Wahlen in der politischen Eiszeit: Über Manipulationen in Rumänien
Mit Calin Georgescu hat ein Paria die rumänischen Präsidentschaftswahlen gewonnen, doch die Wahl muss wiederholt werden. Was hat der Schritt zu bedeuten?
Die Präsidentschaftswahlen, 35 Jahre nach der als Wende zum Guten gepriesenen Re-Kapitalisierung der unter Nicolae Caeusescau in die wirtschaftliche und politische Stagnation getriebenen Sozialistischen Republik Rumänien, galten als völlig unspannend.
Die Zeitschrift Internationale Politik schrieb gar von fehlender Polarisierung – nur die politische extreme Rechte könne noch für Spannung sorgen. Die politische Rechte um die Parteien AUR, S.O.S România und POT sollte dabei die Hauptrolle spielen und in Person des Kandidaten Calin Georgescu einen Politthriller abliefern. Inzwischen kann man von einem politischen Erdbeben und einer skandalträchtigen Wahl sprechen.
Bleibt die Frage, ob Georgescus Meisterstück tatsächlich vereitelt wurde oder ob der designierte Sieger selbst Laiendarsteller in einem Spionagefilm mit pro-westlichem Drehbuch ist?
Ein Novum in der Demokratiegeschichte
Als die knapp 19 Millionen Rumänen Ende November zu den Urnen schritten, ahnten sie nicht, dass sie eigentlich auch zu Hause hätten bleiben können – ein Kreuz war noch nie weniger wert und Zünglein an der Waage.
Ein Novum in der europäischen Demokratiegeschichte: Eine ganze Wahl wurde nachträglich annulliert und muss komplett wiederholt werden. Die Stichwahl am 8. Dezember wurde abgesagt, der erste Wahlgang soll noch in diesem Jahr stattfinden.
Das Oberste Gericht des Landes entschied am Freitag nach einiger Bedenkzeit – vor dem Hintergrund der Veröffentlichung von Geheimdienstdokumenten – wegen ausländischer Einmischung und Wahlbeeinflussung.
Der Elefant im Raum heißt Russland und wird beschuldigt, über die chinesische Videoformat-App TikTok den prorussischen Kandidaten Georgescu in Form von Fake-Accounts, Empfehlungen per Algorithmus und mit Hilfe bezahlter Accounts überraschend an die Spitze der Wahlentscheidung manipuliert zu haben.
Implizit wird im westlichen Mediendiskurs die Schaffung eines antidemokratischen "Rabbit-Hole-Effekts" unterstellt – ahnungslose Rumänen hätten gezielt gegen ihre ureigenen Interessen an Demokratie, Wohlstand und westlich garantierten Menschenrechten gestimmt. Ihre Stimme sei in Form eines "aggressiven, russischen, hybriden Angriffs" gestohlen und das Wahlrecht gebeugt worden.
Desinformation und deutsche Qualität
Im ZDF wird der Politikberater und Analyst Cornelius Adebahr, Direktor des deutschen Ablegers des internationalen "Instituts für strategischen Dialog", ausführlich zur Causa befragt. Adebahr, ursprünglich Iran-Experte und Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), gibt das politische Framing vor: Schutz der liberalen Demokratien vor hybriden und digitalen Bedrohungen.
Seine "unabhängige" Plattform ISD entlarvt zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung vermeintliche Kreml-Propaganda und deren toxische Narrative. Insbesondere Sputnik oder RT werden markiert.
Ein kleiner Blick auf das "unabhängige" ISD zeigt: In dessen Vorstand sitzt mit Karl-Theodor zu Gutenberg, ein abgehalfterter Konservativer und saßen bis 2018 der Wirtschaftsmogul Roland Berger und der Meinungsmacher Matthias Döpfner.
Der Milliardär und Axel-Springer-Vorstandsvorsitzende Döpfner saß bis 2018 in Dutzenden von Aufsichtsräten, unter anderem Netflix, Vodafone und Time Warner.
Gerade mit Döpfner hatte man einen Garanten für wertebasierten Qualitätsjournalismus an der Hand: Wie die SZ berichtete, tat er einiges, um das Fehlverhalten von Julian Reichelt zu vertuschen oder betrieb fröhlichen Medienlobbyismus für die gescheiterte Opel-Übernahme.
Zurück in Bukarest: Eine Spur nach Moskau?
Bisher ist wenig bekannt. Aus veröffentlichten, aber teilweise geschwärzten Dokumenten in rumänischer Sprache geht hervor, dass 25.000 TikTok-Konten eröffnet worden seien, dass es Telegrammkanäle mit Werbung für Georgescu gegeben habe, dass eine rumänische Firma eine Million Euro investiert habe (allein die TikTok-Kampagne hatte nach ZDF-Informationen mehrere hunderttausend Euro gekostet und dass Influencer von einer südafrikanischen Firma tausend Euro pro Video pro Georgescu erhalten hätten.
