Von Bombenbauern und Klimaverträgen

Die Energie- und Klimawochenschau: In der Oberpfalz jährt sich der erfolgreiche Widerstand gegen die Wackersdorfer Plutoniumfabrik und in Paris gelang ein diplomatischer Durchbruch

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In Paris ist, wie berichtet, am Wochenende die diesjährige UN-Klimakonferenz zu Ende gegangen. Doch bevor wir einen Blick auf ihre Ergebnisse und die zum Teil ausufernde Polizeigewalt in ihrem Umfeld werfen sei an einen wichtigen Jahrestag aus der Geschichte der Anti-AKW-Bewegung erinnert: Am 14. Dezember vor 30 Jahren besetzten 40.000 Demonstranten im oberpfälzischen Wackersdorf den Bauplatz der geplanten WAA.

Hinter diesem Kürzel, das in der zweiten Hälfte der 1988er vermutlich der Mehrheit der Bevölkerung geläufig gewesen sein dürfte, verbirgt sich der etwas euphemistische Begriff einer Wiederaufarbeitungsanlage. Die Franzosen sind da direkter und sprechen von Plutoniumfabrik (usine de plutonium), was die Sache besser beschreibt. Denn in einer solchen Anlage wird aus den in den AKW abgebrannten Brennstäben das Plutonium extrahiert.

Dieses ist ebenfalls höchst radioaktiv und damit als Energielieferant geeignet. Zusammen mit angereichertem Uran wird es zu sogenannten Mischoxid verarbeitet, aus dem wiederum neue Brennstäbe gemacht werden. In Deutschland waren derartige Brennstäbe 2011 in zehn der damals noch 17 Reaktoren im Einsatz. In gewisser Weise erzeugen die AKW damit einen Teil ihres Brennstoffes selbst.

Das hört sich zunächst ganz clever an, doch die Tücken liegen im Detail. Die notwendigen Prozesse sind aufwendig und erfordern nicht nur viel Energie, sondern vor allem auch erhebliche Sicherheitsmaßnahmen. Plutonium ist nämlich zum einen extrem giftig und kann zum anderen aufgrund seiner hohen Radioaktivität schon in kleinsten Dosen Krebs auslösen. Einige Billionstel Gramm reichen dafür, sofern sie inhaliert werden. Hinzu kommt, dass das Plutonium auch für den Atombombenbau geeignet ist.

Zwar hat das Reaktorplutonium ein deutlich anderes Isotopen-Mischungsverhältnis als das der herkömmlichen Plutoniumbomben. Doch das ist nicht unbedingt ein Hinderungsgrund, wie Victor Gilinsky, Mitglied der US-Atombehörde Nuclear Regulatory Commission, schon 1977 warnte (Technology Review, Februar 1977, Seite 58 bis 65): "(...) Reaktorplutonium kann in allen Abstufungen technologischer Finesse für atomare Sprengköpfe verwendet werden."

Die deutsche Atombombe

Der CSU-Übervater und seinerzeitige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß hatte sich für Wackersdorf als Standort der WAA stark gemacht. Zuvor musste sein niedersächsischer Amtskollege Ernst Albrecht (CDU), der Vater der aktuellen Verteidigungsministerin, 1979 einsehen, dass eine solche Anlage in Gorleben nicht durchzusetzen war. 100.000 hatten am 25. März des gleichen Jahres in Hannover im Rahmen des legendären Gorleben-Trecks gegen seine entsprechenden Pläne demonstriert. Das war die bis dahin größte Demonstration der westdeutschen Anti-AKW-Bewegung gewesen.

Strauß dachte, derlei könne ihn bei den konservativen Oberpfälzern nicht geschehen. Eine "rasche und ungestörte Realisierung" versprach er der Industrie für die mit zehn Milliarden Mark größte Industrieinvestition in der damaligen Bundesrepublik, wie es seinerzeit in einem Beitrag des ARD-Magazins Monitor hieß.

Strauß war bis 1962 - das war seinerzeit noch nicht so lange her - Verteidigungsminister unter Konrad Adenauer (CDU) gewesen. Als solcher hatte er sich für die Ausstattung der gerade erst von alten Nazi-Generälen aufgebauten Bundeswehr mit Atomwaffen stark und bei der damaligen Friedensbewegung unbeliebt gemacht. Mancher traute ihm zu, dass sein starkes Interesse an der WAA auch damit zu tun hatte, dass er diese Plänen noch immer nicht ganz aufgegeben hatte. Schließlich gehörte er in den Zeiten des noch andauernden Kalten Krieges in Westdeutschland zu einem der Scharfmacher.

Einige scheinen ja weitere 30 Jahre später immer noch von einer deutschen Bombe zu träumen. -- Oder wie ist es zu bewerten, dass am 8. Dezember der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen nahezu zeitgleich zur Fusion deutscher und französischer Rüstungskonzerne in der UN-Vollversammlungen gegen verschiedene Entschließungen stimmt bzw. sich der der Stimme enthält, die das Verbot aller Atomwaffen fordern und dessen Umsetzung vorbereiten sollen?

Aus dem Video "18 Tage Freies Wackerland" von der Medienwerkstatt Franken.

Aus Unmut wird Widerstand

Im fränkischen Wackersdorf brachte die Aussicht auf die gefährliche Plutoniumfabrik mit ihren vielen Strahlenmülltransporten und radioaktiven Abwässern die Bevölkerung jedenfalls rasch auf die Palme. Schon ab 1981 bildeten sich erste Bürgerinitiativen. Die Gerichte hatten sich mit über 80.000 Einwendungen gegen das Vorhaben zu beschäftigen.

Im Februar 1985 gab es eine erste Großdemonstration mit 40.000 Teilnehmern in der Kreisstadt Schwandorf und am 14. Dezember 1985 wurde von ebenso vielen der Bauplatz besetzt. Einige Tausend richteten sich für länger auf dem Gelände ein, aber zwei Tage später kam es zu einer ersten Räumung. Doch die hatte nicht lange Bestand. Am darauffolgenden Wochenende wurde der Bauplatz wieder besetzt.

Wie zuvor schon in Gorleben und in Wyhl entwickelte sich innerhalb ein Dorfleben der besonderen Art. Hütten wurden gebaut, politische Seminare abgehalten und endlose Diskussionen darüber geführt, welche Art von Widerstand man leisten wollte. Und das alles bei Temperaturen weit unter Null Grad Celsius.

Der Streit zwischen Militanten und gewaltfreien war ein Dauerbrenner. Die Trennlinie verlief anders als oft dargestellt nicht unbedingt zwischen Einheimischen und Auswärtigen, wie ein langjähriger Aktivist in einem sehenswerten Zeitzeugen-Interview erläutert.

Die zweite Räumung folgte Anfang Januar, aber damit waren die Proteste nicht vorbei. Die Wut war groß und wurde bei den nun einsetzenden Sonntagsspaziergängen zunächst vor allem am Zaun ausgelassen, was wiederum zu massiven Reaktionen der Polizei führte. Besonders die straßenkampferprobten Westberliner Polizeieinheiten fallen durch brutale Einsätze auf.

Aus dem Video "18 Tage Freies Wackerland" von der Medienwerkstatt Franken.

Einheimische radikalisieren sich

Im März gibt es bei den Protesten gleich zwei Tote. Am 2. März stirbt nach einem Gerangel mit Polizisten die 61jährige Erna Sielka aus Wackersdorf an Herzversagen, und am 31.März der 38jährige Alois Sonnleitner. Todesursache ist ein Asthmaanfall, der vermutlich durch den Einsatz von CS-Gas ausgelöst wurde. CS-Gas gilt als Kampfgas und ist völkerrechtlich für den Einsatz im Krieg geächtet, war aber in jener Zeit bei der westdeutschen Polizei häufig im Einsatz.

Viele Anwohner der Anlage radikalisieren sich. Der damalige Polizeipräsident für die Oberpfalz beklagte laut Taz eine "unheimliche Solidarisierung der Oberpfälzer mit den Auswärtigen". Die Einheimischen würden sich voller Stolz als "Chaoten" bezeichnen. (Taz, 31.05.86) Wesentlichen Anteil hatte daran neben der Polizeibrutalität und der Arroganz der Landesregierung eine Reaktorkatastrophe in der Sowjetunion.

