Vom braven Bürger zum braunen Würger

Seite 4: Kampf um die Hegemonie

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Neben den dargelegten ideologischen und identitären Kontininuitätslinien, wie Sozialdarwinismus und Standortnationalismus, ist es somit diese liberale Marktfreiheit, die eigentlich nur die Einsicht in die Notwendigkeit der Unterwerfung unter die Sachzwänge der Kapitalverwertung meint, die in Krisenzeiten das zuverlässigste Bindeglied zwischen den angstschwitzenden braven Bürger und dem wutschnaubenden braunen Würger bildet.

Die "einfachen Wahrheiten", die der Neuen Rechten die Hoheit in den Talkrunden und an den Stammtischen bescheren, erscheinen dem Bürger gerade deswegen so selbstverständlich, weil sie das manifest machen, was an barbarischen Potenzial in Neoliberalismus schon latent akkumuliert wurde.

Aufbauend auf diesem breiten, gemeinsamen Fundament, kann die Neue Rechte im Rahmen einer erfolgreichen, an Gramsci angelehnten Hegemonialstrategie daran gehen, den in offene Verwesung übergehenden Neoliberalismus zu beerben.

Das geschieht, indem seine ideologischen und identitären Zerfallsprodukte übernommen und ins Extrem getrieben werden: Neoliberaler Sozialdarwinismus, Ressentimentproduktion gegen Marginalisierte, stupider Standortnationalismus in seiner Eigenschaft als sozialer Kleister, als Freiheit titulierte Unterwerfung unter die sich zuspitzenden Sachzwänge des Verwertungsprozesses bilden den neoliberalen Morast, in dem die Neue Rechte sich formierte.

Im Kern besteht diese neurechte Strategie aus fortwährenden zivilisatorischen Tabubrüchen, bei denen eben die Barbarei manifest gemacht wird, die latent schon in der neoliberal deformierten Gesellschaft schlummert und auf den Durchbruch an die Öffentlichkeit wartet. Deswegen folgt - seit Sarrazin schon - auf die Empörung über den "Tabubruch" eine reaktionäre Gegenbewegung, bei der Bräunlinge sich als Opfer politischer Korrektheit und als mutige Tabubrecher darstellen, die eigentlich nur aussprechen würden, was viele insgeheim dächten.

Das Manifest-Machen des latenten barbarischen Potenzials des Neoliberalismus bildet somit den Kern der Hegemonialstrategie der Neuen Rechten, die die vom Neoliberalismus in der Sozial- und Wirtschaftspolitik eingeleitete Rechtsverschiebung des politischen Spektrums in vielen anderen Bereichen fortsetzt.

Und das stimmt ja auch - viele denken so wie Sarrazin, Gauland, Höcke. Viele in der CDU und FDP sind der Meinung, das etwa Flüchtlinge an den Grenzen erschossen gehören, dass man stolz sein müsse auf die Leistungen der Wehrmacht, oder das die Zeit reif sei für eine Koalition mit Faschisten, da Deutschland in Gefahr sei.

Und die Gefahr muss von links kommen - auch wenn die Linke niemals harmloser war als heutzutage, wie ein kurzer Blick ins zeithistorische Archiv zeigen würde. Ein zentrales ideologisches Vehikel bei diesem reaktionären Hegemonialkampf, der einer bürgerlich-braunen Front vorarbeitet, bildet die Extremismustheorie mit ihrer Gleichsetzung von Links und Rechts.

Diese "Hufeisentheorie" geht mit dem Aufbau der Chimäre einer linksextremistischen Bedrohung einer in Wahrheit nach rechts abdriftenden Bundesrepublik einher, in der inzwischen der Rechtsterrorismus um sich greift. Dieses alte, schon in den 1950er Jahren von der CIA verbreitete Ideologem verdankt seine Popularität der Denkfaulheit, zu der es einlädt. Von konkreten politischen Inhalten, die zumeist entgegengesetzt sind, wird dabei abgesehen, um sich auf Äußerlichkeit zu kaprizieren.

Antifaschisten, die militant gegen Nazis vorgehen, sind somit die neuen Nazis, weil sie militant sind. Genauso kann die bieder-sozialdemokratische Linkspartei eines kreuzbraven Pilzsammlers wie Bodo Ramelow mit der AfD eines Faschisten wie Höcke gleichgesetzt werden. Die ersten Versuche der FDP, die Braunfront von Erfurt zu rechtfertigen, beruhten gerade auf dieser "Extremismustheorie", wonach man mit einem Kandidaten der Mitte Thüringen vor der roten Gefahr bewahrt habe.

Und eigentlich ist dies auch das Ziel des rechten Kampfes um gesellschaftliche Hegemonie - man will die "Mitte" okkupieren, um Faschismus zur Normalität zu machen. Eigentlich muss die Neue Rechte nur noch bis zum nächsten großen Krisenschub warten, bis auch die "Mitte" soweit sein wird, dies zu akzeptieren.

Ein Kardinalfehler der Linken in der Bundesrepublik bestand bislang darin, sich dieser rechten Diskursstrategie anzupassen, um so auf Zuspruch seitens der ressentimentgeladenen Wählerschaft zu hoffen. Auch Bodo Ramelow hat dahingehend seiner eigenen Abwahl vorgearbeitet, als er auf die Extremismustheorie rekurrierend Antifaschisten vorwarf, Nazi-Methoden anzuwenden.

Gegenstrategien zur Normalisierung der Neuen Rechten

Erfolgversprechende, progressive Gegenstrategien müssten somit vor allem darauf abzielen, eine "Normalisierung" der Neuen Rechten und des drohenden Faschismus im 21. Jahrhundert zu verhindern. Zum einen gilt es, die Marginalisierung des Personals sowie der Ideologie der AfD zu forcieren, vor allem in der Öffentlichkeit - falls dies überhaupt noch möglich ist.

Die Gleichsetzung von rechts und links, samt der absurden Konstruktion einer linksextremistischen Gefahr in der Bundesrepublik müsste hierbei entschieden bekämpft werden, da sie ein zentrales Element ist, mit dem die bürgerlich-braune Front operiert.

Letztendlich geht es um eine offene Konfrontation mit der Ideologie der Neuen Rechten, die nur in bei offensiver Auseinandersetzung noch zurückgedrängt werden könnte, indem dem barbarischen Unrat, der dort propagiert wird, der Schleier der Normalität entrissen wird.

Dies kann aber nur gelingen, wenn die krisengebeutelte spätkapitalistische Gesellschaft, deren Mitte den Faschismus ausbrütet, in die Kritik miteinbezogen wird, der antifaschistische Kampf somit mit einer Kritik des in Faschisierung befindlichen Kapitalismus gekoppelt wird, um emanzipatorische, postkapitalistische Alternativen zum Abstieg in faschistische Barbarei aufzuzeigen. Gerade in der gegenwärtigen Systemkrise gilt somit die Maxime: "Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen."