Von Monstern und Menschen

Interview mit John Lasseter, Regisseur von Toy Story 2.

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Fünf Jahre sind seit den ersten Abenteuern von Woody, Buzz Lightjear, Slinky, Rex und Charlie Naseweis vergangen und ab Donnerstag startet nun in den deutschen Kinos der zweite Teil von Toy Story, der dritte computeranimierte Kinofilm aus den amerikanischen Pixar Filmstudios. . Wir sprachen mit John Lasseter über organische Charaktere, sein altes Spielzeug, den Golden Globe und über das nächste große Pixar-Filmprojekt!

1986 kaufte Apple-Gründer Steve Jobs das Animationsstudio von George Lucas und seit dem haben ihre preisgekrönten Kurzfilme, die bekannten THX-Werbespots oder Kinofilme wie der letztjährige "BugŽs Life" ("Das große Krabbeln") Publikums- und Millionenerfolge erzielt. Auch der zweite Teil von "Toy Story" brach in Amerika alle bisherigen Rekorde und nach "Der Konig der Löwen" (Disney) ist "Toy Story 2" der zweiterfolgreichste computeranimierte Kinofilm. Wie eine Art Begeitgeschenk bekam Steve Jobs vor wenigen Wochen einen Privatjet der Marke Gulfstream V und 10 Millionen Apple-Aktien als "Anerkennung seiner Leistungen für die Firma". Die Apple-Aktie stieg daraufhin direkt um 20 Prozent.

Den Löwenanteil der wirklichen Filmarbeit trägt allerdings John Lasseter (43), dessen Karriere bei Disney begann und bereits 1988 durch einen Oscar für seinen computeranimierten Kurzfilm "Tin Toy" belohnt wurde. Pixar und ihre selbst entwickelte Animationssoftware RenderMan sowie Marionette sind zum Motor der ganzen Special-Effects-Industrie geworden und gerade Lasseter bewahrte die Filme in Terrabytedimensionen mit ihren geistreichen Geschichten für Jung und Alt vor dem seelenlosen Marionettendasein. Mit Zahlen und Leistungsdaten könnte Pixar allerdings schon beeindrucken: Ein Film hat 24 Bilder in der Sekunde, was für einen Kinofilm von 90 Minuten immerhin schon 129.600 Einzelbilder macht. Jedes dieser Bilder hatte z.B. beim Film "BugŽs Life" genau 7,143,424 Bytes an Dateninformation und wer dies mit den 129.600 Einzelbildern multipiziert, dürfte auf 925 Gigabyte kommen. Nach der NASA hat Pixar neben der Special Effects Firma Industrial, Light & Magic (aus der Pixar herausgelöst wurde) die größten verfügbaren Speicherplätze und Rechenkapazitäten.

Die Toy-Story-Family von Pixar

Erstmal gratulieren wir Ihnen natürlich zum Golden Globe! Hatten Sie damit gerechnet?

John Lasseter: Eigentlich war ich über den Preis sehr überrascht, weil es für ein Sequel, also eine Fortsetzung eher ungewöhnlich ist. Die Tatsache, dass "Toy Story 2" als bester Film in der Sparte Comedy/Musical gewonnen hat, hat diesen Preis für mich aber so besonders gemacht! Wir sind damit angetreten, einen guten Film mit guter Story zu machen, obwohl viele Leute Filme von Pixar als kindisch betrachteten oder "Toy Story" als Comicfilm abtaten.

Viele Kinobesucher werden bei der Arbeit vom Regisseur eines computeranimierten Films sicherlich nicht an zickige Stars oder Drehortprobleme denken. Wie sieht ein Tag von John Lasseter aus?

John Lasseter: Der Regisseur eines computeranimierten Spielfilms ist genau genommen in jeden Bereich rund um den Film involviert. Das fängt bei der Story an, geht beim Storyboarding sowie den Sprechern weiter und setzt sich in der abschließenden Animation fort. Außerdem arbeite ich am Soundtrack mit und überwache das komplette Merchandising wie z.B. das Videospiel. Insgesamt ein guter Full-Time-Job!

