Volkswagen - eine Verbrecherorganisation?

Seite 4: Die Frage nach Organisation und persönlicher Einstandspflicht

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Den Aufsichtsrat trifft die Verantwortlichkeit sich rechtzeitig sachverständigen Rat einzuholen (vgl. LG München, Urteil vom 31.05.2007, in: NZI 2007, 609), denn er hat neben der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit auch die Rechtmäßigkeit zu überwachen, §§ 116, 93 AktG: Darin ist nicht ausnahmslos auch die Pflicht eingeschlossen, beim Vorstand etwaige Schäden zu regressieren (BGH, Urteil vom 21.04.1997, in: NJW 1997, 1926 f.).

Auch den Vorstand trifft die Beweislast für seine Sorgfalt bei der Amtsführung (BGH, Beschluss vom 18.02.2008, Az. II ZR 62/07). Den Maßstab der Gesamtverantwortung des Vorstandes beschreibt der BGH in seinem Urteil vom 20.09.2011 (Az. II ZR 234/09): "Der organschaftliche Vertreter einer Gesellschaft, der selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, kann den strengen Anforderungen an eine ihm obliegende Prüfung der Rechtslage und an die Beachtung von Gesetz und Rechtsprechung nur genügen, wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht.". Wenn sorgfältig dokumentiert und begutachtet wurde, können Ermittlungen rasch abgeschlossen sein.

Einige ehemalige Geschäftsleiter standen mit ein- und mehrstelligen Abfindungsbeträgen in der Presse. Derweil erfolgten die tatsächlichen Zahlungen bisweilen allein an den Haftpflichtversicherer oder eine Managerversicherung zur Kompensation. Besonders brisant wird es, wenn eine unerlaubte Handlung im Raum steht - denn diesbezüglich gibt es bei Insolvenz im Inland kaum eine Aussicht wenigstens nach einigen Jahren die Gläubiger durch Restschuldbefreiung wieder abzuschütteln.

Mancher Manager musste sich bereits über Jahre - trotz bis zu mehr als 20.000 Euro monatlicher betrieblicher Altersversorgung - mit dem pfändungsfreien Betrag von derzeit 1.073,88 Euro begnügen, um den angerichteten Schaden zu kompensieren, beispielsweise weil eine Manager-Versicherung dies vorgestreckt hatte, jedoch die Versicherungsbedingungen unnötigerweise Regressmöglichkeiten vorgesehen hatten. Ein Betriebswirt in der Revision wird dies kaum erkennen.

Verhaltensänderung führt zur Enthaftung bezüglich RICO Act

Wenn es um RICO geht, was den Schaden verdreifachen würde, spielt es eine Rolle, ob eine Fortsetzung des Verhaltens zu befürchten ist. Da ist es hilfreich, wenn das Unternehmen durch alle tatsächlichen Maßnahmen und Ankündigungen zur unverzüglichen Umsetzung zeigt, dass es sich umfassend geläutert hat:

"Ich gebe Ihnen mein Wort, bei all dem werden wir mit der nötigen Transparenz und Offenheit vorgehen", sagte Winterkorn. "Wir werden alles tun, um Ihr Vertrauen Schritt für Schritt zurückzugewinnen."

Winterkorn sprach nicht von einem Rücktritt, bat aber um Entschuldigung. "Es tut mir unendlich leid, dass wir dieses Vertrauen enttäuscht haben. Ich entschuldige mich in aller Form bei unseren Kunden, bei den Behörden und der gesamten Öffentlichkeit für das Fehlverhalten."

VW und Manipulation - das dürfe es nie wieder geben, sagte Winterkorn. "Die Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren unseres Konzerns widersprechen allem, für was Volkswagen steht. Auch ich habe zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Antworten auf alle Fragen."

Geständnis einer erlaubten Manipulation?

EPA lag der Programmiercode der Software für die Motorsteuerung nicht vor, und die Feststellungen von EPA waren nicht geeignet, eine gezielte Manipulation nur für den Prüfstand tatsächlich - über Indizien hinaus - zu belegen.

EPA hat gedroht, dass das 2016-Modell nicht zugelassen würde - nur daraufhin gab VW zu, gezielt manipuliert zu haben.

Wenn man sich nun aber den weiteren Verlauf betrachtet, wusste VW gar nicht, ob VW gezielt (und unerlaubt) manipuliert hat. VW hätte auch die (bereits ein Jahr geführte) Diskussion durchfechten können und es auf einen Streit mit EPA ankommen lassen. Der Schaden einer ggf. Nichtzulassung des 2016er-Modells in USA wäre vielleicht geringer gewesen?

Bisher handelt es sich also um das Eingestehen eines Vorwurfs, der ggf. unberechtigt ist, um größeren Schaden zu vermeiden - im Nachhinein wohl eine Fehlentscheidung, oder auch nicht.

Offenbar weiß VW auch heute noch nicht, ob die - objektiv nun einmal so funktionierende - Software tatsächlich gezielt die Messungen beim Abgastest manipulieren sollte. Erst recht nicht, wer dies auf welche Weise beauftragt und umgesetzt haben soll.

Strafloses Wahndelikt?

Dem Eindruck nach hat VW etwas zugegeben, ohne vorher selbst genauer geprüft zu haben, ob der Vorwurf überhaupt zutrifft. Auch bis jetzt ist dies offenbar nicht bekannt. Nur sagt dies niemand, sondern man unterstellt die gezielte Manipulation, weis aber nicht, wer denn nun eigentlich gezielt unerlaubt manipuliert haben soll. Die Dinge entwickeln damit eine Eigendynamik, man kann nicht zurück. Man muss ggf. Schuldige präsentieren, obwohl es gar keine gibt, und auch gar nicht gezielt "manipuliert" wurde beziehungsweise ohne dass im Rechtssinne dies selbst bei Offenlegung aller Tatsachen nachweisbar wäre.

Wenn ein Täter eine Handlung einräumt, die er rechtsirrig für strafbar hält, so spricht man vom straflosen Wahndelikt bzw. Putativdelikt. So etwas passierte auch neulich einem renommierten Strafverteidiger, der seinem Mandanten riet, als Geständnis im Rahmen eines "Deals" der Staatsanwaltschaft zu sagen: "Im Jahre 2013 fasste ich den Beschluss, meine Steuern für das damals gegenwärtige Jahr zu hinterziehen." Ein Wahndelikt, weil man den Vorsatz betreffend Steuern aus 2013 erst dann fassen kann, wenn im Folgejahr 2014 die Deklarationspflicht gesetzlich entstanden war. Die Staatsanwaltschaft bemerkte dies bisher offenbar nicht. Alle die später noch wegen Beihilfe verfolgt werden, dürften sich auf die Schenkel klatschen - denn Beihilfe zu straflosem Verhalten bleibt straflos.

Dann hätte man es bei VW erst in diesem Jahr mit einer Fehlentscheidung in der Krisen-PR zu tun, und der Focus würde sich später auf noch ganz andere Handlungen und Beteiligte richten. Man kann nur vermuten dass derjenige, der in USA die Manipulation eingestanden hat, auch nicht wusste, ob denn tatsächlich manipuliert wurde. Dass der Vorstand und Aufsichtsrat von VW bereit war, dies ohne eigenes Wissen zu glauben, und schon einmal die vermeintlich Schuldigen für eine lediglich vermutete Tat in die Verantwortung zu nehmen, könnte immerhin zeigen, dass VW sich dieses Verhalten zutraut.

Dr. Johannes Fiala ist RA (München), VB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann. Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung.