Verdammt bestialische Ozzynormalität

Himbeereis zum Frühstück, Rock'n Roll auf der Krebsstation

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"Es gibt keinen Fortschritt, nur Konservativismus", grinste - ausgerechnet - die "Welt". Und sämtliche Feuilletonkollegen schmunzelten einvernehmlich in Einem Seelengesange. Dass die Emmy-gekrönte Reality-Sitcom The Osbournes so komisch sei, läge an der Fallhöhe zwischen zwei Imaginationen: Dem Bild des irren fledermausverschlingenden Rockstars und dem des zittrigen Familienvaters, der seinen Kindern Werte vermittele, wie sie bei den Waltons nicht spießiger sein könnten.

Bild: Black Sabbath.com

Es ist ein durchaus bekanntes Phänomen, dass Metal-Musiker äußerst friedliche und intelligente Menschen sein können, die oft sicherlich angenehmere Umgangsformen haben als beispielsweise diejenigen, welche über sie schreiben.

Endet die Suche nach der Bestie im Heavy Metal bei der "normalen", dysfunktionalen Familie, der verdammt bestialischen Ottonormalität, in dem Fall der Ozzynormalität oder lässt sich der antibürgerliche Gestus auf der Bühne mit einem Familienleben vereinen, ohne dass man gleich als gesellschaftskonform oder System stabilisierend belächelt werden darf?

"Warm and weird" und "subversiv Mittelklasse" seien die Osbournes, so die New York Times und die taz bemerkt in einem etwas krampfigen Bemühen, um leichtfüßige Philosophie:

Die Osbournes lehren uns, dass Wahnsinn und Gesellschaft in der Institution der Metal-Familie offenbar einen gesunden Kompromiss gefunden haben. Michel Foucault ahnte dies voraus, als er bereits 1975 zu Papier brachte: [MTV] "hat die Nicht-Irren in die Narrenkiste gesteckt und hat ihnen gesagt: Lassen Sie sich gehen, spielen Sie die Verrückten, so weit Sie sich durch die Kraft der Dinge und die Logik der Internierung dabei getrieben fühlen. Und herausgekommen ist in eben seiner Wirklichkeit die steife, repetitive und rituelle Form des Wahnsinns: der Wahnsinn, diese am strengsten geregelte Sache der Welt."

Die Suche nach der Bestie

Ein Journalist, der viele Metalmusiker interviewt hat, berichtete mir, dass die Wohnzimmereinrichtung in den allermeisten Fällen so sei, dass man automatisch an seine Großeltern denken müsse. Bestickte Kissen, muffige Möbel, ein gebohnerter Boden, von dem man essen könnte und viele gerahmte Erinnerungsfotos: ein Interieur, wie man es sich eher bei einer Schlägersängerfamilie vorstellen würde. Schlagersänger wiederum haben ihre eigenen Untiefen; ein Mann wie Michael Holm kann im Zweifelsfall unbürgerlicher und verrückter sein als ein Metalstar.

Metaller befinden sich in einer Art Zwischenposition. Ihr alltägliches Leben bewältigen sie als Erwachsene, ihre Gedanken, ihre Träume, ihr Inneres, ihre Rebellion leben sie in und mit der Musik aus.

Dass John Michael Osbourne sein alltägliches Leben "als Erwachsener" bewältigt, kann man nun nicht unbedingt sagen, sicherlich ein Grund dafür, dass die Osbournes so viel erfolgreicher sind als ähnliche Formate, z.B. jenes mit Kiss-Altrocker Gene Simmons, der oberlehrerhaft in seiner aufgeräumten Wohnstube sitzend über Disziplin in Tat und Sprache referiert. Nicht mal eine in sein Gesicht geworfene Torte bringt ihn zum Fluchen. Ja, es ist schon ein Glück für MTV, dass es die ständig fluchenden Osbournes hat, mit denen es die höchsten Einschaltquoten seiner 24jährigen Geschichte einfährt.

Vier Monate lang überwachte ein Dutzend Kameras täglich 18 Stunden lang das Leben von Sharon (50), Kelly (16), Jack (17) und Ozzy ("50,....50 ... 50 ...wie alt bin ich nochmal?") (53) Osbourne. Der "Prince of darkness" bzw. der "Fucking prince of fucking darkness" wie er sich in lichten Momenten nennt, tappt nervös und mit geweiteten Augen durch seine mit Kruzifixen und Hundehaufen gespickte Villa wie ein notdürftig betäubter alter Bär und erklärt seinen Kindern, dass sie auf Tattoos und Drogen verzichten sollten. Ein wenig ironisch mutet es an und hier kommt die eingangs erwähnte Fallhöhe ins Spiel, dass der Mann, der einst wegen Schändung einer nationalen Gedenkstätte mit einem lebenslänglichem Einreiseverbot nach Texas belegt wurde, weil er in ein Missionshaus gepinkelt hat, nun die meiste Zeit hinter seinen etwa vierzehn ins Haus scheißenden Hunde herläuft und zum Geburtstag von den Kids eine Schaufel fürs Katzenklo geschenkt bekommt. Tränen der Rührung in den Augen des Iron Man. Das gnädige Schmunzeln, welches die Presse hierzulande den MTV-Osbournes entgegenbringt, ist ganz im Einklang mit echten Humorkennern wie George W. Bush, der die fantastischen vier zu einem Essen ins Weiße Haus einlud.

