Verwischte rote Linien

Seite 2: "Das soll ihn wirklich beeindrucken?"

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In Deutschland wies in der vergangenen Woche auch Egon Bahr auf Probleme mit der Glaubwürdigkeit hin. In der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" sagte er:

Warum soll eigentlich Putin zutiefst betroffen und verunsichert sein durch Sanktionen, von denen gleichzeitig gesagt wird: Aber eigentlich wollen wir sie nicht, und Krieg wird es nicht geben, und da wo die Kriegsgefahr beginnt, hören die Sanktion auf? Das soll ihn wirklich beeindrucken? Das ist unlogisch. Und es wird nicht funktionieren.

Während Senator Corker, ganz anders als Egon Bahr, entschiedenere Sanktionen fordert, stimmen beide doch darin überein, dass die Strategie der US-Regierung im Hinblick auf die behaupteten Ziele weder konsistent noch schlüssig ist. Was zu der naheliegenden Vermutung führt, dass die behaupteten Ziele womöglich nicht die realen sind.

Die ganze martialische Drohkulisse richtet sich im Effekt vielleicht weniger gegen Russland, als gegen das Verhältnis der EU zu Russland. Die ständigen Sticheleien und nachjustierten Forderungen gegenüber Putin machen aus Sicht der USA durchaus Sinn, wenn dadurch zunächst einmal die EU genötigt wird, sich von Russland zu distanzieren und abzuwenden - und damit automatisch den USA anzunähern. Eine Schwächung Russlands ist dabei zwar willkommenes Ziel, aber vielleicht nicht das Hauptaugenmerk.

Victoria Nuland hatte jedenfalls alle Mühe, vor dem Senatsausschuss zu rechtfertigen, weshalb man gegenüber Moskau eigentlich nicht längst härter durchgreife, wenn man Putin doch ernsthaft "stoppen" wolle.

"Defätistische Einschätzungen"

Dennoch wird weiter versucht, die changierende Drohkulisse gegen Russland als erfolgversprechend darzustellen. So wurde in der Washington Post ohne weitere Belege am Freitag behauptet:

Entgegen defätistischen Einschätzungen, wie man sie manchmal in Washington hört, kann Herr Putin durch Sanktionen bewegt werden.

Auch den Wahlen am 25. Mai stünde eigentlich nichts im Wege. So erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums in der vergangenen Woche:

Der größte Teil der Ukraine ist sehr ruhig. Es gibt einige isolierte Gebiete, über die wir aus gutem Grund immer wieder sprechen - Slawjansk, Luhansk etc. - wo Separatisten Gebäude besetzen und Chaos verursachen. Aber der größte Teil der Ukraine ist ruhig und es ist keine Frage, dass die Wahlen voran schreiten werden.

Diese sehr optimistische bzw. wenig realistische Einschätzung ist zwingend für die schlüssige Aufrechterhaltung der Forderungen an Putin. Falls die Wahlen vorrangig aufgrund innerukrainischer Probleme scheitern, könnte man ihn sonst kaum verantwortlich machen.

"Ein Auswuchs an Heuchelei"

Neben der Senatsanhörung musste Victoria Nuland in der vergangenen Woche auch vor dem Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses Rede und Antwort stehen. Dort setzte ihr vor allem der republikanische Abgeordnete Dana Rohrabacher zu, ehemaliger Redenschreiber von Präsident Ronald Reagan, und bekannt für eigenständige Positionen. Nachdem er Nuland nach den Kosten des US-Engagements in der Ukraine befragt hatte (nach ihrer Aussage insgesamt über 200 Millionen Dollar in den Haushaltsjahren 2013 und 2014), stellte er eine Frage, die vor allem in Deutschland von Politikern bislang eher weggelächelt bzw. ignoriert wird:

Rohrabacher: "Waren [bei den Maidan-Protesten] Neonazi-Gruppen beteiligt?"

Nuland: "Fast jede Farbe der Ukraine war vertreten, auch einige unangenehme Farben."

Rohrabacher: "Die Antwort ist also ja."

Nuland: "Aber wenn ich das sagen darf, im Hinblick auf die Gewalt: Alle diese Vorfälle sind Gegenstand von Untersuchungen, insbesondere auch der tödliche Einsatz von Scharfschützen im Februar. Und es gibt gute Beweise anzunehmen, dass daran auswärtige Agitatoren beteiligt waren."

Rohrabacher hatte sich bereits im März, unmittelbar nach dem Referendum auf der Krim, mit seiner abweichenden Meinung deutlich zu Wort gemeldet, ohne dass das medial groß zur Kenntnis genommen worden war - er unterstützte nämlich die Abspaltung. Und er gab eine interessante Begründung dafür:

Beginnend mit unserer eigenen amerikanischen Revolution haben sich Gruppen von Menschen berechtigterweise für unabhängig erklärt, um unter einer anderen Regierung oder einer Regierung ihrer Wahl zu leben. Die Leute vergessen, dass es genau darum bei unserer Unabhängigkeitserklärung geht. (…) Unsere Leute bemerken es vielleicht nicht, doch die Menschen in Russland sehen es sicher: Sie werden für etwas geschlagen, das dem gleichkommt, was die Alliierten [im Kosovo] getan haben. (…) Die Sanktionen sind ein Auswuchs an Heuchelei.