Vier Monate politische Gefangene in Katalonien
- Vier Monate politische Gefangene in Katalonien
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Über die spanische Repression und die mögliche Amtseinführung von Carles Puigdemont wird vermutlich in Straßburg entschieden
Zehntausende waren am späten Freitag wieder auf den katalanischen Straßen unterwegs, um gegen die spanische Repression zu protestieren und für die Freilassung der politischen Gefangenen einzutreten. Der konkrete Anlass war, dass die beiden "Jordis" weiter inhaftiert sind. Die damaligen Präsidenten der großen zivilgesellschaftlichen Organisationen Òmnium Cultural und Katalanischer Nationalkongress (ANC) waren am Freitag genau vier Monate im Knast (Eskalation in Spanien). Während der ANC-Chef Jordi Sànchez später für das Parlament kandidiert hat und zurücktrat, ist Jordi Cuixart weiter Òmnium-Präsident.
Die Polizei Barcelonas spricht davon, dass sich allein in der Metropole Barcelona 15.000 Menschen auf dem Platz San Jaume vor dem Regierungssitz versammelt haben. Versammlungen und Demonstrationen gab es aber in vielen Städten und Dörfern Kataloniens. In Barcelona hat der Sohn von Sànchez einen Brief von ihm verlesen, in dem er seine starke Sehnsucht danach ausdrückt, "das Meer am Strand zu spüren". Er wisse zwar, dass er zurückkehren werde, aber er macht auch klar, dass er mit der "Ungeduld" zu kämpfen habe. Angesichts offensichtlicher Spannungen, die in den letzten Wochen im Unabhängigkeitslager zu Tage getreten sind, appelliert Sànchez, die "Einigkeit zu wahren", um das Land aufbauen zu können.
Die Demonstranten forderten vor dem Regierungssitz mit Blick auf die spanische Zwangsverwaltung über den Paragraphen 155 derweil, die "Besetzer aus dem Palau zuwerfen". Seit nun fast gut drei Monaten herrscht ein aus Madrid verfügter verdeckter Ausnahmezustand in Katalonien.
Um ihre Forderung nach Freilassung der politischen Gefangenen zu unterstreichen, sind die Demonstranten in Barcelona zum ehemaligen Knast "Model" gezogen. Der wurde 2016 vom ehemaligen Minister der Republikanischen Linken (ERC) Carles Mundó geschlossen. Das war eine sehr klare Anspielung. Denn Mundó gehörte zu denen, die nach der Auflösung der katalanischen Regierung und des Parlaments aus Spanien ebenfalls inhaftiert.
Parallelen zur Türkei
Warum er und die Mehrzahl der ehemaligen Minister inzwischen freigelassen wurden, während der ehemalige Innenminister Joaquin Forn - mit 107 nun eine längere Zeit inhaftiert, als er Minister war - oder der ERC-Chef Oriol Junqueras noch inhaftiert sind und keine Haftverschonung erhalten, erschließt sich auch aus juristischer Sicht nicht. Der "legitime" Präsident Carles Puigdemont meint, es seien "Geiseln".
Schaut man sich die immer politischeren Begründungen des zuständigen Richters Pablo Llarena an, mit der er ihnen eine Freilassung genauso verweigert wie die Teilnahme an Parlamentssitzungen, dann drängt sich dieser Eindruck tatsächlich auf (Verdeckter Ausnahmezustand). Dies durften einst sogar in den harten Jahren des bewaffneten Kampfs der ETA deren Untersuchungshäftlinge. Es drängen sich Parallelen zum Vorgehen der Türkei auf, wie die absurde Inhaftierung und Freilassung des Journalisten Deniz Yücel.
International wird der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy immer öfter, auch von Gegnern der katalanischen Unabhängigkeit, mit dem türkischen Erdogan verglichen. Jean Quatremer, französischer Journalist der Tageszeitung Libération in Brüssel, meint: "Rajoys intellektueller Prozess ist derselbe wie Erdogans." Deshalb kommt der Gegner von Unabhängigkeitsbewegungen zu dem Ergebnis, auch er würde bei einem katalanischen Referendum für die Abspaltung stimmen, "um sich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen". Er kommt ebenfalls zu dem klaren Ergebnis, dass die einzige Gewalt vom spanischen Staat ausgeht und nicht von der Unabhängigkeitsbewegung.
