Warum Ihr Abwasser mehr Chemikalien enthält, als Sie denken – und was das bedeutet
Sinkende Wasserqualität ist mehr als ein Umweltproblem. Das hat konkrete Folgen für uns alle. Nun will die EU-Kommission reagieren.
Arzneimittelrückstände und Hormone, aber auch Kosmetika, Mikroplastik und PFAS werden zunehmend im Abwasser nachgewiesen. Um sie aus dem Abwasser zu entfernen, wäre eine vierte Reinigungsstufe notwendig, die aber aus Kostengründen bisher nicht weitverbreitet ist.
Werden diese Stoffe jedoch mit dem gereinigten Abwasserstrom in den jeweiligen Vorfluter eingeleitet, steigt das Risiko, dass sie einerseits in das Trinkwasser der Unterlieger und andererseits in die Nahrungskette gelangen.
Zu den Spurenstoffen, die bisher weder im Abwasser noch in der Nahrungskette nachgewiesen werden konnten, gehören Rückstände von aktuellen mRNA-Impfstoffen. Damit erweisen sich diese Impfstoffe als deutlich umweltverträglicher als die Verabreichung von Medikamenten.
Lediglich der Polio-Impfstoff ist im Abwasser nachweisbar, da es sich um einen Lebendimpfstoff handelt, der von den geimpften Personen kurz nach der Impfung wieder ausgeschieden werden kann. Die bei der Impfung verwendeten abgeschwächten Polioviren sind offenbar auch im Abwasser vermehrungsfähig.
Mehr Herstellerverantwortung soll helfen
Mit der Einführung der sogenannten erweiterten Herstellerverantwortung in die Kommunalabwasserrichtlinie will die Europäische Union die Hersteller von Arzneimitteln, Kosmetika und anderen wassergefährdenden Stoffen in die Pflicht nehmen und das Verursacherprinzip auch im Wasserrecht stärken.
Im Idealfall führt dies nicht nur zu einer gerechten Verteilung der Sanierungskosten, sondern auch zu einer Lenkungswirkung in Richtung Vermeidung wassergefährdender Stoffe an der Quelle. Wenn dadurch die Produktionskosten für Kosmetika steigen, sind die Auswirkungen auf die Preise überschaubar und die Lenkungswirkung im Zweifelsfall erfolgreich.
Schwieriger stellt sich die Situation bei Arzneimitteln und Hormonen dar, deren Preise in der Regel gedeckelt sind. Hier könnte eine Kostensteigerung durch die Übernahme der entsprechenden Sanierungskosten dazu führen, dass besonders preissensible Medikamente nicht mehr auf dem deutschen Markt erhältlich wären. Bestenfalls könnten die Mehrkosten auf die Selbstbeteiligung der Patienten umgelegt werden.
Bei hormonellen Arzneistoffen wie Ethinylestradiol, dem Wirkstoff zahlreicher Kontrazeptiva, könnte der Einsatz deutlich reduziert werden, wenn von der chemischen Verhütung aufseiten der Frau auf die mechanische Samenleiterdurchtrennung beim Mann umgestellt würde, die keine Schadstofffracht im Abwasser verursacht. Derzeit beeinträchtigen Hormone, die nicht aus dem Abwasser entfernt werden und in die Nahrungskette gelangen, die Fruchtbarkeit des Mannes, was in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist.
Sehr erfolgreich war die Agrarlobby bisher bei der Sonderbehandlung von Tierarzneimitteln, für die es keine erweiterte Herstellerverantwortung geben soll. Da die mit Tierarzneimittelrückständen belasteten Ausscheidungen der Tiere in der Regel nicht ins Abwasser gelangen, sondern als Gülle und Mist als natürlicher Dünger auf die Felder ausgebracht werden, können sie nicht über die Abwasserreinigung aus dem Kreislauf entfernt werden.
Damit haben sie die Möglichkeit, über die Felder und die Auswaschung in Gewässer und ins Grundwasser in die menschliche Nahrung zu gelangen. Dies wird bisher nicht gemessen. Beim Grundwasser begnügt man sich mit der Messung oft hoher Nitratwerte.
Abwassermonitoring in Deutschland noch immer nicht flächendeckend
Seit der Coronapandemie wurden in mehreren Pilotprojekten die Abwässer von Kläranlagen auf Coronaviren untersucht. Durch das Abwassermonitoring konnten neue Mutationen des Virus frühzeitig erkannt werden.
Da die Kosten für das Monitoring in Deutschland nicht auf die Abwassergebühren umgelegt werden dürfen und es über Pilotprojekte hinaus keine Finanzierung für ein konsequentes Monitoring der Virenbelastung von Abwasserströmen gibt, steht dieses Instrument in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern bisher nicht flächendeckend zur Verfügung.
Andere Abwasseruntersuchungen sind längst Standard, für die es aber auch einen Kostenträger gibt. Mit einem Abwassermonitoring könnte die Verbreitung von Eris weitgehend in Echtzeit verfolgt werden. Der Wille dazu scheint nicht vorhanden zu sein. Offensichtlich setzt man hier, nicht nur in Berlin, mehr auf die Eigenverantwortung der Bürger, damit der Staat nicht eingreifen muss.
″Guter Zustand″ von Oberflächen- und Grundwasser
Mit der Einführung der Wasserrahmenrichtlinie, die wie jede EU-Richtlinie in jedem Mitgliedsstaat in nationales Recht umgesetzt werden muss, wurde für die gesamte EU das Ziel gesetzt, bis spätestens 2027 alle Flüsse, Seen, Grundwasser und Küstengewässer in einen "guten Zustand" zu versetzen. Ein grundsätzliches Problem bei der Umsetzung von EU-Richtlinien sind die großen Unterschiede von Land zu Land.
Ferner beabsichtigt die EU-Kommission, mit der Novellierung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie von 1991 die Mindestanforderungen an die Abwasserbehandlung in den Mitgliedsstaaten an die aktuellen Rahmenbedingungen anzupassen.
Die EU-Kommission fordert den Ausbau mit einer vierten Reinigungsstufe für alle Kläranlagen ab 100.000 Einwohnerwerten bis 2035 zur Elimination von Spurenstoffen. Ebenso sollen bis 2040 auch Kläranlagen mit einer Ausbaugröße von 10.000 Einwohnerwerten mit einer vierten Reinigungsstufe ausgestattet werden, wenn die Konzentration von Mikroverunreinigungen ein Risiko für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit darstellt.
Durch die Überwälzung der entstehenden Kosten auf die jeweiligen Hersteller soll erreicht werden, dass diese die Mehrkosten nicht einfach auf die Endverbraucher abwälzen, sondern ihre Prozesse so umgestalten, dass die Belastung des Abwassers reduziert wird. Für die Gewässerbelastung durch PFAS arbeitet die EU-Chemikalienagentur Echa unabhängig von Brüssel an einem Verbot in der EU. Die Zeiten für eine sorglose Belastung der Umwelt werden also härter.
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