Virtuelle Bundestagswahl

Wie entscheiden sich die Online-Wähler?

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Wenn es schon Briefwahl gibt, warum sollte man nicht gleich online wählen? Bequemer wäre es auf jeden Fall, aber ob diese Möglichkeit die Politikverdrossenen anlocken würde, ist bezweifelbar. Wahlenthaltung oder einfach Gleichgültigkeit liegt ja nicht nur daran, an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Stunde an einen bestimmten Ort gehen zu müssen und dort seine Wahlentscheidung zu treffen oder die Unterlagen für die Briefwahl rechtzeitig anzufordern. Vielleicht aber wäre es doch ein kleinerer Schritt, den manche unternehmen würden, weil sie mit den unzeitgemäßen und nicht mehr notwendigen Bedingungen des Wählens haderns.

Studenten der Universität Osnabrück unter der Leitung des Soziologieprofessors Dieter Otten wollen jedenfalls zu dieser Bundestagswahl im Rahmen einer Lehrveranstaltung einmal die Möglichkeiten einer Online-Stimmabgabe erkunden. Dazu haben sie über die real existierenden 328 Wahlkreise hinaus einen virtuellen Wahlkreis 329 eingerichtet. Ab Mitte August können wahlberechtigte Bürger hier einen Stimmzettel mit einer codierten Zugangsnummer beantragen, um dann zwischen dem 20. und 27. September ihren Stimmzettel auszufüllen und einzusenden.

Gewählt können mit der Erststimme nur die jeweiligen Spitzenkandidaten der Bundestagsparteien. Mit der Zweitstimme entscheidet man sich ganz gewohnt für eine Partei. Die Wähler sollen anonym bleiben, gezählt werden nur die abgegebenen Stimmen.

Erforscht werden sollen mit diesem Bundestagswahlspiel die "technischen, rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen" für virtuelle Wahlen, um die Politiker dazu zu bringen, das Internet auch als Alternative zur Briefwahl zu nutzen. Interessiert ist man auch daran, wie und ob sich das Wahlergebnis der Online-Bürger vom Ergebnis der tatsächlichen Bundestagswahl unterscheidet: "Sie können demonstrieren, wo das Netz politisch steht, denn die 'Internet Bürger' wählen wohl anders als das 'Rest-Volk'. Allein das zu dokumentieren wäre schon wichtig." Damit mehr Menschen sich beteiligen, kann derjenige eine Reise nach Japan gewinnen, der am genauesten den Ausgang der wirklichen Bundestagswahl vorausgesagt hat.

Der Lehrstuhl des Politikwissenschaftlers Winand Gellner verfolgt mit seiner Umfrage Wählen Sie Ihre Meinung, "wie sich diverse politische Standpunkte auf die Parteienlandschaft verteilen. Dieser Erkenntnisprozeß vermag zur kritischen Überprüfung der individuellen parteipolitischen Präferenz und somit zu einer - undogmatischen, von Vorurteilen befreiten - politischen Willensbildung beizutragen." Der Fragebogen "Wählen Sie Ihre Meinung" ist bis 27.09.1998 (Bundestagswahl) im Internet zu finden. Die Auswertung mag bei manchen zu Überraschungen führen.

Wahlkampf 98 ist ein umfassendes und permanent aktualisiertes Informationsangebot zu den Bundestagswahlen. Die Landeszentrale für politische Bildung NRW hat für Interessierte einen Wahlserver www.wahlen-98.de eingerichtet, der Wissenswertes zu Wahlen in Deutschland und anderswo, kommentierte Links zu aktuellen Themen, Glossaren und Institutionen sowie einen NetGuide zu vielen anderen Angeboten anbietet. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung bietet ein Wahlspecial an. Dann gibt es natürlich noch die Wahlbörse Wahl$treet.de (Wahlergebnisse zu verkaufen!), bei der es nicht nur ums Geld, sondern auch um die Erstellung von Wahlprognosen geht.