Videofrühling in Liverpool und Manchester

Video Positive 97

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In zwei Städten und an 12 Veranstaltungsorten waren von 11.-20.April Arbeiten von mehr als 200 Künstlern aus den Bereichen Video, CD-ROM, Internet, Multimedia-Installation und -Performance zu sehen. Die Veranstalter rühmen sich "Britains premier electronic arts festival" organisiert zu haben. Doch die pure Quantität mag angesichts hochgesteckter Ansprüche in den Katalogtexten und in der Realität oft enttäuschender Multimedia-Interaktiv-Erlebnisse nicht zu überzeugen. Eine löbliche Ausnahme bildete LEAF 97, eine Konferenz als organisatorisch eigenständiger Bestandteil, die Leute aus ganz Europa, mit besonderer Betonung des Ostens, zusammenbrachte. Doch der eigentliche Star der Veranstaltung waren, zumindest für ausländische Besucher, die Städte Liverpool und Manchester.

Videokunstobjekt. Foto Manu Luksch

Referenz-URL: www.fact.co.uk/VP97.htm

Erstmals versuchte das seit nunmehr fast zehn Jahren laufende Festival Video Positive, das, wie der Name schon sagt, seinen Ursprung in der Videokunst hat, die Beiträge rund um ein zentrales Thema, "Escaping Gravity" (die Schwerelosigkeit überwinden), zu gruppieren. Den Entwicklungen in den neuen Medien Rechnung tragend, bildete Video darin zwar einen Schwerpunkt, doch man gab sich Mühe, auch CD ROM, WWW und Rauminstallationen aufzubieten. Um einen "kritischen Zugang" ging es den Kuratoren dabei hauptsächlich, wir sollten nicht allein wundergläubig die neuen Technologien anstarren, sondern uns ermuntert fühlen, uns auch von einer humanistischen Position aus kritisch zu nähern. Die "Überwindung der Schwerelosigkeit" sei dabei auch durchaus kritisch zu verstehen, als Eskapismus, als ein Abkapseln in monadenhaftes Einzellertum vor dem Internet-Monitor, als ein Thema, das auch privatistische und ultra-subjektive Kunst zuläßt, die in Kindheitserinnerungen und Ego-Psycho-Tiefen gräbt und Medien benutzt, um sich in theatralischer Gestik von den Ebenen des Öffentlichen und Politischen zu verabschieden.

Zwischen Anspruch und Realität

Diesem Ansatz, der implizit schon ein großes Maß an Medienskeptizismus in sich trägt, mag man folgen oder nicht. Die Meinung schlägt jedoch endgültig ins Negative um, wenn das kuratorische Konzept mit den tatsächlich gezeigten Arbeiten konfrontiert wird. So waren z.B. die Arbeiten, die in der Castlefield Gallery und in der Cornerhouse Gallery in Manchester gezeigt wurden, durchwegs enttäuschend, ja in einzelnen Fällen schon fast ärgerlich, da sie die Betrachter als unimaginative Medienanalphabeten zu antizipieren scheinen.

Das trifft insbesondere auf Arbeiten des deutschen Künstlers Dieter Kiessling zu. Er zeigte u.a. einen an die Wand geschraubten Video-Walkman der Firma Sony. Als Ton wird eine Sonate von Brahms abgespielt. Auf dem LED Display des Videowalkmans ist eine Audiokassette mit der entsprechenden Beschriftung - Brahms, Sonate sowieso - in Drehung befindlich zu sehen. Diese "Arbeit" mag insbesondere für Menschen interessant sein, die noch nie zuvor einen Videowalkman gesehen haben. 1:0 für Sony. Auch die zweite Arbeit, ein in der Luft schwebender Stock (gehalten von transparentem Plastikseil) wird von zwei Videokameras gleichzeitig aufgenommen und über einen Videomischer so auf dem Monitor wiedergegeben, als existierten zwei, sich leicht kreuzende Stöcke. Auch diese Arbeit "unterbricht" - keinesfalls - "die normalen Funktionsweisen dieser Objekte", wie im Katalog behauptet und "fordert auch" - kein - "tieferes Nachdenken über den Charakter der gezeigten Objekte". Wenn schon denn schon wird hier Laien die Funktionsweise eines Videomischers veranschaulicht. 2:0 für Sony.