Am 26. April 1986 kam es in einem Atomkraftwerk in der Nähe der ukrainischen Stadt Tschernobyl (Geld für Tschernobyl) zu einer Kernschmelze und einer mächtigen Explosion des Reaktorbehälters und -gebäudes, bei der große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt wurden. Hier ein Bericht der Tagesschau aus dieser Zeit, in der der für sein elastisches Verhältnis zur Wahrheit berüchtigte und rechtskräftig verurteilte Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) davon sprach, dass es eine Gefährdung nur "im Umkreis von 30 bis 40 Kilometern" um den Havaristen gebe.

Screenshot aus dem Video Spaltprozesse (Laika-Verlag)

"Totschlägerkommando"

Einige Wochen später kam es dann zu Pfingsten kam es zur "blutigen Schlacht am Zaun". Der damalige Landrat Hans Schuierer (SPD) berichtete letztes Jahr im Bayerischen Rundfunk von einem dieser Polizeieinsätze. Aus Hubschraubern sei zuerst ein deutlich gekennzeichneter Verbandsplatz des Roten Kreuzes mit Gasgranat beworfen wurden, so dass dieser nicht mehr als Anlaufstelle für Verletzte dienen konnte. Dann habe man die ganze Menge von etwa 10.000 Demonstranten mit den Gasgranaten beworfen. "Ich hab dann seitdem immer und heute noch von einem Totschlägerkommando gesprochen. Ich wurde nie deswegen belangt, weil ich nachweisen hätte können, wie sich diese Leute verhalten haben."

Auch davon ließen sich die meisten nicht einschüchtern. Demonstrationen und Scharmützel gingen noch einige Jahre weiter. Wackersdorf war in jener Zeit einer der Brennpunkte der westdeutschen Anti-AKW-Bewegung. Die Atomindustrie leitete den Rückzug ein. In Wackersdorf wurden zwar noch einige Milliarden D-Mark verbaut, aber die Pläne für den Bau weiterer AKW verschwanden in den Schubladen. Ursprünglich hätte Westdeutschland ähnlich wie Nachbar Frankreich weitgehend auf Atomstrom umgestellt werden sollen.

Doch daraus wurde bekanntlich nichts mehr. Seit Ende der 1970er Jahre war kein neues Projekt mehr in Angriff genommen worden. E.on-Vorläufer Veba, potenzieller Betreiber der WAA, orientiert sich um und schickt seine abgebrannten Brennelemente nun ins französische Le Hague. Am 31. Mai 1989 werden die Bauarbeiten eingestellt. Auf dem Gelände befindet sich heute ein Industriepark mit einem Vielfachen der Arbeitsplätze, die die WAA geboten hätte.

Klimaabkommen verabschiedet - unverbindlich

Zurück in die Gegenwart. In Paris ist, wie am Samstag bereits berichtet, ein neues Klimaabkommen unterschrieben worden, bei dem man nicht so sicher ist, weshalb es von einigen so bejubelt wird. Als erstes fällt auf, dass der vom französischen Außenminister Laurant Fabius durchgehämmerte Vertrag nicht Pariser Protokoll, sondern Pariser Abkommen ("Paris Agreement") heißt.

Nach einer Definition von Begriffen des Völkerrechts auf der Internetpräsenz der UNO, handelt es sich bei einem "Agreement" um ein Abkommen mit begrenztem Umfang, das eher technischer Natur ist. Es bedarf nicht der Ratifizierung.

Genau hier scheint der springende Punkt zu liegen. Diese Benennung geschah offensichtlich auf Drängen der US-Delegation, die damit die den Kongress dominierenden Republikaner austricksen wollte. Was das für die Verbindlichkeit der Verabredungen heißt, wird die Zukunft zeigen. Vermutlich werden Völkerrechtler und Linguisten noch viel zu tun bekommen.

Auf der Minus-Seite des Pariser Gipfels steht eindeutig die ausufernde Polizeigewalt (Facebook-Video), mit der zum Auftakt des Gipfels unter dem Deckmantel des Ausnahmezustandes) gegen Demonstranten vorgegangen wurde. Bernard Schmid hatte darüber hier auf Telepolis vor zwei Wochen ausführlich berichtet (Paris: Aktion gegen das Versammlungsverbot und für das Klima).

