Von der Immobilienspekulation zum Zusammenbruch der globalen Defizitkonjunktur

Seite 4: Finanzblasen-Ökonomie

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Im Verlauf der an Intensität zunehmenden Immobilienspekulation bildeten sich auch die Verflechtungen zwischen Realer- und Finanzwirtschaft in einem zuvor nicht gekannten Maß aus. Die verarbeitende Industrie hing sozusagen "am Tropf" der Finanzmärkte, deren spekulative Bewegung die private Konsumnachfrage überhaupt entstehen ließ, die zu einem immer wichtigeren Konjunkturfaktor avancierte.

Zu den stimulierenden Effekten auf die reale Ökonomie, die vom Finanzkapitalismus ausgingen, gehörten selbstverständlich die größtenteils hoch bezahlten Arbeitsplätze im Finanzsektor. Diese Entwicklung hat Sweezy bereits in den 80ern beschrieben (Link auf /tp/r4/artikel/29/29184/4.html). Die Wirtschaft der Metropolen des Finanzkapitals, wie beispielsweise New York oder London, ist im Rahmen der besagten, neobliberalen Link auf /tp/r4/artikel/29/29184/3.html auf die Konsumfreude von Zehntausenden von Investmentbankern oder Börsenmaklern angewiesen, die mit ihren Ausgaben ein Vielfaches an den mies bezahlten Jobs im Dienstleistungs- oder besser gesagt "Dienstbotensektor" generieren.

Ein Paradebeispiel für diese auf den Finanzkapitalismus ausgerichtete Arbeitsmarktstruktur ist natürlich New York: 2007 war der Finanzsektor für ein Drittel aller in dieser Ostküstenmetropole gezahlten Löhne verantwortlich, da jeder der hochbezahlten Banker und Broker an der Wall Street mit seinen Ausgaben drei weitere Jobs generierte. Bereits jetzt hat die Finanzkrise weltweit an die 150 000 dieser oftmals mit einem sechsstelligen Jahresgehalt einhergehenden Arbeitsplätze vernichtet. Zehntausende, wenn nicht gar hunderttausende Banker werden in den kommenden Monaten und Jahren noch ihre Anstellungen verlieren - und den durch Lohndumping generierten "Dienstbotensektor" ebenfalls mit in den Abgrund ziehen.

Die Immobilienblase brachte auch einen weiteren, bei der Hightech-Blase in dem Ausmaß nicht auftretenden Effekt mit sich, der zur Konjunkturbelebung führte. Im Verlauf der auf irrealen Profiterwartungen fußenden Spekulation wurden reale Häuser gebaut, so dass die Bauwirtschaft einen starken Aufschwung erlebte und aufgrund ihres arbeitsintensiven Charakters sowie ihrer Verflechtung mit vielen Zulieferindustrien auf die gesamten Ökonomie stimulierend wirkte. Eine von solch einer spekulativ angeheizten "Baukonjunktur" dominierte ökonomische Struktur fand sich nicht nur in den Vereinigten Staaten. Die entsprechenden Immobilienblasen bildeten sich unter anderem auch in Großbritannien, Spanien und weiten Teilen Osteuropas aus. Die enorme Auswirkung dieses Baubooms auf die Gesamtökonomie der betroffenen Volkswirtschaften beschrieb der Krisentheoretiker Robert Kurz am Beispiel Spaniens bereits 2005:

Wenn allein die spekulative Bautätigkeit in Spanien inzwischen 18 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmacht, kann man die Gesamtdimension der Rückkoppelung des "fiktiven Kapitals" auf die Realwirtschaft ermessen.

Robert Kurz, "Das Weltkapital"

Schließlich kommt der während der Hightech-Blase beobachtete Link auf /tp/r4/artikel/29/29235/2.html in leicht modifizierter Form auch im Verlauf der Immobilienspekulation massiv zum Vorschein. Die beständig steigenden Preise ihrer Immobilien verführten viele Mitglieder der amerikanischen Mittelklasse dazu, Hypotheken auf ihre Häuser aufzunehmen und das so "gewonnene" Geld für Konsumgüter aufzuwenden. Hierbei handelte es sich um Größenordnungen von mehreren hundert Milliarden Dollar, die so dem US-amerikanischen Binnenmarkt zugeführt wurden und so die Link auf /tp/r4/artikel/29/29235/6.html am Laufen erhielten.

