Verweigert das Töten!

Seite 3: Der einfältige Iwan und die Soldaten

Zu den literarischen Beispielen im neuen Sammelband zählt ein Auszug aus dem Märchen von Iwan dem Dummkopf (1885), einer verdeckten Kritik an Zarenherrschaft, Militarismus und Weltgefüge im Dienste der Reichen.

Dieses "politische Märchen" wider die Symbiose von Münze, Macht und Militär, das – aufgrund eines klugen Vorgehens – 1886 unerwartet die russische Zensur passieren konnte und erst 1892 den Behörden mit Blick auf die populäre Verbreitung missliebig war, erzählt die Geschichte der drei Söhne eines durchaus begüterten Bauern: Der Krieger Semjon und der wohlhabende Kaufmann "Dickwanst Taras", die im weltlichen Sinn als erfolgreich gelten, handeln so rücksichtslos, dass der Familienfrieden leicht zerbrechen könnte.

Doch Iwan, der als einfältig geltende dritte Sohn, hindert dies. Er bestellt mit Zähigkeit den elterlichen Bauernhof, versorgt den Vater sowie eine stumme Schwester und fügt sich gutmütig gar den ungerechten Ansprüchen der gierigen Brüder. Diesen Familienfrieden wider alle Erwartung kann ein alter Satan nicht ertragen. Er schickt zunächst drei nur bedingt erfolgreiche Unterteufel, um die Brüder zu entzweien.

Sodann geht der Oberteufel selbst ans Werk. Am Ende werden Semjon (Militär, Waffenindustrie) und Taras (Kapital), die im Zusammenspiel beide zum Zarenstatus (politische Macht) aufgestiegen sind, zugrunde gerichtet sein. Der dritte Sohn Iwan erweist sich jedoch durchgehend als immun gegenüber den zerstörerischen Verführungen der Teufel.

Soldaten sind in seinen Augen allein nützlich, wenn sie den Menschen lustig zur Musik aufspielen (danach muss man sie sofort wieder zurück in "Stroh" verwandeln). Goldmünzen verschaffen ihm nur ein Gaudi, wenn er sie in die Luft werfen und unter die Leute verschenken kann. (Sobald das Geldgefüge der einfachen Bevölkerung Not bringt, muss man es sabotieren.)

Frühlingsvorboten?

Die aus einer Hinwendung zu Jesus aus Nazareth kommende Botschaft des weltweit verehrten Russen Leo Tolstoi, ohne die heute eine Zukunft der menschlichen Familie auf der Erde – ohne grenzenlose Barbarei – schier unvorstellbar erscheint, ist nicht verstummt.

Bisweilen wagen sich auch in unseren Gegenwart Vorboten eines Frühlings ohne Blutvergießen ans Tageslicht. Im Jahr 2022 – während des russischen Angriffskrieges in der Ukraine – haben Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten aus der Ukraine, Russland, Belarus und Finnland einen Film gemacht, der inzwischen unter dem Titel Make Art, Not War (2023) im Internet abgerufen werden kann – wahlweise auch mit Untertiteln in Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch.

Eingerahmt von Dichtungen aus der Ukraine und Weißrussland steht das unvollendete Drama Das Licht leuchtet in der Finsternis von Leo N. Tolstoi im Mittelpunkt dieses künstlerischen Votums: Verweigert das Töten!

Der Verfasser ist verantwortlich für Konzeption und Koordinierung des pazifistischen Editionsprojektes "Tolstoi-Friedensbibliothek". Die auf der Projektseite eingestellten Publikationen der in digitaler und gedruckter Form edierten Bibliotheksreihen werden ergänzt durch einen Offenen Lesesaal.

Leo N. Tolstoi
Das Töten verweigern
Texte über die Schönheit der Menschen des Friedens und den Ungehorsam.
Neu ediert von Peter Bürger und Katrin Warnatzsch.
(=Tolstoi-Friedensbibliothek: Reihe B, Band 3).
Norderstedt: BoD 2023.
(ISBN 978-3-7519-1925-8; Paperback; 292 Seiten; 12,90 Euro
Inhaltsverzeichnis und Leseprobe auf der Verlagsseite