Vom Telefon zur Subkultur

Shanzhai - die selbstbewusste Kopie

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"Das Original", so Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in ihrer Kampagne für Monopolrechte, sei "immer besser als die Kopie!" Allerdings hält dieser Satz weder der Realität noch der historischen Rückschau stand.

Ein Beispiel, bei dem Kopien mehr bieten als das Original, ist das iPhone, das es von Apple nur mit künstlichen Sperren gibt, aus China dagegen mit praktischen Features wie der Anrufannahme durch Handschütteln. Andere iPhone-Verbesserungen sind das HiPhone (dessen Hersteller mit dem Slogan "not iPhone, better than iPhone" warb), das SciPhone oder das iOrgane.

iOrgane

All diese Gerät sind "Shanzhai". Der Name bedeutet eigentlich "Bergfestung" und diente früher auch zur Beschreibung der oftmals recht zentralstaatsunabhängigen und gleichzeitig selbstbewussten Bewohner schwer zugänglicher Habitate, wie sie etwa in der Erzählung über die Rebellen vom Liang Shan Po geschildert werden. Seine heutige Bedeutung nahm das Wort in der Provinz Kanton an, wo es erst kleine Fabriken im Hinterland von Hongkong und später Produkte bezeichnete, die in solchen Fabriken entstanden.

Die wichtigsten dieser Produkte sind Mobiltelefone. Man schätzt, dass sie etwa ein Zehntel des Weltmarktes ausmachen. Verkauft werden sie nicht nur in China, sondern auch in den umliegenden asiatischen Ländern, Osteuropa und Afrika. Während man bei Markengeräten alleine für den Namen einen sehr hohen Preis zahlt, sind die häufig funktionsüberlegenen Geräte aus China deutlich günstiger. Dieser Preisvorteil ergibt sich nicht nur aus dem Wegfall von Entwicklungskosten, sondern vor allem aus gesparten Aufwendungen für Marketing. Die eigentlichen Herstellungskosten machen nach Aussage eines ehemaligen LG-Angestellten lediglich ein Fünftel des Abgabepreises eines Mobiltelefons aus, während der Rest "größtenteils für Fernsehwerbung und Vertreter verbrannt wird".

Der Vorteil solcher Geräte liegt jedoch nicht nur im Preis und im Funktionsumfang, sondern auch im Design, das eine größere Bandbreite aufweist als das der Markenprodukte. So gibt es unter anderem Shanzhai-Handys, die aussehen wie eine Packung der beliebten Zigarettenmarke Zhong Hua oder solche mit der Aufschrift "Obama" und dem Slogan "yes we can", die vor allem in Afrika ein Verkaufserfolg wurden. Wieder andere versuchen das Design von BMW oder Mercedes Benz zu imitieren und bieten den Besitzern solcher Wagen die Möglichkeit der Pflege einer gewissen stilistischen Einheitlichkeit.

Gekauft werden diese Telefone aber auch deshalb gerne, weil sich der angebliche Qualitätsvorteil von Markenprodukten zu einem immer größeren Teil als bloße Marktingbehauptung entpuppte: So riefen in den letzten Jahren gerade besonders teure Firmen wie Apple und Sony immer wieder ins Gedächtnis, dass man bei jedem Kauf ein Risiko eingeht. Und im Telefonhotline-Zeitalter ist der Garantieservice auch bei Markenprodukten häufig so mies, dass es sich bereits ab einem relativ niedrigen Stundenlohn rechnet, keine Zeit in Reklamationen zu investieren, sondern sich einfach ein neues Gerät zu kaufen. Zudem müssen Verbraucher auch Shanzhai-Geräte keineswegs als Katze im Sack erwerben: Auf shanzhaiji.cn und anderen Seiten werden solche Produkte ausführlich und erscheinungsnah getestet, so dass zumindest größere Nachteile selten unerkannt bleiben.

Ästhetische Alternative zum Ernstnehmen von Symbolen der Macht

Mittlerweile hat der Begriff Shanzhai seine negativen Konnotationen weitgehend verloren und dient auch zur Benennung anderer Kopierphänomene, bei denen keine originalgetreuen Nachbildungen entstehen. Unter anderem wurde das im letzten Jahr von den Yes Men gedruckte und verteilte Imitat der New York Times mit der Meldung vom Ende des Irakkrieges in chinesischen Medien als Shanzhai-Version bezeichnet.

Shanzhai beginnt allerdings erst dort, wo die Kopie vom Original abweicht. Teilweise sind die damit beschriebenen Produkte klassische Exponate dessen, was Lawrence Lessig in seinem neuen Buch als Remix-Kultur beschreibt: Sie erstellen Neues aus vorhandenen Einheiten, wobei diese durch bessere technische Möglichkeiten freilich etwas größer sind als Buchstaben, Silben oder Farben. Dadurch sind Shanzhai-Kopien auch Originale, die teilweise wieder kopiert werden, wie es etwa dem bereits erwähnten HiPhone geschah.

SciPhone

Beim Shanzhai-Kopieren kann es sich durchaus um einen spielerischen oder ironischen Umgang mit dem Orginal handeln, wie er in manchen ähnlichen und doch ganz eigenen Verballhornungen von Markennamen und Designs zum Ausdruck kommt - etwa, wenn aus "Puma" "Punk" wird und das Raubtier-Logo einen Irokesenschnitt verpasst bekommt. Als Shanzhai gelten deshalb auch umgebaute Autos, die auf Eisenbahnschienen fahren, auf Panda umgefärbte Hunde und ein wörtlich genommener Nachbau des Pekinger Olympiastadions, des "Vogelnests".

Ebenfalls Shanzhai sind Veranstaltungen und Sendungen, die selbstbewusst und häufig augenzwinkernd pompöse Ereignisse imitieren. Vor allem CCTV, eine Art chinesisches ZDF, inspiriert mit seinen Sendungen viele Shanzhai-Produzenten. Han Jiangxue, ein Pekinger, der mit einer Reihe über die Song-Zeit beim Staatsfernsehen abblitzte, landete mit einer selbst produzierten Version einer bekannten Bildungssendung einen Publikumshit. Eine andere Shanzhai-Sendung ist die Verfilmung des Literaturklassikers Hong Lou Meng, die ein Student ausschließlich mit Familienmitgliedern bestritt, welche teilweise auch ohne Rolle mit ganz normalen Alltagsaktivitäten im Bild sind. Der größte Shanzhai-Fernseherfolg aber ist eine Guerilla-Version der Neujahrsgala auf dem Internet-Sender CCSTV ("China Countryside Television"), bei dem der Hausmeister des Bürogebäudes als Kameramann fungiert.

Mittlerweile debattiert man das Phänomen auch in den großen chinesischen Medien. Von offizieller Seite wird das Shanzhai-Selbstbewusstsein dabei häufig kritisiert, allerdings gibt es auch Gegenstimmen, die den schöpferischen Anteil betonen. Die eher kritische Beäugung von Staats wegen dürfte dabei nicht nur mit Rücksicht auf die Rechteinhaberindustrie des Westens geschehen (die mittlerweile auch in China selbst eine bedeutsame Lobby hat), sondern möglicherweise auch deshalb, weil Shanzhai eine ästhetische Alternative zum Ernstnehmen von Symbolen der Macht bietet, wie sie der Soziologe Dick Hebdige Ende der 1970er Jahre in seinem Buch Subculture beschrieb.