Bye-bye, Bugs Bunny; hello, Garfield

Doch ein paar von den ganz strengen Rockjournalisten mögen ihm die MTV-Nummer nicht vergeben. Am tendenziell peinlichen Ozzfest hatten sie schon schwer zu schlucken, aber dass ihr Oz sich verlachen lässt als "cash cow" von MTV, als "Britney Spears with nasty old hair and a Brummy Accent", das macht einige wütend.

Er war Rock und jetzt ist er Pop. Er war ein Privatvergnügen, wenn auch eines für ein großes Publikum und jetzt ist er ein Massenerzeugnis, immer bereit sich für einen Dollar auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner zu einigen

so beispielsweise Jim DeRogatis, der im weiteren richtig gemein wird und bei Salon.com aus dem Rockernähkästchen petzt, dass Ozzy sich auf der Bühne nur aus einem einzigen Grund immer mit Wasser übergieße, nämlich weil er sich bepiesele und seinen Strahl nicht halten könne, weshalb auch sein Badezimmer einer Gummizelle gleiche.

Dass Bade- und Elternschlafzimmer in der Sendung ausgespart werden, zeigt nur, wie fein es in unserer Mediengesellschaft zugeht. Dass bei der zweiten Staffel, die heute in den USA anläuft, die schwere Krebserkrankung, die Chemotherapie von Sharon Osbourne nicht ausgespart wird, zeigt laut Zeitungsberichten die gnadenlose Geldgeilheit dieser Freaks und vor allem ihrer Mater familias. Dabei geht es diesem 60 Millionen Dollar schweren Ehepaar möglicherweise gar nicht um Geld, sondern ums nackte Überleben und zwar ums Überleben ihrer Selbstbehauptungsfähigkeit.

Die Böse und das Biest

Sharon Osbourne genießt in bestimmten Fankreisen eine Beliebtheit, die ihresgleichen sucht, anders gesagt: sie ist neben Courtney Love und Yoko Ono eine der meistgehassten Frauen in der Musikwelt. Ihr Vater ist der nicht gerade für seine menschlichen Qualitäten gerühmte ELO-und Black Sabbath-Manager Don Arden, in dessen Imperium sie als Empfangsdame anfing. Etwa ein Jahrzehnt später zahlte sie ihm 1,5 Millionen Dollar für einen Musiker, der wegen seiner Drogenexzesse bei Black Sabbath rausgeflogen war, ein Iron Man, der jedoch kurz davor war, den Weg eines Brian Jones oder eines Kurt Cobain zu gehen, ein Mann, den sie gerade geheiratet hatte und der unter ihrer Ägide eine steile Solokarriere als Blizzard of OZ machen sollte. Niemand leugnet, dass Sharon Osbourne ihrem Mann das Leben gerettet hat, mehrmals wahrscheinlich. Ebenso weiß jeder, dass John Michael Osbourne versucht hat, seine Frau umzubringen, und erst nach Wochen im Gefängnis zu so etwas ähnlichem wie Besinnung kam. Die Sympathien jedoch sind ganz eindeutig - auf seiner Seite. Die Klischees "Weltfremder liebenswerter Trottel" und "Eiskalte Schlampe" lassen gar nichts anderes zu. Spaß, Musik und "viele schmutzige Worte" wollte sie auf die Krebsstation und in die zweite Staffel mitbringen. Kann man ja auch von ihr verlangen, denken viele, immerhin hat sie, die nebenbei auch Producerin der Osbournes (im wahrsten Sinne des Wortes) ist, 20 Millionen Dollar für Staffel zwei und drei ausgehandelt, eine Zahl, die man immer wieder liest, wenn es um diese Familie geht, eine Zahl, die wieder einmal beweisen soll, dass den Osbournes außer Geld nichts heilig ist, nicht einmal sie selbst.

MTV's Iron Men

Die Krankheit macht mich verschämt; krank zu sein gleicht der Erfahrung im Traum, daß man in aller Öffentlichkeit nackt ist.

Harold Brodkey

Nun hat Sharon Osbourne in einer Talkshow angedeutet, dass sie es eigentlich nicht mehr machen könne. Sie vertrage die Chemotherapie sehr schlecht und Ozzy ertrage ihre Leiden nicht, er habe deshalb wieder angefangen zu saufen und breche häufig einfach zusammen, es sei entsetzlich für sie beide, ständig überwacht zu werden. Unnötig zu sagen, dass sie damit auf keinerlei Verständnis stößt, bei niemandem. "Frau Osbourne will sich in Ruhe übergeben" titelte die SZ nicht sehr geschmackvoll (warum nicht gleich "abkotzen") auf der Medienseite und in den US-Medien seufzte ein sich die Haare raufender MTV-Manager, dank der Unbeständigkeit dieser Frau habe er mittlerweile einen eisernen Magen. Dass den - trotz Darmkrebs - auch Sharon Osbourne hat, bewies die Frau des Iron Man, indem sie kurz danach, vertragsgeknebelt, ihre Zweifel zurücknahm: "I love my MTV." sagte sie. Voll Arglist, wer das nicht glauben mag.