Wagner-Gruppe in Niger: Kalter Krieg in der Sahel-Zone
In Niger stehen sich nicht nur Putschisten und Demokraten gegenüber. Auch die Achsen USA-Europa und Russland-China ringen um Einfluss. Ein hybrider Informationskrieg eskaliert die Lage.
Coup belt. Putsch-Gürtel, so wird die Sahelzone im Englischen genannt – aufgrund der zahlreichen Vorfälle, die sich im Sudan, Mali oder Tschad und nun, zum siebten Mal in weniger als drei Jahren, in Niger ereignet haben. Dabei ist Niger gerade das Land, das US-Außenminister Antony Blinken noch im März als demokratisches Vorbild bezeichnet hatte.
Angesichts der zunehmenden geopolitischen Bedeutung des Gebietes im Konflikt zwischen der transatlantischen und der eurasischen Allianz ist so bald auch keine Aussicht auf Besserung zu erwarten.
Prigoschins "neue Reise nach Afrika"
Deutschland und die Europäische Union beharren weiter auf ihrem am vergangenen Sonntag geäußerten Standpunkt, die neue Militärjunta um Abdourahamane Tchiani nicht anzuerkennen.
Deutschland wird seine rund 1.400 Soldaten der Minusma-Mission vorerst nicht aus Mali abziehen. Im Nachbarland Niger sind derweil weiterhin 1.500 französische Soldaten stationiert. Möglicherweise finden sie ein neues Einsatzgebiet.
Wie von Telepolis berichtet, reagierte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas mit Sanktionen sowie einer Suspendierung des (mittlerweile vierten) Mitgliedsstaats Niger und drohte gar mit einer "militärischen Intervention", die Tchiani umgehend mit einer Gegendrohung beantwortete.
Dabei kann der ehemalige Chef der nigrischen Präsidentengarde auch auf die Unterstützung von Mali und Burkina Faso zählen. Und möglicherweise auf die der russischen Söldnertruppe "Gruppe Wagner", die Polen zufolge parallel gerade die Nato-Ostflanke destabilisieren soll.
Während die jüngste Rückgriff der Ecowas auf diplomatische Mittel in Gestalt einer Delegationsreise nach Niger wenig Ertrag brachte, soll sich der Putschisten-General Salifou Mody in Mali bereits nach Unterstützung durch den russischen Oligarchen und Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin erkundigt haben.
Während bei den Pro-Putschisten-Protesten in der nigrischen Hauptstadt Niamey russische Fahnen geschwenkt werden, warnt der ehemalige Präsident Bazoum davor, dass "die gesamte zentrale Sahelzone" in russische Hand fallen könnte. Prigoschin selbst nährte Spekulationen über eine russische Involvierung bereits am 19. Juli mit einem Video auf seinem Telegram-Kanal, indem er "eine neue Reise nach Afrika" ankündigte.
Internationale Beobachter zeigten sich bereits irritiert, dass der Wagner-Führer an dem jüngsten Afrika-Russland-Gipfel teilnahm. Die Russische Föderation knüpft damit an eine Tradition an, die die Sowjetunion besonders im Kalten Krieg gepflegt hatte.
Befindet sich die Sahel-Zone also bereits im Zentrum eines neuen Kalten Kriegs, wie US-Medien berichten – oder weitet sich der Konflikt sogar schon bald zu einem heißen Stellvertreter-Krieg aus?
Die zwei Narrative aus West und Ost
Auf Telepolis hat Martin Sonneborn bereits nahegelegt, welche geopolitischen Interessen sich hinter dem Konflikt verbergen könnten.
Jenseits des wertvollen Metalls Uran, an dessen weltweiter Distribution Niger zu vier Prozent beteiligt ist und auf das Europa sowie speziell Frankreich angewiesen sind, gerät nun auch die sogenannte Trans-Sahara-Pipeline (Nigal-Pipeline) in den Fokus der Mutmaßungen. Aus der aktuellen Gemengelage haben sich zwei Block-Narrative herausgebildet. Beide zirkulieren um das Thema Rohstoffe.
Denn, wie schon das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in seiner "Afrika-Strategie" Ende Januar 2023 feststellte:
"Auch an natürlichen Ressourcen ist der Kontinent reich. Er verfügt über ein immenses Potenzial für erneuerbare Energien und landwirtschaftliche Produktion, über strategisch wichtige Rohstoffvorkommen und wachsende Absatzmärkte. […] Damit wächst Afrikas geopolitisches Gewicht in der Welt." Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Wie lauten nun die Narrative?