Können Sie die technischen Fortschritte seit dem ersten Teil von "Toy Story" und dem letztjährigen Film "BugŽs Life" in Zahlen fassen?

John Lasseter: Eigentlich habe ich von solchen Zahlen gar keine Ahnung und beschäftige mich auch nicht so sehr damit. Seit 1995 hat sich natürlich sehr viel im Bereich der Rechnerkapazität getan. Ich weiß, dass wir auf der Renderfarm, wo die Bilder abschließend durchgerechnet werden, für die Arbeit an "Bugs Life" die zwölffache Computerpower vom ersten "Toy Story"-Film hatten. Für den zweiten Teil von "Toy Story" hatte Pixar dann wiederum die dreifache Power im Vergleich zu "BugŽs Life". Leichter wird unsere Arbeit jedoch kaum. Wir brauchen über die Jahre eigentlich immer länger, da wir die Filme mittlerweile zehn Mal komplexer gestalten. Je mehr Speicherkapazität wir haben, desto detaillierter arbeiten wir an unsere Figuren.

Wie würden Sie selbst den Qualitätssprung von "Toy Story 2" abseits von Zahlen und Daten beschreiben?

John Lasseter: Wenn wir uns den Unterschied in der technischen Qualität von "Toy Story" und "BugŽs Life" anschauen, bemerke ich selber immer, dass "Toy Story 1." noch sehr geometrisch war. Wer sich Buzz Lightjear von früher anschaut, kann fast die Ecken und Kanten sehen. Bei "BugŽs Life" ist dagegen alles organisch und fließend. Und obwohl wir bei "Toy Story 2" zu unseren Charakteren zurückgekehrt sind, hat die geänderte Technologie auch dort die Erscheinungsweise geändert. Es gibt viel mehr Details, viel mehr Schauplätze der Handlung.

Wie viele Objekte bzw. Daten konnten vom alten Film wiederverwendet werden?

John Lasseter: Zwischen "Toy Story" und "BugŽs Life" haben wir eine neue Version unserer Animationssoftware Marionette entwickelt und mussten dafür alle Grundmodelle für die neue Software übersetzen. Außerdem haben wir für die Fortsetzung eine enorme Menge an Modellen gebaut und das ist auch eine der wenigen Zahlen, die mir wirklich in Erinnerung geblieben ist. Für "Toy Story 1" hatten wir 350 Modelle und viele der Hauptcharaktere waren da schon sehr aufwendig gearbeitet. Für "Toy Story 2" waren es dann über 1200 Modelle und da sind die wiederverwendeten gar nicht mitgerechnet.

Worauf haben Sie beim zweiten Teil der Geschichte um Woody und Buzz Lightjear am meisten geachtet?

John Lasseter: Für mich und für alle bei Pixar ist die Story das wichtigste. Aus und Punkt. Die Story diktiert jeden Aspekt des Films, auch den technischen Teil. Der fundamentale Unterschied zwischen Animation und Live-Action ist, dass man bei der Live-Action mit dem Script auf das Set geht und eine Einstellung aus vielen verschiedenen Winkeln photographiert und filmt. Dazu kommt noch ein sogenanntes Second Unit, welche viele weitere Einstellungen als Ergänzung filmt. All das kommt später in den Schneideraum und wird dort in der Post-Produktion zusammengestellt und bearbeitet. Für einen Animationsfilm müssen wir das Editing vor die eigentliche Produktion stellen und es gibt dann nur eine Chance für jede Einstellung. Da können wir nicht dutzende Male "Klappe" rufen und noch eine Einstellung drehen. Also wie kann man vorher wissen, dass alles richtig funktioniert? Man plant und organiert es im Voraus und wir machen das, in dem wir sehr lange am Storyboard arbeiten und daraus dann eine Filmfassung erstellen, die Story-Reel heißt. Dies beinhaltet schon die kompletten Dialoge, Soundeffekte und Musik. Ich habe da selbst eine Regel: Wenn das Story-Reel nicht überzeugt, dann wird auch die spätere Animation den Film nicht retten! Auf das fertige Story-Reel folgt das Art-Department mit der Erstellung der Modelle und der mittlerweile sehr komplizierten Arbeit an den Farben und Oberflächen. Jeder Charakter und alle Objekte müssen dort einzeln erarbeitet werden. Darauf folgt die Erstellung der Schauplätze und seiner Kamerafahrten, auf die dann erst die Animationsphase mit jeder einzelnen Bewegung folgt. Ganz am Schluss steht dann das Rendering, in dem die Bilder zum fertigen Film gerechnet werden.

