Warten auf den 20. Januar

Amerika spekuliert auf eine Whistleblower-Welle nach Bushs endgültigem Abtritt

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Kinder warten in diesen Tagen auf eine oder mehrere Überraschungen am 24. Dezember. Viele US-Medien erwarten ihre Bescherung erst am 20. Januar. Dann legt Barack Obama seinen Amtseid ab und George W. Bush sowie einige Tausend seiner Mitstreiter müssen endgültig ihre Büros räumen.

Seymour Hersh, einer der Stars unter Amerikas investigativen Journalisten, meinte bereits im Oktober, dass eine Vielzahl von Insidern angekündigt habe, am 20. Januar mit ihrem Wissen über Rechtsmissbrauch und Rechtsverletzungen der Bush-Administration herauszurücken. Aber auch anderswo wird mit einer deutlichen Zunahme der Tipps aus Regierungs- und Behördenkreisen gerechnet. Der Hauptgrund für diese Erwartung ist, dass mit der Besetzung der Führungspositionen durch Obama-Leute zumindest die gefühlte Wahrscheinlichkeit sinkt, dass ein riesiger Apparat in Gang gesetzt wird, um undichte Stellen zu finden, die Auskünfte über unsaubere Praktiken der Bush-Administration geben.

Diese ging gegen das Durchsickern von Informationen zu Details ihrer Arbeitsweise auch mit fragwürdigen Mitteln vor. So musste etwa ein Mitarbeiter des Justizministeriums eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen, bei der die Computer seiner Kinder beschlagnahmt wurden, weil herausgefunden werden sollte, wer der New York Times die 2005 enthüllten Informationen zum Terrorist Surveillance Program steckte, in dessem Rahmen die NSA illegal Telefongespräche und Emails ins (beziehungsweise aus dem) Ausland abhörte und las. Auch für Journalisten, welche die Bush-Regierung ebenfalls mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln von unliebsamen Recherchen und Veröffentlichungen abzuschrecken versuchte, werden solche Themenfelder nach der Amtsübergabe potentiell weniger gefährlich.

Unter anderem erwartet man neues Material zum Irakkrieg, zur Rechtfertigung von Folter, zur Rolle von Karl Rove und Richard Cheney im Plame-Wilson-Skandal und zu anderen heimlichen Aktivitäten, die es neben dem Abhören noch gegeben haben könnte. Spekuliert wird in diesem Zusammenhang vor allem über Data-Mining-Projekte. Neugierig ist man auch darauf, wie die erste Version des NSA-Überwachungsprogramms aussah, die angeblich so derart offensichtlich rechtswidrig war, dass selbst der damalige Justizminister John Ashcroft und der FBI-Chef Robert Mueller mit Rücktritt gedroht haben sollen, wenn sie nicht entschärft würde. Viele Spekulationen richten sich zudem auf mögliche Regierungsauftragsversprechen für jene Telefon- und Internetprovider, welche sich an den Abhörmaßnahmen beteiligten.

Und nicht nur Redakteure und Journalisten, auch Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) erwarten sich von den Ritualen der Amtsübergabe einen ähnlichen Effekt auf das Fließen von Informationen wie sie der Satz "O'zapft is'!" beim Münchner Oktoberfest auf das Fließen von Bier hat. Hinsichtlich des Durchsickerns weiterer Details zu Überwachungsmaßnahmen zeigte sich die ACLU-Direktorin Caroline Frederickson unter anderem deshalb zuversichtlich, weil es ihrer Ansicht nach viele Behördenmitarbeiter gibt, welche die Überwachungsmaßnahmen nicht nur für rechtswidrig, sondern auch für eine sinnlose Zeitverschwendung halten.

Dass aus dem Obama-Kabinett selbst weitere relevante Informationen zur Überwachungspraxis der Bush-Regierung an die Öffentlichkeit dringen, gilt dagegen als weniger wahrscheinlich: Zum einen aufgrund der Archivierungspolitik der Bush-Administration, zum anderen aber auch deshalb, weil sich der zukünftige Präsident nach anfänglicher Kritik schließlich doch für eine Änderung des Foreign Intelligence Surveillance Acts (FISA) aussprach, die nicht nur die Abhörmöglichkeiten beträchtlich erweitert, sondern auch Telekommunikationsfirmen Immunität für die Mitarbeit an illegalen Überwachungsmaßnahmen gewährt.