Die russische Erzählung
Russische Akteure beteuern, die afrikanischen Länder bei ihrer Emanzipation von den (ehemaligen) westlichen Kolonialherren zu unterstützen und eine Partnerschaft "auf Augenhöhe" zu etablieren.
So zitiert die russische Nachrichtenagentur Tass den Experten Salif Sidibe mit der Ansicht, dass die Franzosen und US-Amerikaner mit der Invasion Libyens 2011 und dem Sturz Muammar Gaddafis den Grundstein für "das Chaos" in der Sahelzone gelegt hätten. Zudem begleite Frankreich mit einem gewissen Wohlwollen das Vorgehen der Tuareg-Milizen und schüre so antifranzösische Gefühle. Diese äußerten sich zuletzt in Form von Brandstiftung vor der Botschaft in Niger.
Einen weiteren Experten lässt Tass behaupten, dass Russland keine Absichten hege, sich in politische Prozesse einzumischen und der Putsch weder von den Straßenprotesten noch vom Militär ausgegangen sei, welches sich den Putschisten erst später anschloss.
Das beteuerte auch Wagner-Führer Prigoschin, als er Ende Juli den "Aufstand gegen die Kolonisatoren" öffentlich begrüßte.
Russische Medien können sich bei ihrer Einschätzung sogar auf das Weiße Haus berufen, welches am vergangenen Dienstag keine Anzeichen für eine russische Einflussnahme feststellen konnte.
Gestärkt wurde die russische Erzählung auch von Cameron Hudson vom US-amerikanischen Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS), als er erklärte, das Versagen von diplomatischen und finanziellen Bemühungen sei "ein erschreckendes Zeugnis für das westliche Modell des Aufbaus von Demokratie". Genau dieses Modell hatte auch Martin Sonneborn als neokolonial beschrieben.
Die westliche Erzählung
Der westlich geprägten Erzählung zufolge versucht Russland die Sahel-Zone zu destabilisieren, um sich durch wohlgesinnte Machthaber Einfluss auf Rohstoffe zu sichern und Europa schlussendlich wieder von russischem Öl und Gas abhängig zu machen.
Ein Artikel des Magazins Foreign Policy vom Januar fasst die westliche Erzählung gut zusammen, in der Wagner als Vorfeld-Organisation eines "Ringens um Ressourcen" auftritt und aus diesem Grund den "Terrorismus in Afrika anheizt":
"Die Söldner des Kremls werden im Ausland zu Transaktionszwecken eingesetzt und sollen kleptokratischen Regimen im Gegenzug für den Zugang zu wertvollen Rohstoffen wie Gold, Diamanten, Uran und anderen wertvollen Ressourcen Sicherheit bieten." Foreign Policy
Es existiert eine Vielzahl von Berichten, die dieser Erzählung Vorschub leisten. Ob "Destabilisierung" und Angriffe auf Zivilisten in Mali, "Verschwörungen" in Tschad, dubiose Minen-Geschäfte in Burkina Faso, oder Wagner-Stützpunkte im Sudan.
In der Wirtschaftswoche untermalte diese Darstellung jüngst auch der Sicherheitspolitik-Experte der Atlantik-Brücke-Ausgründung Haus Rissen, Fabian Knörzer.
Daneben bricht sich ein weiteres Narrativ Bahn, wonach russische Akteure die Bevölkerung der Sahel-Zone mittels hybrider Informationskriege in die Mangel nehmen. Die exilrussische Zeitung Novaya Gazeta unterstellt solche Propaganda auch im Falle des nigrischen Putschs: Ihre Behauptung, dass die (vorgebliche) Bürgerbewegung "M62" russische Flaggen an die Demonstranten verteilt habe, stützt sie dabei auch auf französische Medienberichte.
Der ukrainische Präsidentenberater Mykhailo Podolyak bezichtigt Russland dagegen ganz direkt einer "Inszenierung".
Auch Deutschland und die USA betonten im Kontext des jüngsten Putschs die Bedeutung der hybriden Kriegsführung.
So stellt eine auf Afrika spezialisierte Analystin des US-amerikanische Thinktank Atlantic Council etwa die sogenannte Concorde-Group heraus, die die Wagner-Gruppe mit Trollfarmen bei Desinformationskampagnen gegen "westliche Demokratien" unterstützt.
In Deutschland betont derweil der Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali und t-Online Gastautor, Ulf Laessing, dass russische Desinformationskampagnen jene Ressentiments schürten, die schließlich zum Putsch in Niger geführt hätten.