Verteidigungsfähigkeit Deutschlands - mangelhaft

Seite 4: Bundeswehr - bedingt verteidigungsfähig

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In den 1980er Jahren hatte die Bundeswehr einen Gesamtumfang von 495.000 Soldaten. Heute beträgt die Gesamtstärke 176.000 Soldaten. Dem Heer stehen 59.000, der Luftwaffe 29.000 und der Marine 16.000 Soldaten zur Verfügung.

Damals war auch noch der Heimatschutz, im sogenannten Territorialheer so geregelt, dass 450.000 Soldaten sofort nach der Mobilmachung in ihren Verbänden/Einheiten hätten eingesetzt werden können. Alle Soldaten/Reservisten hatten somit auch eine zugewiesene Waffe. Damit wurde erreicht, dass die aktive Truppe unmittelbar an der Landesgrenze eingesetzt worden wäre und das Territorialheer weitere Schutzaufgaben und natürlich auch den Personalersatz darstellen sollte.

Abgerüstet

Ferner unterstützten uns auf dem Territorium der Bundesrepublik unsere verbündeten Staaten, Amerika, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Niederlande und Belgien mit Soldaten, Waffen und Gerät. 2006 waren insgesamt 98.000 Soldaten, aktuell sind es noch 40.000 Soldaten, davon sind 35.000 US-Amerikaner auf deutschen Boden stationiert.

Am Beispiel der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr wird besonders deutlich, wie im Vergleich der Kräfteansatz zu sehen ist, aus Vereinfachungsgründen beschränke ich mich nur auf die Systeme der Kampf- und der Kampfunterstützungswaffensysteme: In den 80er Jahren gab es 2.700 Kampfpanzer Leopard, 1.800 Schützenpanzer Marder, 594 Artilleriegeschütze/Haubitzen und 2.500 Raketenwerfer. 2016 hat sich dieses Arsenal auf 244 Kampfpanzer Leopard, 391 Schützenpanzer Marder, 124 Artilleriegeschütze/Haubitzen und 41 Raketenwerfer verringert. Dafür gibt es heute 38 Puma, die damals nicht zur Verfügung standen.

Selbstverständlich haben sich in der Zwischenzeit Leistungsmerkmale verändert, jedoch sind die grundsätzlichen Waffenwirkungsmöglichkeiten immer durchschlagend.

Für den nichtausgebildeten Soldaten veranschauliche ich einen denkbaren Kriegsausschnitt einer Landesverteidigung.

Zu Zeiten des Kalten Krieges hatten wir über 55 Panzergrenadierbataillone mit bis zu 1.000 Soldaten. Dazu gehörten 52 Schützenpanzer Marder und 5 Mörsergeschütze. Der Marder ist das Gefechtsfahrzeug der Panzergrenadiere und kann gegen feindliche Infanterie ( Fußsoldaten ) und bedingt gegen Kampfpanzer wirken. Mörser verschießen Artilleriegeschosse, überwiegend gegen infanteristischen Feind.

Verschiedene Waffen-Systeme komplettierten den militärischen Umfang, dazu gehören Panzerfäuste, Maschinengewehre, Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Pistolen. In der Regel wurde ein solches Grenadierbataillon auf einer Geländebreite von 5.000 Metern, in der Verteidigung, eingesetzt. ( Norddeutsche Tiefebene )

Heute hat die Bundeswehr noch ca. sieben dieser Panzergrenadierbataillone. Gestern wie heute hat z.B. die russische Armee eine Vielzahl von ebenbürtigen Waffensystemen parat und eine Strategie, wie sie diese z.B. auf deutschen Boden einsetzen könnte!

Da Deutschland auf das verlorene Großgerät (überwiegend verkauft) nicht mehr zurückgreifen kann, wäre nach einem Kräftevergleich, z.B. mit der russischen und weißrussischen Armee eine Landesverteidigung nur sehr eingeschränkt möglich. Schon zu Zeiten des Kalten Krieges wussten die militärisch Verantwortlichen, dass im damaligen Szenario Bundeswehr und unsere verbündeten NATO-Staaten nur wenige Tage die Bundesrepublik wirksam hätten verteidigen können.

