Venezuela: "Riss in der internen Machtstruktur des Chavismus"

Leere Ladenregale in Venezuela. Foto: ZiaLater. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Oberstes Gericht wollte Legislative entmachten und dessen Kompetenzen übernehmen

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Gestern gab das Oberste Gericht bekannt, dass es seine am Mittwoch gefällte Entscheidung, das Parlament zu entmachten und dessen Kompetenzen zu übernehmen, zurückgenommen hat. Kurz danach erklärte der venezolanische Staatspräsident Nicolás Maduro, die Verfassungskrise, in der sich das Land seit dem Urteil befand, sei damit "überwunden". Am Samstagmorgen hatte er im Anschluss an eine Sitzung des nationalen Verteidigungsrats bekannt gegeben, der Oberste Gerichtshofs des Landes werde seine Entscheidung "überprüfen" und "korrigieren", um die "institutionelle Stabilität" und das "Gleichgewicht der staatlichen Gewalten" nicht zu gefährden. An der Verteidigungsratssitzung, die vom oppositionelle Parlamentspräsident Julio Borges boykottiert wurde, hatte auch Gerichtspräsident Maikel Moreno teilgenommen.

Am Tag davor hatte sich Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Diaz während eines Live-Auftritts im Fernsehen in einer Weise geäußert, aus der der Politikwissenschaftler Luis Salamanca einen "Riss in der internen Machtstruktur des Chavismus" ableitete: Sie bezeichnete das Urteil als "Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung", während es Maduro gleichzeitig in einer Rede vor Anhängern seiner Partei verteidigte.

Judikative übernimmt Legislative

Das Urteil war die vorerst letzte Entscheidung in einem Streit zwischen dem Oberste Gerichtshof und der Parlamentsmehrheit, der bis in den August 2016 zurückgeht: Damals entschied das Gericht, das Parlament habe mit der Vereidigung von drei der insgesamt 112 Oppositionsabgeordneten rechtswidrig gehandelt, weil diese wegen des Verdachts, bei ihrer Wahl betrogen zu haben, ihr Mandat vorerst nicht wahrnehmen dürften.

Obwohl die Opposition mit 112 von insgesamt 167 nicht auf diese drei Stimmen angewiesen ist, erklärte das Gericht in den Monaten darauf immer wieder Entscheidungen des Parlaments für ungültig, bis die Richter der Nationalversammlung schließlich pauschal alle Kompetenzen entzogen und verkündeten, sie würden diese Aufgaben nun stellvertretend für die gewählten Abgeordneten wahrnehmen.

"Fake-News"-Vorwürfe im venezolanischen ARD-Äquivalent

Julio Borges, vom Oppositionsbündnis Mesa de la Unidad Democratica (MUD), wertete diese Übernahme der Legislative durch die Judikative als "Staatsstreich" und warf Präsident Maduro vor, hinter der Entscheidung der Richter zu stecken, die seinem Vorgänger Henry Ramos Allup nach die venezolanische Verfassung "nach Gutdünken auslegen". Regierungsstellen und regierungsnahe Medien wie das venezolanischen ARD-Äquivalent Telesur nannten diese Vorwürfe "Fake News".

Luis Almagro, der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, berief nach der Entmachtung des venezolanischen Parlaments eine Sondersitzung des OAS-Rates ein. Vertreter Brasiliens, Kolumbiens und Mexikos äußerten öffentlich Besorgnis - und Peru zog sogar seinen Botschafter ab. Ein Vertreter der EU forderte lediglich Klarheit darüber, wann in Venezuela wieder gewählt wird, während ein Sprecher des US-Außenministeriums die Gerichtsentscheidung als "Usurpation" und "ernsthaften Rückschlag für die Demokratie" verurteilte.

Noch kein Termin für verschobene Gouverneurswahlen

Schärfere Reaktionen aus den USA wie beispielsweise die Einstufung des Landes als "Sicherheitsrisiko" durch Präsident Obama und waren in der Vergangenheit häufig von der venezolanischen Staatsführung genutzt worden, um eine angebliche Steuerung der Opposition durch Washington geltend zu machen. Damit hatten US-Politiker Maduro Munition geliefert, ohne das zu wollen, wie Ed Krayewski in Reason konstatiert (vgl. Venezuela: Bitcoin gegen Staatsversagen).

Die gestrigen Demonstrationen der Opposition in Caracas und anderen Städten erreichten ersten Meldungen nach nicht das Ausmaß der großen Proteste von 2014. Beobachter führen das darauf zurück, dass sich Maduro und seine PSUV in der Vergangenheit weder von solchen Kundgebungen noch von ausreichend Stimmen für ein Absetzungsreferendum beeinflussen ließen, sondern stattdessen auf Zwangsmaßnahmen setzten, um trotz der weltweit höchsten Inflation und einer verheerenden Wirtschafts- und Versorgungslage an der Macht zu bleiben (vgl. Wahlbehörde in Venezuela setzt Abwahlreferendum aus und Hungerdemonstrationen in Venezuela).

Neben dem Absetzungsreferendum verzögert die Staatsführung derzeit auch die 23 Regionalgouverneurswahlen, die regulär im Dezember stattfinden hätten sollen. Einen neuen Wahltermin hat sie bislang nicht bekannt gegeben. Kritiker sehen darin einen Versuchsballon für die Verschiebung der Präsidentenwahl, die spätestens im Dezember 2018 stattfinden müsste.

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