Ausstellungsbesucher vor Jaap de Jonges Videokaleidoskop. Foto Manu Luksch

Aber auch Jaap De Jonges Kaleidoskop-Projektionen gesampelter Video-schnipsel, Anneé Olafsons Bauchrednerpuppe, Graham Gussins "Fall" oder Jane Prophets "Sarcophagus" bewegten sich auf ähnlichem Niveau und eine Kritik im Detail sei der Leserschaft dieses Artikels erspart.

Der üblichen Praxis folgend, einige "Namen" in der Ausstellung unterzubringen, um damit das Ereignis für die vielen teilnehmenden jungen Künstler (und die Sponsoren) aufzuwerten, wurde in der anglikanischen Kathedrale von Liverpool eine imposante Installation von Bill Viola namens "The Oratoy" gezeigt. Der sakrale Rahmen passte hervorragend für dieses Werk, das unter Ausnützung allerneuester Computerbildbearbeitungstechniken (Produktionskosten angeblich 200.000.- Pfund) einen aus dem Wasser auftauchenden und wieder verschwindenden, männlichen Körper zeigt, eine hypnotisch langsame Endlos-Metamorphose, projiziert auf den Boden der Krypta der Kathedrale.

Ähnlich gigantomanisch die Arbeit "The Order of Things" von Simon Robertshaw in der großen Halle der alten Lagerhäuser an den Liverpooler Docks - die im übrigen vollständig zur Tourismus-Meile mit Schiffahrtsmuseum und überdachter Shopping Mall ausgebaut wurden und hauptsächlich von Schülergruppen und Touristen auf Kaffefahrt frequentiert werden. Robertshaw wird allem Anschein nach zu einem "wichtigen britischen Videokünstler" aufgebaut.

Als zumindest technologisch "cutting edge" und (britisch) humorvoll aufgefallen ist Julie Myers "Pantomime für das Internet" mit dem Titel "Nosey Parker". Die unter den folgenden Web-Sites abrufbare Arbeit www.backspace.org/noseyparker/
www.fact.co.uk/VP97.htm/noseyparker spiegelt das häusliche Innenleben einer britischen Psychogeographie, die zeitlich irgendwann zwischen dem Viktorianischen Zeitalter und den neunziger Jahren anzusiedeln ist. Wer diese Art von Humor mag und wessen Browser Java, sowie Live-Audio und -Video kann, wird mit dieser Web-Site sicherlich eine Menge häuslichen Spaß haben. Die Frage stellt sich allerdings, ob es sich nicht einfach um eine recht gut gemachte Web-Site handelt, und wie es um den Kunst-Aspekt bei dieser Arbeit steht.

Im CD ROM "Forest"

Simulierter Apple-Mac Desktop mit Eigenleben. Foto Manu Luksch

Die gleiche Frage müssen sich auch die zahlreichen vorgestellten CD-ROM Projekte gefallen lassen. So wurde ein ganzer Trakt des "Museums of Science and Industry" in Manchester im 1830 erbauten und somit noch ältesten erhaltenen Eisenbahn-Lagerhaus der Welt den silbernen Digitalscheiben gewidmet. Der Kontrast zwischen den großzügig im Raum verteilten Computerterminals und der von Holzbalken getragenen Struktur des Ziegelbaus hätte jedenfalls kaum größer sein können. Leider bieten weder Programmheft noch Katalog eine Auflistung der gezeigten CD-ROMŽs, die nur unter dem Einheitstitel "CD ROM Forest" abgehandelt werden.

CD ROM des Indischen Community Projekts BICA. Foto Manu Luksch

Positiv aufgefallen sind dabei jedenfalls eine Arbeit, die einen Apple-Desktop simuliert und verrückte Dinge aufführt, wenn der User versucht, die gewohnten Icons in gewohnter Weise zu bedienen, sowie eine CD ROM des BICA-Projekts, ein asiatisches Gemeindezentrum in Birmingham, das via CD-ROM divergierende Identitäten asiatischer Einwanderer in UK zusammenzuführen versucht, von Bollywood (Synonym für das indische Filmproduktionszentrum Bombay) bis zu asiatisch inspirierter zeitgenössischer Dancefloor Musik plus passenden Videoclips.