Tatsächlich versucht die spanische Justiz für ihre "Rebellion"-Anklagen gegen die ehemaligen Regierungsmitglieder eine potentielle Gewalt zu konstruieren, die es real nie gegeben hat. Denn Gewalt ist für Anklagen wie Rebellion oder Aufruhr nötig. Für Rebellion ist sogar eine "gewaltsame öffentliche Erhebung" nötig, weshalb führende Juristen und Verfassungsrechtler die Anklagen für "grotesk" halten.
Umso grotesker ist es dann, dass die Jordis mit nun vier Monaten sogar am längsten inhaftiert sind, die nur des "Aufruhrs" beschuldigt werden. Dafür drohen, im Gegensatz zur Rebellion, "nur" bis zu 15 statt bis zu 30 Jahre Haft. So ist kaum verwunderlich, wenn auf der Kundgebung am Freitag in Barcelona davon gesprochen wurde, dass die Jordis "aus politischen Gründen vom Staat inhaftiert sind".
Es ist auch mehr als aussagekräftig, dass Drahtzieher der staatlichen Todesschwadrone GAL, wie der sozialdemokratische Innenminister José Barrionuevo, nur insgesamt 105 Tage inhaftiert war. In Untersuchungshaft kam er für die Entführung eines französischen Unternehmers nie und dann nach der Inhaftierung schnell begnadigt. Dass sogar verurteilte Mörder in Staatsauftrag besser behandelt werden, ist kein Geheimnis (Staatlicher Mörder legt Geständnis ab).
Angesichts derlei Vorgänge, forderte der ehemalige Chef der spanischen Linkspartei Podemos in Katalonien "alle Demokraten im Staat" am Model-Knast zum Protest auf. Albano-Dante Fachin erklärte, angesichts von "Scham und Ungerechtigkeit", müsse man sich der "tiefen demokratischen Werte" verpflichten, welche die Jordis stets verteidigt hätten: "In Katalonien wurde eine Schlacht entfesselt, in der wie, wenn sie verlorengeht, alle verlieren werden."
PP will Katalanisch aus dem Unterricht verbannen
Einen breiteren Raum nahm bei den Protesten auch die neu angestoßene Debatte ein, dass die postfaschistische spanische Regierung nun erneut die Axt an die Sprachenrechte in Katalonien anlegen will. Angesichts der Tatsache, dass die Zwangswahlen am 21. Dezember für Rajoys Volkspartei (PP) zum Rohrkrepierer wurden, seine PP sogar auf 4% abgestürzt ist, auf der Rechten in Katalonien schon von den "Ciudadanos" (Bürger/Cs) abgelöst wurde, ist eine Art Wettkampf zwischen PP und Cs ausgebrochen, wer die größere Axt über den 155 an der katalanischen Autonomie ansetzt.
Bekannt ist, dass der PP-Kultusminister Wert einst erklärt hatte, man wolle aus die Katalanen über das Bildungssystem "spanischer" machen. Nun will die Partei, die von 4% der Katalanen unterstützt wird, Katalanisch als zentrale Unterrichtssprache in Katalonien aus den Schulen verbannen, wie der Regierungssprecher am Freitag mehr oder weniger undeutlich angekündigt.
Das zielt natürlich vor allem auf spanische Wähler, denn in Katalonien ist damit kein Blumentopf zu gewinnen. Praktisch alle Parteien, wie die Proteste gegen die absurden Vorstellungen zeigen, die unter der Franco-Diktatur verbotene Sprache wieder heftig anzugreifen, lehnen das Vorgehen ab. Sogar die spanischen Sozialdemokraten (PSOE), die den Einsatz des 155 gestützt haben, kritisieren das.
Angesichts des Überbietungswettbewerbs in der spanischen Rechten, wer autoritärer ist, ist längst auch klar, dass die Rajoys PP vorzeitige Neuwahlen genauso befürchtet wie die Tatsache, dass die neoliberalen "Bürger" die PP auch auf nationaler Ebene überflügeln könnten. Das prognostizieren diverse Umfragen inzwischen. Der Machtkampf zwischen beiden Seiten eskaliert zusehends, da die Cs auch die PP wegen immer neuer Korruptionsskandale angreifen. Die PP hat längst keine Mehrheit mehr und erhält nicht einmal mit den Cs auf eine Regierungsfähigkeit. Die Cs können also die PP jederzeit fallen lassen und das frühzeitige Ende der Rajoy-Regierung erzwingen. Es dämmert der PP so langsam, dass der PP-Aussteiger und Cs-Chef Albert Rivera die katalanische Frage nur instrumentalisiert, um seine alten postfaschistischen Freunden auf nationaler zu beerben.