Werden die Drehbücher immer noch handgezeichnet?

John Lasseter: Ja und es gibt auch keine andere Lösung, die das ersetzten könnte. Wir beschreiben uns bei Pixar zwar als einer der technologisch fortgeschrittensten Filmstudios der Welt. Allerdings sind wir nur so gut, weil wir immer genau darüber nachdenken, wo neue Technologie Sinn macht und wo konventionelle den größten Nutzen bringt. Und handgezeichnete Drehbücher, die in unserem Fall wie Comicbücher des fertigen Film aussehen, sind für uns immer noch das beste!

Auf dem amerikanischen Sundance-Filmfestival sind seit "The Blair Witch Project" die Filme mit Mini-Budget und selbstgemachten Effekten der Geheimtip vieler Filmverleiher. Wie lange wird es Ihrer Meinung noch dauern, bis Filme wie Toy Story auch am eigenen Rechner erstellt werden können?

John Lasseter: Ich kenne jetzt nicht die Namen der Programme, aber auf den neuesten iMAC-Rechnern, die ja schon fast im Supermarkt verkauft werden, findet sich die iMovie-Software, die schon einen sehr professionellen Filmschnitt erlaubt. Wir nuzten da eine ähnliche Software. Was aber macht einen Film gut? Man kann für relativ wenig Geld eine 16mm-Kamera kaufen und dann einen richtigen Film drehen. Seit es Home-Video gibt, kann es eigentlich jeder machen. Trotzdem erinnern Sie sich in jedem Jahr an höstens drei oder vier gute Filme. Es kommt am Ende nicht auf die Werkzeuge an, sondern die Idee ist entscheidend und wie man dann mit den Werkzeugen umgeht.

Welche Tipps geben Sie jüngeren Leuten, die selber einen Animationsfilm erstellen wollen?

John Lasseter: Wenn junge Menschen auf mich zukommen und gerne auch solche Filme wie "Toy Story" erstellen wollen oder gerade in der Branche anfangen, werde ich oft nach Lehrgängen oder Software gefragt. Ich kann da immer nur sagen: Lernt keine Software, sondern lernt grundsätzliches Zeichnen und Design. Alte grundsätzliche Prinzipien der Animation und Filmarbeit gehört genauso dazu.

Pixar hat mit der Pixar University einen Schulungskurs ins Leben gerufen. Was genau wird dort gelehrt?

John Lasseter: Dort können sich bisher ausschließlich Pixar-Mitarbeiter weiterschulen und trainieren lassen. Noch haben wir leider keine Kapazitäten, um weitere Kurse auch für externe Anwärter anzubieten.

In beiden Filmen von "Toy Story" kämpft altes Spielzeug um seine Existenzberechtigung. An welchem Spielzeug aus ihrer Jugendzeit hängt noch ihr Herz?

John Lasseter: Ich habe noch einen alten "Casper - The Friendly Ghost", den ich sehr geliebt habe und der immer noch in meinem Office steht. Er war auch die Inspiration für Woody und hatte auch so eine Aufziehschnur am Rücken, um Sätze zu sagen.

Das nächste große Filmprojekt von Pixar ist "Monsters INC."! Worum wird es in diesem Film gehen?

John Lasseter: Monsters INC. wird 2001 rauskommen und ist ein wunderbarer Film über eine uns eigentlich sehr ähnliche Welt, nur dass sie von Monstern bewohnt ist. Mal große, mal blaue, mal grausame Monster - ganz viele verschiedene Typen. Die Hauptgeschichte dreht sich um zwei dieser Monster. Der eine ist eher lustig, der andere ein richtig böses Monster. Und ihre Welt ist an einer Stelle durch ein Loch zu einem Schlafzimmer mit unserer verbunden. Das macht doch neugierig, oder?