Nur eine handfeste Spur nach Moskau fehlt.
Man stelle sich vor: In der EU wie in den USA ist es üblich, dass Unternehmer und Privatpersonen Wahlkämpfe medial und finanziell unterstützen, man stelle sich weiter vor, jeder Staat und seine Geheimdienste hätten eine solche Kampagne starten können.
So bleibt bisher wenig Stichhaltiges. Die Nebelkerze und Blackbox Südafrika und ein namenloser Unternehmensfinanzier sind derzeit nicht unabhängig überprüfbar. Die EU-Kommission sieht das anders: Zur Aufklärung hat sie TikTok öffentlich aufgefordert, keine Daten zu vernichten. In einer Pressemitteilung aus Brüssel wird von ausländischer Einflussnahme aus Russland gesprochen.
Reicher Mann in Europa? Armer Mann Europas!
Calin Georgescu erhielt im ersten, annullierten Wahlgang über 2 Millionen Stimmen (22 Prozent) – jeweils eine halbe Million mehr als die Erstplatzierten Elena Lasconi und Marcel Ciolacu. Wie die FAZ richtig einordnet, waren es nicht nur die einfachen Parolen Gerogescus, die diese Wähler anlockten, vielmehr fiel die extreme Rechte auf fruchtbaren Boden.
Jahrzehntelange Reformen im Sinne des Neoliberalismus ließen die Mehrheit der Gesellschaft nie die versprochenen Sonnenseiten der EU-Integration spüren: Korrupte Eliten plünderten den Staat, ein regelrechter Ausverkauf begann, in Rumänien verdient man im Durchschnitt nur rund ein Viertel des deutschen Durchschnittslohns, die Arbeitslosenquote ist mit rund 6 Prozent hoch und der Kaufkraftvergleich zwischen der BRD und Rumänien fällt erschreckend aus – in Osteuropa bekommt man 44 Prozent weniger für sein Einkommen!
Laut Statistischem Bundesamt war 2023 jeder fünfte Jugendliche arbeitslos. Jeder Fünfte ist armutsgefährdet.
Das soll nicht täuschen: Es ist weder ein Naturgesetz, dass man in Armut rechts wählt, noch wählen nur arme Menschen rechts. Die drei rechtskonservativen Parteien erhielten 30 Prozent aller Stimmen. Sie eint: Nationalismus-Souveränismus, EU-Kritik von rechts und ein moskaufreundlicherer Kurs.
Möglicherweise wollten viele Enttäuschte den etablierten Parteien einen Denkzettel verpassen und sind zudem unzufrieden mit der herrschenden Kriegslust und der wirtschaftlichen Isolation vom östlichen Nachbarn. Nicht umsonst verlassen viele Arbeitsmigranten ihr Land – im Ausland errang Georgescu eine stabile Zweidrittelmehrheit.
Georgescu als Feindbild und Bauernopfer
Vorab: Calin Georgescu ist kein politisches Vorbild. Dass er 2022 den Hitler-Kollaborateur Ionescu und den fanatisch-antisemitischen Faschistenführer Codreanu als Vorbilder lobt ist ekelhaft. In der Tradition des rumänischen Faschismus inszeniert sich der Familienmensch und Saubermann in den sozialen Medien als messianischer Erlöser.
Aber: Diese Kritik spielt in den westlichen Medien weit weniger eine Rolle als seine Laster in Bezug auf Russland.
Wie vom Blitz getroffen war der Werte-Westen, als Georgescu gegenüber der BBC klarmachte, dass die Hilfe für die Ukraine ein Ende haben werde.
Keine Getreidelieferungen mehr, kein Aufmarschgebiet, keine Überflüge, keine Unterstützung für Kiew. Wohlgemerkt: Rumänien ist Nato-Mitglied. Ein Affront sondergleichen. Ein Mosaikstein in der Einkreisung gegen Russland wäre zerbrochen.
Vielleicht ist die Wahrheit hinter den Ereignissen eher in den Beziehungen des Westens zur Russlandpolitik zu suchen als in den Machenschaften der sozialen Medien oder dem Geist des Faschismus.
"Der Schlüssel zum Frieden liegt im Kreml", sagte Alexander Graf Lambsdorff in seiner Funktion als deutscher Botschafter in Moskau der Zeitung RBC Ende November. Was Lambsdorff meint, ist Selenskyjs Siegfriedensplan. Rumänen dürfen nicht aus diesem ausbrechen. Werte, Wahlen und Wohlstand sind zweitrangig.