Hunderte Teilnehmer wurden im Anschluss wegen Verstoß gegen das Versammlungsverbotes unter Polizeiaufsicht gestellt, einige in Schnellverfahren abgeurteilt. Zum Ende der Konferenz wurde das Demonstrationsverbot dann doch noch gelockert, vermutlich auch aufgrund des negativen Echos der Polizeieinsätze in der französischen Presse.

Klimaretter.info schreibt "von mehr als 10.000", die am vergangenen Samstag in der französischen Hauptstadt auf die Straße gegangen seien. Diverse Berichte über die Proteste und die Gegenkonferenz von Umwelt- und Bürgergruppen aus aller Welt finden sich hier auf Englisch, und hier schreibt Bernard Schmid über seine Eindrücke.

Zahlungsunwillig - das Verursacherprinzip scheut man in Washington, Brüssel und Berlin

Zu den negativen Aspekten des Abkommens gehört neben der unklaren Verbindlichkeit sicherlich auch, dass es weiterhin keine wirkliche Klarheit über die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen und klimafreundlicher Entwicklung in den Ländern des Südens gibt. Die Industriestaaten weigern sich, die Kontrolle über die Finanzflüsse an einen Fonds zu übertragen, Forderungen der Umweltschützer und Bürgerrechtler aus den Entwicklungsländern nach Mitsprache bei der Vergabe fanden keinerlei Gehör.

Auch der Umfang, der mit 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr ab 2020 schon sicher schien, ist nun eher ungewiss. Die Summe findet sich nur, und das auch nur in verklausulierter Form, in der langen Vorrede, aber nicht im Abkommen selbst.

Als Plus ist dagegen anzusehen, dass im Rahmen der jährlichen UN-Klimakonferenzen künftig auch regelmäßig über die durch den Klimawandel verursachten Verluste und Schäden gehen wird. Thema sollen aber eher die - sicherlich sehr sinnvollen - Frühwarnsysteme und ähnliches sein. Die Industriestaaten haben die Formulierung "Verlust und Schaden" ("Loss and Damage") aber nur unter der Bedingung zugelassen, dass sie das nichts kostet. In den Beschlüssen wird sehr eindeutig und überhaupt nicht verklausuliert festgehalten, dass es dabei nicht um Kompensation geht. Das Verursacherprinzip scheut man in Washington, Brüssel und Berlin wie der Teufel das Weihwasser. Unterm Strich also nur ein ganz kleines Plus.

Ein größeres Plus verdient die Tatsache, dass erstmalig in einem Klimavertrag davon die Rede ist, dass die globale Erwärmung auf nur 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden sollte. Allerdings ist es anders, wie die Berichterstattung zum Teil glauben machte, nicht als eindeutiges Ziel formuliert, sondern eher als eine Kann-Bedingung, die jedoch im weiteren Verhandlungsprozess noch verfestigt werden könnte.

Ein dickes Minus gibt es weiterhin dafür, dass die versprochenen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, dieses Ziel zu erreichen. Nach unterschiedlicher Zählung werden sie uns eher in eine Welt führen, die im globalen Mittel 2,7 bis drei Grad Celsius wärmer als das 19. Jahrhundert sein oder in etwa 1,7 bis zwei Grad Celsius über den heutigen Verhältnissen liegen wird.

Jenseits von Paris

Immerhin aber enthält der Vertrag einige Vorkehrungen und Mechanismen, mit denen die Maßnahmen in Zukunft verschärft werden können. Und die Tatsache, dass alles nur auf freiwilligen Selbstverpflichtungen basiert, mag zwar zahnlos erscheinen, ist aber angesichts ohnehin fehlender Sanktionsmechanismen und -möglichkeiten nicht unbedingt ein Rückschritt. (Die Bewertung dieses Punktes hängt wohl letztlich vom Grad des Pessimismus des Betrachters ab.)

Sie verdeutlicht zumindest, dass der Klimaschutz ohnehin vor allem eine politische Auseinandersetzung auf der jeweiligen nationalen Ebene ist und bleiben wird. Dort muss der Einfluss der Öl-, Auto- und Energiekonzerne zurückgedrängt werden, dort muss der Ausstieg aus der Kohlenutzung und der Ausbau der erneuerbaren Energieträger durchgesetzt werden. Wie die jüngsten Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums zeigen, stehen Deutschland schon in den nächsten Monaten wichtige Entscheidungen und Kämpfe bevor.