Pleiten und Pannen

Als Rezensent ist es eigentlich peinlich, auf organisatorische Schwächen von Veranstaltungen hinzuweisen. Wer ein Haar in der Suppe finden will, findet es natürlich immer. Doch die Ungereimtheiten traten bei Video Positiv leider allzu gehäuft in Erscheinung. Die für den Samstag den 12.April angekündigte Aufführung "junger britischer Videokunst" sollte eigentlich eine der Hauptattraktionen des Festivals sein. Mehrfach wurden Besucher darauf hingewiesen, sich wegen des zu befürchtenden Andrangs rechtzeitig Karten im Vorverkauf zu sichern. Zum Vorführungstermin stellte sich allerdings heraus, daß die Mehrzahl der Bänder nicht rechtzeitig angekommen war. So konnte nur ein Video von Joe Ann Kaplan gezeigt werden. Ihr Band "Story of I" fußt auf dem kathartischen Effekt der Texte von Georges Batailles und kontrastiert diese mit sauberen Badewannenszenen und sexuellen Schock-Halluzinationen. Die einlullende Hintergrundmusik, die leiernde Sprecherstimme aus dem Off und die allzu häufigen Verdoppelungen von Bild- und Textinhalt sind jedoch mittlerweile schon etwas abgestandene, typische Ingredienzien von Videokunst. Ob die anderen Videos eher geeignet gewesen wären, "zu bewegen, zu inspirieren und zu schockieren", wie der Katalog nahelegte, konnte mangels Verfügbarkeit allerdings nicht begutachtet werden.

Das I-Tüpfelchen der Negativserie bildete die darauffolgende Aufführung zeitgenössischer japanischer Videokunst. Die als äußerst verfeinert in der Anwendung digitaler und computergenerierter Animationen angepriesenen Videos - also das, was man sich vom High-Tech Land Japan erwarten würde - erwiesen sich zum Großteil als kaum von digitalen Techniken beleckte, rein videografische Arbeiten. "Act Like a Girl" von Mako Idemitsu kann immerhin noch ein gewisser pädagogischer Wert zugesprochen werden, da das etwas längliche Video die Auswirkung traditioneller Geschlechterrollen auf die Kunst in Japan zeigt. Doch der Rest sackte immer weiter ab, bis auf das Niveau schülerhafter Videoskizzen, bei denen sich z.B. zwei junge Männer gegenseitig mit Videokameras auf dem Weg durch Tokyo abfilmen. Ein Video schließlich, das aus sehr wenigen Bildern bestand, aber einer Menge an gesprochenem Text, "glänzte" durch das Fehlen von Untertiteln. All das stellt der Kuratorin dieses Teils, Barbara London vom berühmten New Yorker Museum of Modern Art, kein gutes Zeugnis bezüglich ihrer Kenntnis der japanischen Video/Computerszene aus. Da müssten doch bessere Arbeiten zu finden sein.

Sponsorship und Stadterneuerung in der Ex-Industrieregion

Museumshafen in Liverpool mit Kathedrale im Hintergrund. Foto Manu Luksch

Für von Auswärts kommende Besucher bildeten die Städte Liverpool und Manchester ein faszinierendes Doppelpack als interaktiver 3D Realhintergrund des Medienspektakels. Insbesondere Liverpool, die einst wichtigste Hafenstadt für den transkontinentalen Handel, leidet schwer unter der Umstellung des Wirtschaftssystems. Großbritanniens Außenhandel ist heute viel stärker auf Europa ausgerichtet, Liverpool liegt nun auf der falschen Seite der Insel. Kaum ein Handelsschiff frequentiert noch die Einfahrt des River Mersey, die Docks und Lagerhäuser sind verwaist oder dienen als Museen und Shopping Malls. Ein Aufschwung ist für Liverpool nicht in Sicht.

