Warten auf die Früchte des Sieges

Die kurdische Minderheit im Irak jubelte über das Ende des Saddam-Regimes, doch jetzt beginnen die Fragen über die Zukunft

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Während die Kämpfe in Falludscha noch im Gange waren, hatten die Aufständischen am vergangenen Wochenende in der nordirakischen Stadt Mossul eine zweite Front eröffnet. Zahlreiche Polizeiwachen und staatliche Einrichtungen wurden geplündert und in Brand gesetzt. Das US-Militär zog sich sogar vorübergehend aus der Stadt zurück. Dass ausgerechnet Mossul für die Aktion ausgewählt wurde, muss auf den ersten Blick überraschen. Schließlich hat die Stadt bisher nicht zu den irakischen Widerstandszentren gehört. Dafür sorgte schon der starke kurdische Bevölkerungsteil.

Die irakischen Kurden hatten bisher noch am ehesten dem Bild entsprochen, dass sich viele Angehörige der US-Regierung vor dem Angriff auf den Irak von der dortigen Bevölkerung insgesamt gemacht haben (Die Stunde der Kurden). Viele Kurden haben die USA offen als Befreier begrüßt, kurdische Perschmergakämpfer hatten in den Reihen der USA gegen das Saddam-Regime gekämpft. Hinter diesem Handeln stand weniger ein besonders ausgeprägtes Vertrauen in die USA, sondern das pragmatische Ausnutzen einer günstigen Situation, um das Baath-Regime zu stürzen. Schließlich haben die Kurden die extreme Unterdrückung unter dem alten Regime nicht vergessen.

Doch auch unter der kurdischen Bevölkerung wächst die Ungeduld mit den aktuellen Politikern und ihren Schützlingen aus den USA. Man befürchtet wieder einmal, um die Früchte des Sieges gebracht zu werden. Zwar enthält die vorläufige irakische Verfassung eine Klausel, die den Kurden bei der endgültigen Verfassung ein Vetorecht garantiert. Doch längst fordern viele Kurden mehr als Garantien in einer zukünftigen Verfassung. Die Rufe nach einem Referendum über die Zukunft der mehrheitlich kurdisch bewohnten Nordprovinzen artikulieren sich in der Bevölkerung immer vernehmlicher. Das stößt sowohl bei den USA als auch bei den von ihnen propagierten irakischen Politikern auf entschiedenen Widerstand und führte sogar schon zu Konfrontationen zwischen Kurden und dem US-Militär. Als US-Truppen im September 2003 kurdische Fahnen in einem Stadtteil von Kirkuk abhängen wollten, wurden sie von den Bewohnern mit Steinen und Molotowcocktails vertrieben.

Unzufriedenheit wächst

Die nach dem Ende des Baathismus selbstbewusster auftretenden Kurden haben sofort den Widerstand der arabischen Bevölkerung hervorgerufen. Panarabische Propagandaparolen aus der Saddam-Zeit, die die Kurden zu US-Söldnern stempeln, die den Irak zerstören wollen, finden wieder Gehör. Immer wieder kommt es zu Anschlägen auf kurdische Einrichtungen und Politiker. Auch bei den Auseinandersetzungen der letzten Tage in Mossul wurden Gebäude kurdischer Parteien und Organisationen angegriffen.

Die Konflikte gehen teilweise auf ungeklärte Streitfragen, die das Ergebnis der gezielten Arabisierungspolitik des Saddams-Regimes sind. Damals wurden gezielt arabische Menschen in Regionen mit großer kurdischer Bevölkerung angesiedelt. Teilweise haben sie Wohnungen von vertriebenen Kurden bezogen. Die kommen nun zurück und verlangen ihre alten Wohnungen und Häuser zurück. Dadurch haben sich in der Region die ethnischen Spannungen verschärft.

Noch weitergehende Konsequenzen könnte der Konflikt mit der kleinen turkmenischen Minderheit in den Nordprovinzen des Iraks haben. Sie steht unter der Protektion der Türkei. Beobachter fürchten nun, dass die Türkei diese Minderheit sogar gezielt benutzen könnte, um einen Kurdenstaat an ihrer Grenze zu verhindern. Immer wieder gibt es Meldungen von Plänen der Türkei, militärisch in den Norden Iraks zu intervenieren. Die türkische Regierung könnte einen solchen Schritt, den sie nicht ohne grünes Licht aus den USA wagen würde, mit dem Schutz der Turkmenen rechtfertigen. In Wirklichkeit aber ginge es der Türkei bei einem Einmarsch neben der Verhinderung eines kurdischen Staats und den Zugriff um die Ölfelder um Kirkuk auch um die Ausschaltung der Rebellen der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die sich vor Jahren nach der Ausrufung ihres einseitigen Waffenstillstands in den Irak zurück gezogen haben.

Kurdische Nationalbewegung in der Türkei zersplittert

Fünf Jahre nach der Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan und dem von der kurdischen Nationalbewegung einseitig ausgerufenen Waffenstillstands ist die einst hierarchisch geführte kurdische Nationalbewegung heute zersplittert (Kongress statt Partei). Ein Flügel um die vor einigen Monaten auf der Haft entlassene kurdische Abgeordnete Leyla Zana will mit einer legalen Partei die Lage der Kurden verbessern und ruft zu einem Ende jeder Gewalt auf. Auch Osman Öcalan, der Bruder und jahrelange Vertraute des PKK-Gründers, hat Gewalt und Klassenkampf abgeschworen und sich unter den Schutz von US-Truppen im Irak gestellt.

IM Sommer hat ein anderer Flügel der kurdischen Nationalbewegung den Waffenstillstand aufgekündigt und mit militärischen Auseinandersetzungen in den türkischen Ostprovinzen begonnen. Unklar ist die Positionierung des seit seiner Verhaftung isolierten ehemaligen PKK-Chefs und sein momentaner Einfluss auf die kurdische Bewegung. Die Türkei könnte, auch wenn dies unwahrscheinlich ist, die aktuelle Schwäche der kurdischen Nationalbewegung für ein militärisches Abenteuer im Nordirak nutzen. Doch damit würde nur ein weiteres Streichholz im irakischen Pulverfass entzündet. Wie so oft in der Geschichte könnten die Kurden wieder einmal die Leidtragenden sein.