Verlängerung für Euratom?

Vor dem Verfassungsgipfel streitet Europa über die Energiepolitik der Zukunft

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Ob Ende dieser Woche überhaupt eine Europäische Verfassung verabschiedet wird, steht derzeit noch in den Sternen. Doch selbst wenn sich die Mitglieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen sollten, sind streitbare Diskussionen und weiterführende Auseinandersetzungen bereits vorprogrammiert. Erhebliche Unterschiede zwischen den nationalen Positionen und Interessen gibt es zum Beispiel im Bereich der Energiepolitik. Während 12 EU-Staaten nicht oder nicht mehr auf die Atomenergie setzen und einige weitere den Ausstieg planen, sehen andere Länder keine Notwendigkeit, dauerhafte Alternativen zu der umstrittenen Energieerzeugung zu entwickeln.

Diese Meinungsverschiedenheiten sind nicht nur theoretischer Natur. Ende vergangener Woche stimmte die EU-Kommission zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder dem Bau eines neuen Atomreaktors zu. In Olkiluoto an der finnischen Westküste wird neben den bereits vorhandenen zwei Atomkraftwerken ein europäisches Konsortium, an dem neben dem einheimischen Unternehmen Teollisuuden Voima Oy auch die französische Firma Framatome ANP und die deutsche Siemens AG beteiligt sind, einen 1.600 Megawatt-Druckwasserreaktor errichten, der 2009 ans Netz gehen soll.

Die EU-Kommission, die von allen Mitgliedsstaaten aufgrund des Euratom-Vertrages über derartige Bauvorhaben informiert werden muss und dann eine allerdings nicht bindende Empfehlung abgibt, begründete ihre "Genehmigung" mit der Sicherung der Energiezufuhr und einer Senkung klimaschädlicher Emissionen. Die zuständige Kommissarin Loyola de Palacio wollte darüber hinaus aber auch generell festgestellt wissen, "dass die Kernenergie eine attraktive wirtschaftliche Option bleibt, wenn sie ordentlich verwaltet wird" (s.a. Spanien will Atomkraft in Europa erhalten).

Diese Äußerung stand wie erwartet im Zentrum heftiger Kritik von Seiten der Atomkraftgegner, die sich insbesondere in Österreich zahlreich zu Wort meldeten. Vertreter von ÖVP, SPÖ, Grünen und sogar FPÖ reagierten auf de Palacios Ausführungen "mit völligem Unverständnis" und bezeichneten die Begründung der EU-Kommissarin als "skandalös". Das ist umso bemerkenswerter, als die österreichischen Konservativen eine durchaus geteilte Meinung zur Atompolitik entwickelt haben, die oft davon abhängig ist, ob sie in Straßburg oder in Wien verlautbart wird (Störfall Nummer 65 im tschechischen AKW Temelin). Der Grüne EU-Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber sah in der Entscheidung der Kommission überdies "eine massive Provokation gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung in Europa", die zeige dass die Atomlobby an einer Rehabilitierung der Atomenergie arbeite.

Diese Vermutung wird von der Umweltschutzorganisation Greenpeace geteilt. Sie befürchtet, dass der 1957 unterzeichnete Euratom-Vertrag als Anhang zur neuen EU-Verfassung übernommen wird. Mit Euratom sollte seinerzeit das Fundament "für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie" gelegt werden, um "durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen."

Wenn dieser Vertrag unverändert als Anhang oder Protokoll der neuen EU-Verfassung übernommen würde, stände die Nutzung und Förderung der Atomkraft weiterhin ganz oben auf der energiepolitischen Agenda, ungeachtet der Tatsache, dass viele Länder den Ausstieg planen oder vollzogen haben und nur wenige Regierungen - wie etwa die französische - nicht gewillt sind, ihre bisherige Praxis zu überdenken. Thomas Breuer, Atomexperte bei Greenpeace, erklärt gegenüber Telepolis:

Der Euratom-Vertrag ist ein Relikt aus den 50er Jahren, als noch ganz andere Vorstellungen von der notwendigen Versorgungssicherheit und möglichen Risiken herrschten. Wir sind der Meinung, das für die Energiepolitik des zukünftigen Europa andere Akzente gesetzt werden müssen. Immerhin geht es hier nicht nur um ein Symbol. Der Euratom-Vertrag hat in Form von Krediten und Forschungsgeldern auch eine finanzielle Dimension.

Die Bundesregierung hielt sich in dieser Frage - abgesehen von prinzipiellen Reformbekundungen - lange zurück, weil die Verabschiedung einer Europäischen Verfassung "am Ende nicht durch eine kontroverse Kernenergiedebatte unter den Mitgliedsstaaten belastet werden" sollte (Wolfgang Renneberg, Ministerialdirektor im Bundesumweltministerium). Insbesondere der grüne Koalitionspartner musste sich infolgedessen unangenehme Nachfragen der Umweltschutzorganisation gefallen lassen. "Es ist doch absolut unglaubwürdig, wenn in Berlin der Ausstieg gepredigt wird, während die Regierung die Atompolitik in Europa durchwinkt", meint Thomas Breuer.

Mittlerweile scheint sich diese Erkenntnis aber auch in Berlin durchgesetzt zu haben. In einer gemeinsamen Erklärung mit der Regierung Österreichs wird eine grundlegende Reform des Euratom-Vertrages angemahnt - freilich ohne Androhung politischer Konsequenzen. Ende der Woche findet das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel statt. Man darf gespannt sei, ob dann in diesen und vielen anderen offenen Fragen eine Einigung erzielt wird.