Stadtentwicklungszone in Manchester. Foto Manu Luksch

Manchester hat den Strukturwandel besser verkraftet. Als einstiges Zentrum der Textilindustrie und in der Kernzone der industriellen Revolution im 19.Jahrhundert liegend, hat sich die Stadt nach einer Phase der Depression in den achtziger Jahren nun wieder erfangen und konnte sich neue Produktions- und Dienstleistungsbereiche erschließen. Vom Konflikt zwischen alt und neu zeugen die zahlreichen Backsteinbauten in der Nähe der Bahnhöfe und des Stadtzentrums, von denen manche noch in desolatem Zustand sind, viele jedoch bereits luxusadaptiert, und nun als Designer- und Architektenbüros, Discos (die berühmte "Hacienda"), Cafes usw. herhalten.

Ein wichtiges Element des wirtschaftlichen Aufschwungs bildet sicherlich der Flughafen, der, neben Frankfurt/M, eine der wichtigsten europäischen Drehscheiben für Transatlantikflüge ist. Es mag also nicht zu verwundern, daß Manchester Airport neben Motorola einer der beiden Hauptsponsoren des Festivals ist. Das wäre vielleicht gar nicht erwähnenswert, wenn sich um diesen Flughafen nicht gerade ein ähnlich brisanter Konflikt entwickeln würde, wie um die "Startbahn West" in Frankfurt in den achtziger Jahren. Aktivisten der D.I.Y.-Culture (Do-It-Yourself), die bereits erfolgreich im "Road Movement" gegen den Bau neuer Autobahnen gekämpft hatten, versuchen den Ausbau des Flughafens zur größten europäischen Drehscheibe zu unterbinden. Sie leben in Baumhäusern und Erdlöchern und verzögern so die anstehenden Erdarbeiten für den Tunnelbau, bzw. führen eine Kostenexplosion herbei, da sie es den Behörden ausgesprochen schwer machen, sie von den Bäumen herunter-, bzw. aus den Erdlöchern herauszuholen. Diese Protestformen der D.I.Y-Leute erfreuen sich in England breiter Zustimmung der "normalen" Leute und eines Teiles der liberalen Presse. So schreibt z.B. "Swampy", ein Held der D.I.Y.-Leute, weil er einmal zwei Wochen in einem Erdloch ausgeharrt hatte, nun eine regelmäßige Kolumne im "Guardian".

Alltag im Camp der D.I.Y Anti-Flughafenprotestler. Foto Manu Luksch

So mag es nicht gerade als ein besonders glücklicher Schachzug der Veranstalter erscheinen, dem Manchester Airport die Rolle eines Hauptsponsors einzuräumen. Die Medienkunst, die eigentlich als gesellschaftlich progressiv und avantgardistisch erscheinen möchte, stellt sich hier an die Seite der Transportgroßindustrie, die eben im Begriff ist, mit Polizeigewalt und "Null-Toleranz" eine andere gesellschaftliche Avantgarde, die D.I.Y.-Protestbewegung, aus der (Start-)Bahn zu knüppeln.

Liverpool und Manchester sind auf der Suche nach einer postindustriellen Identität. Medienkunst als Propagandavehikel und Katalysator - siehe das Modell der ehemaligen Stahlstadt Linz mit der "Ars Electronica" - ist sicherlich ein geeignetes "Pferd" auf das man setzen kann. Die Programmwahl der Festivalkuratoren und die - wahrscheinlich aus finanzieller Not geborene - Partnerschaft mit dem Großflughafen werfen jedoch die unangenehme Frage auf, wie es sich mit der gesellschaftlichen "Progressivität" wirklich verhält. Der Kunst selbst wird wenig Gutes getan, sie darf einmal mehr Feigenblatt für die Interessen der Stadtentwickler und Großindustrialisten sein. Und anstatt vollmundig neue Zeitalter einzuleuten, wäre es wohl passender, die Fortsetzung des "Manchester-Kapitalismus mit anderen Mitteln" vor Ort zu untersuchen.