Essequibo-Gebiet England zugesprochen wurde.

Rohstoffinteressen und koloniales Erbe

Während des Schiedsspruches war Venezuela nicht anwesend und konnte diesen nicht beeinflussen. Venezuela interpretierte seitdem den Schiedsspruch von 1899 als Ergebnis des englischen Kolonialismus, des Interesses beider Großmächte an den Goldreserven des Gebietes und deren internationalen Korruption. Venezuela erhob seitdem immer Anspruch auf das Gebiet.

1966 gab es einen Hoffnungsschimmer auf eine Einigung im Konflikt, als Venezuela und das inzwischen selbstständige Guyana in Genf ein Abkommen unterzeichneten, in dem vereinbart wurde, dass man bis zu einer endgültigen Einigung die Angelegenheiten des Gebietes einvernehmlich lösen möchte und bei größeren Investitionsprojekten jeweils die andere Seite konsultiert werden muss.

Guyana entwickelte sich in der Folgezeit zu einem engen Partner der USA, die auf seinem Territorium auch einen Militärstützpunkt betreiben. Als 2015 riesige Erdölvorkommen in dem Gebiet und den dazugehörigen Gewässern durch ExxonMobil entdeckt wurden, brach der Territorial-Konflikt erneut aus.

Guyana reichte 2018 beim IGH eine Klage ein, um den Vertrag von 1899 international bestätigen zu lassen. Der IGH beschloss, dass sich beide Seiten einigen sollten und am bisherigen Status des Gebietes nichts ändern dürften. Venezuela protestierte dagegen und argumentierte erneut mit der Korruption von 1899.

Der schwelende Konflikt spitzte sich weiter zu, als Guyana Lizenzen an ExxonMobil, TotalEnergies und vier weitere internationale Konzerne vergab, wozu das Land laut dem Vertrag von 1966 nicht berechtigt ist, da es solche Projekte nur in Absprache mit Venezuela hätte treffen dürfen.

Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro erteilte daraufhin die Genehmigung für Lizenzen an den staatlichen Erdölkonzern PDVSA und führte am 3. Dezember 2023 eine Volksbefragung durch, nach der das Essequibo-Gebiet zu Venezuela gehören soll. 96 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen stimmten zugunsten Venezuelas.

Brasilien, Russland, China als Player

Da das Essequibo-Gebiet zwei Drittel von Guyana betrifft, fühlt sich nun das Land in seiner Existenz bedroht. Der guyanische Präsident Irfaan Ali brachte den Konflikt vor die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS). Die Vereinigten Staaten drohten Venezuela im Falle einer Annexion militärisch einzugreifen und ordneten eine gemeinsame Luftübung mit Guyana an.

Der drohende Konflikt steht nicht im Interesse der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten, die sich zur "Zone des Friedens" erklärten, sich bisher aus den globalen Turbulenzen der letzten 20 Jahre mit der Strategie des "Active Non Alignment" heraushielten und damit eine größere internationale Autonomie aufbauen konnten.

Ein möglicher Zusammenstoß zwischen Venezuela und Guyana könnte auch einen Konflikt zwischen den Großmachtinteressen zwischen den USA und Russland und womöglich auch Chinas in Lateinamerika hervorrufen und den Frieden auf dem Kontinent gefährden. Der brasilianische Präsident Lula, die 2011 gegründete "Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten" (CELAC) und die "Gemeinschaft Karibischer Staaten" (CARICOM) kamen nun der OAS und den USA zuvor und veranlassten ein Treffen zur friedlichen Streitbeilegung zwischen den venezolanischen und guyanischen Präsidenten in St. Vincent & Grenadinen.

Beide Präsidenten verpflichteten sich nun, den Frieden in der Region aufrechtzuerhalten und dem Dialog Priorität einzuräumen. Allerdings behielt sich Irfaan Ali das Recht vor, über Investitionen und die Verteidigung des Landes selbst entscheiden zu können.

Es wurde eine "Gemeinsame Kommission der Außenminister und Techniker" gebildet, die im ersten Quartal 2024 in Brasilien tagen soll. Dabei könnte es zu Vereinbarungen über die Nutzung der Region kommen.

Das zeigt die gewachsene internationale Handlungsmacht und Kompetenz der lateinamerikanischen Staaten im Gegensatz zur Drohpolitik der USA und OAS, regionale Konflikte einzuhegen und die gemeinsamen kontinentalen Interessen unabhängig von einer westlichen Hegemonie geltend zu machen.

Allerdings ist der Konflikt nicht endgültig gelöst und erfordert weiterhin größte Anstrengungen und diplomatisches Gespür, um den Frieden in der Region aufrechtzuerhalten.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Welttrends.

Raina Zimmering, geb. 1951, habilitierte zur Außenpolitik lateinamerikanischer Staaten, lehrte und forschte als Professorin an der Universidad Nacional de Colombia en Bogotá und an der Johannes Kepler Universität Linz in Österreich. Seit 2017 ist sie Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik in Potsdam.