Das Gegenstück zu dem Aktienzocker der Hightech-Spekulation waren während der Immobilienblase die sogenannten Flipper. Diese oftmals der US-Mittelklasse angehörenden Menschen kauften während des Booms Häuser, um diese nach einer mehr oder minder gründlichen Renovierung mit Gewinn wieder veräußern zu können. Ähnlich den Gewinnen aus Aktienerlösen ging ein Teil dieser so generierten - oder oftmals nur imaginierten - Einkommenszuwächse als "Wealth-Effect" in den Konsum.

Ein weiteres Merkmal der von den Finanzmärkten angetriebenen Marktwirtschaft in den USA ist folglich die immer weiter zunehmende Bedeutung des Konsums, der vor allem in den letzten Jahren für einen Großteil der wirtschaftlichen Dynamik der Weltwirtschaft verantwortlich war. So kletterten die Konsumausgaben in den USA von 62 Prozent des BNE im Jahr 1980 auf 70 Prozent zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Diese permanent - allen Finanzkrisen und platzenden Blasen zum Trotz - zunehmende Bedeutung des Konsums kann nicht nur auf den "Wealth Effekt" zurückgeführt werden, da der auf "irrealen" Gewinnerwartungen durch Aktien- oder Immobilienspekulation fußende Konsum in Zeiten einer platzenden Spekulationsblase zusammenbrechen müsste. Der "Wealth Effekt" ist ja nichts anderes als die Illusion zunehmenden Reichtums, die schließlich wie ein Traumbild "zerplatzt".

Auch kann die Lohnentwicklung in den USA nicht zur Erklärung dieses Phänomens herangezogen werden, da - wie bereits erwähnt - die realen Löhne zwischen New York und Los Angeles in den vergangenen Jahrzehnten nicht gestiegen sind. Inflationsbereinigt erklommen die US-Durchschnittslöhne laut dem Journalisten David Cay 1973 mit 33 000 Dollar ihren Gipfel, während es nun unter Herausrechnung aller statistischen Verzerrungen an die 29 000 Dollar sind.

Was trieb nun die obig dargelegte "Finanzblasen-Ökonomie" mitsamt der globalen Defizitkreisläufe über solch einen langen Zeitraum "im Innersten" an? Ein Blick auf die Verschuldung der Vereinigten Staaten lüftet den Schleier.

Verschuldung in Relation zum BNE bzw. BSP der USA

Inzwischen ist die Gesamtverschuldung der USA ihn wahnwitzige Dimensionen vorgerückt, die absolut keine Parallelen in der Wirtschaftsgeschichte dieser größten Volkswirtschaft der Welt aufweisen. Wie aus der Grafik ersichtlich wird, standen die Vereinigten Staaten am 31. März mit 350 Prozent ihrer jährlichen Gesamtwirtschaftsleistung in der Kreide! Im gesamten "Goldenen Zeitalter" des Kapitalismus, also zwischen den 50ern und 70ern, bewegte sich die US-Gesamtschuld zwischen 130 und 160 Prozent des BNE. Erst ab den 80ern, in Zusammenhang mit der neoliberalen Offensive, explodiert die Verschuldung innerhalb von knappen drei Jahrzehnten auf die genannten 350 Prozent.

Um die ungeheureren Dimensionen dieses Schuldenbergs zu erfassen, genügt ein Blick auf die explodierende Verschuldung während der 1929 ausgebrochenen, bislang schwersten Wirtschaftskrise in der Geschichte des kapitalistischen Weltsystems. Diese ging 1933 mit einem Schuldenberg von 270 Prozent des BNE einher. 1929 betrug die Verschuldung noch moderate 170 Prozent des BNE, doch aufgrund der Konjunkturprogramme des "New Deal" und des fallenden BNE im Zuge der Depression verschlechterte sich diese Relation zusehends.

Wir haben aber unsere Rezession noch vor uns und die gesamten Ausgaben zur "Stabilisierung" der Finanzmärkte sind in der derzeitigen Verschuldung von 350 Prozent des BNE noch nicht eingerechnet. Somit dürfte dieser Wert noch viel stärker steigen. Die Gesamtverschuldung der USA wird bald mit 44 Billionen Dollar dem Weltbruttosozialprodukt entsprechen, resümierte der Sozialwissenschaftler John Bellamy Foster bereits Mitte 2007. Angesichts dieser Dimensionen zu glauben, der Finanzkrise sei dank eines "Bailouts" von läppischen 700 Milliarden US-Dollar beizukommen, ist schlicht illusionär.