Folgerungen

Aus all dem Gesagten ergeben sich gravierende Änderungen der kurz-, mittel- und langfristigen Bedrohungsanalyse. Die Annahme nach dem Kalten Krieg, wir würden auf eine friedvollere Welt zusteuern, ist leider unrealistisch und folglich auch gefährlich!

Ein bloßer Kräftevergleich von Armeen wird einer realistischen Betrachtung nicht gerecht. Heute müssen wir uns mehr denn je mit unkalkulierbaren Machtpolitikern, die ihre jeweiligen Länder, beherrschen (Putin, Erdoğan, Assad u.a.) auseinandersetzen. Allein die Möglichkeit von Kurzschlusshandlungen, Missverständnissen oder Gesichtsverlust können zu schwerwiegenden Konflikten führen. Erstens spreche ich den genannten Politikern Demokratieverständnis ab und zweitens müssen sie derzeit keine Rücksicht auf ihre eigenen Volksvertreter nehmen.

Die Schere zwischen arm und reich auf der Welt wird uns zunehmend Probleme bereiten, die ersten Flüchtlingsströme sehen wir schon. Die Tatsache, dass 800 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser haben, lässt erahnen, was noch alles zu bedenken ist.

In der Summe sollte auch bei uns in Deutschland die Erkenntnis reifen, die Möglichkeit der Landesverteidigung wieder stärker ins Visier zu nehmen. Nachdem wir alle Strukturen nachhaltig abgebaut haben, ist es jetzt an der Zeit, wieder eine kampfkräftige Bundeswehr aufzubauen. Wer hier Säbelrasseln vermutet, hat den Kern von seriöser Sicherheitsvorsorge nicht verstanden. Ehe wir wieder eine wirksame Landesverteidigung aufgebaut haben, vergehen ohnehin Jahre.

Unsere Auslandseinsätze der Bundeswehr sollten wir gesamtgesellschaftlich hinterfragen. Nachdem ich selbst, in verantwortlicher Position, im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina und in Afghanistan als Soldat eingesetzt war, stehe ich heute unseren Militärbeteiligungen im Ausland äußerst kritisch gegenüber.

Sich allein auf unsere heutigen NATO-Partner zu verlassen, ist keine verantwortungsvolle Lösung. Die Amerikaner fordern zu recht, dass wir unseren militärischen Beitrag deutlich steigern müssen. Die derzeitige Europamüdigkeit ist auch kein gutes Zeichen für ein starkes Zusammenhalten von NATO und EU.

Eine Dienstpflicht für alle jungen Menschen in Militär oder sozialen Bereichen einzurichten, wäre durchaus ein Signal in die richtige Richtung. Auch damit würden wir die Einbettung der Soldatinnen und Soldaten in die Gesellschaft wieder deutlich verbessern.

Vielleicht brauchen wir nicht mehr den Umfang an Soldaten, Waffen und Gerät wie in den 1990er Jahren. Aber Modelle der Verfügbarkeit in Reserve und schnellem Aufwuchs sollten vor dem Hintergrund der aktuellen außenpolitschen Entwicklungen wesentlicher Bestandteil einer nötigen Strategie sein. Das neue Weißbuch der Bundeswehr ist eher eine Werbeschrift der Bundeswehr in pathetisch politischer Prosa. Die Möglichkeit, sich im Verteidigungsfall auch wehrhaft verteidigen zu können, muss wieder selbstverständlicher Teil des Staatswesens sein!

Zum Verfasser: Uwe Lampe war vier Jahre Kommandeur eines nicht aktiven Panzergrenadierbataillons, Berater an der Deutschen Botschaft in Kabul (auch zu Sicherheitsfragen) und stellvertretender Beauftragter für Sicherheitspolitik der Landesgruppe Niedersachsen des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr. Weitere Gedanken von ihm finden Sie unter anderem in Ute Susanne Werners Kriegsheimkehrerbuch und in seinen Internet-Kriegstagebüchern Erfahrungen aus 13 Monaten Balkan und Hindukusch, Afghanistaneinsatz - Nicht Fisch und nicht Fleisch und Der Deutsche Afghanistaneinsatz muss jetzt eine Ende haben.

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