Allein im Jahr 2005, auf dem Höhepunkt der letzten Immobilienspekulation, steigerten die privaten US-Haushalte ihre Verschuldung um 11,7 Prozent auf die schwindelerregende Summe von 11,5 Billionen Dollar. Dies war die höchste Verschuldungsrate seit 1985, als die damalige Immobilienblase kurz vor dem Zusammenbruch stand und zu der erwähnten Link auf /tp/r4/artikel/29/29184/4.html führte. Weder die Verschuldung der US-Unternehmen (plus 7.8 Prozent auf 8.4 Billionen) noch die Staatsschulden der Vereinigten Staaten (sieben Prozent plus auf ca. neun Billionen) stiegen in solch einem hohen Tempo wie die private Kreditaufnahme. Die Lohnabhängigen der USA, die seit Jahrzehnten mit stagnierenden Löhnen zu kämpfen haben, wurden so zu einer wahren Goldgrube des gesamten kapitalistischen Weltsystems. Richard Wolff , Ökonomieprofessor an der University of Massachusetts at Amherst, erläuterte (Video) kürzlich bei einer Vorlesung die Funktionsweise dieser globalen Schuldenmaschine:

Da die Arbeitgeber erfolgreich Lohnsteigerungen verhindern konnten, bestand der einzig gangbare Weg, die stetig wachsende Warenproduktion auch abzusetzen, in dem Verleihen des Geldes an die Arbeiter, damit diese mehr kaufen konnten. Die Unternehmen investierten ihre Profite in den Aufkauf von Wertpapieren, in denen Hypotheken von Arbeitern, Autokredite, und Kreditkartenschulden verbrieft waren. Die Besitzer dieser Sicherheiten hatten dadurch Anrecht auf Teile der monatlichen Ratenzahlungen, die die Arbeiter zu leisten hatten. Im Endeffekt zahlten sich die Extraprofite, die von den Arbeitgebern durch die weiterhin niedrigen Löhne erzielt wurden, doppelt aus, da sie diese Profite als Kredite an die Arbeiter weitergaben und hierfür nochmals saftige Zinsen kassierten. Was für ein System!

Richard Wolff

Wie wir sehen können, gingen Lohndumping und die "Markterweiterung" durch die Finanzbrache vermittels Schuldenexplosion Hand in Hand. Man könnte dieses System auch als eine Art "privatisierten Keynesianismus" bezeichnen, in dem US-Bürger mit ihrem "deficit spending" die Konjunktur stützen. Dasselbe tat im Endeffekt der amerikanische Staat, dessen Verschuldung ebenfalls längst astronomische Höhen erreicht hat. Global war dieses System deswegen, weil dieser schuldenfinanzierte Nachfrageboom im Zentrum der globalen Defizitkreisläufe stand, die auch die Volkswirtschaften in Südostasien oder Europa über Wasser hielten. Es ist dieses auf Pump betriebene, weltwirtschaftliche Perpetuum Mobile, dass im Zentrum der "Finanzblasen-Ökonomie" stand im Zuge der Finanzkrise zum Erliegen kam.

Der derzeit die Gemüter erhitzenden Autokrise in Deutschland und den USA werden mit Sicherheit noch weitere Verwerfungen folgen: Denn nun sind die avancierten Volkswirtschaften wieder den erwähnten, in einer massiven Überproduktionskrise sich äußernden Widersprüchen der spätkapitalistischen Produktionsweise (der Link auf /tp/r4/artikel/29/29235/4.html) direkt ausgesetzt, die vormals mittels Schuldenbau im Finanzsektor "verschwunden" waren. Deutschlands Industrie profitierte übrigens als Magersüchtiger Exportweltmeister, von der globalen Defizitkonjunktur im besonderen Ausmaß. Harzt IV diente ja gerade der Zurichtung der deutschen Gesellschaft an die Interessen der deutschen Industrie, deren Exportoffensive im Rahmen der globalen Defizitkreisläufe eine komplementäre Funktion zum steigenden Handelsdefizit der USA einnahm.

Es sei noch erwähnt, dass diese im Zuge des sich durchsetzenden Finanzkapitalismus entstandene Finanzblasen-Ökonomie seit der Deregulierung in den 80ern zu ca. 100 mehr oder weniger schwerwiegenden Krisen und Spekulationen rund um den Globus geführt hat. Neben den bereits erwähnten Verwerfungen zeitigten die mexikanische Finanzkrise von 1994/95, die Asienkrise 1997/98, der russische Finanzkrach von 1998 und der Zusammenbruch Argentiniens 2002 besonders verehrende Folgen für die betroffenen Volkswirtschaften. Im übrigen sind die - vorläufig - fallenden Rohstoff und Energiepreise auf den Zusammenbruch einer Spekulation auf dem Warenterminmärkten zurückzuführen, die unverzüglich an die platzende Immobilienblase einsetzte.