Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben

Seite 4: Die Zurückdrängung russischer Sprache und Kultur

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Entgegen dem auf dem Maidan erklärten Ziel, die Ukraine nach Europa, zu Demokratie und Freiheit zu führen, führt die ukrainische Regierung das Land in einen extremen Nationalismus. Das Hauptziel der Regierungspolitik ist die Abgrenzung gegenüber Russland, nicht nur militärisch und wirtschaftlich sondern vor allem auch kulturell. Der extreme Nationalismus führt jedoch nicht nur zu einer Verschlechterung der Beziehungen mit Russland sondern auch zu einer Verschlechterung der Beziehungen zu Polen, Ungarn und anderen Nachbarländern.

Nach Umfragen sprechen 34 Prozent der Ukrainer im Alltag Russisch, also nicht viel weniger als Ukrainisch. Zählt man nun die Maßnahmen auf, die sich allein im Jahr 2017 gegen die russische Kultur und Sprache in der Ukraine richteten, ergibt sich ein bestürzendes Bild. Es ist keine Übertreibung wenn man sagt, das Russische soll aus der Ukraine verbannt werden. Alle kulturellen Bande mit Russland sollen zerschnitten werden.

  • Soziale Netzwerke und Suchmaschinen von russischen Anbietern - vkontakte, odnoklasniki und yandex - werden abgeschaltet. Nach Angaben des Analyse-Unternehmens Gemius hat vkontakte in der Ukraine 5,4 Millionen und Odnoklasniki drei Millionen Nutzer. Der ukrainische Präsident begründete das Verbot mit den angeblichen "Cyber-Attacken Russlands" und der angeblichen "Einmischung Russlands in die französischen Wahlen".
  • Russische Musiker, die nach 2014 auf der Krim aufgetreten sind, oder die Vereinigung der Krim mit Russland gebilligt haben werden mit Einreiseverbot belegt.
  • Zahlreiche Bücher russischer Schriftsteller stehen auf einer schwarzen Liste.
  • Bücher von Tolstoi und Dostojewski wurden aus dem Schul-Lehrprogramm genommen, weil sie "russisch-imperiale" Sichtweisen enthalten.
  • Anfang September 2017 trat ein neues Schulgesetz in Kraft, nach dem ab 2020 nur noch auf Ukrainisch unterrichtet werden soll.
  • Friedensmärsche von russischen orthodoxen Gläubigen 2016 und 2017 wurden behindert. Ukrainische Politiker diffamierten die Märsche als von "aus Moskau gesteuerte Aktionen".
  • Am 25. November 2017 forderte der ukrainische Präsident Petro Petroschenko auf einer Golodomor-Gedenkveranstaltung ein Gesetz, mit dem diejenigen bestraft werden sollen, welche leugnen, dass es sich bei der Hungersnot 1932 um eine gegen die Ukraine gerichtete Maßnahme der Sowjetunion handelte. "Die Leugnung des Golodomor" sei "so unmoralisch wie die Leugnung des Holocaust", erklärte Poroschenko.

Behinderung kirchlicher Friedensmärsche

Bis zur Auflösung der Sowjetunion war allein das Moskauer Patriarchat für die orthodoxen Gläubigen in der Ukraine zuständig. 1991 spaltete sich unter Metropolit Philaret ein Kiewer vom Moskauer Patriarchat ab. Die ukrainische Regierung plant jetzt die nach wie vor im Land existierende ukrainisch-orthodoxe Kirche (UPZ) des Moskauer Patriarchats aufzulösen. Gegen ein entsprechendes Gesetz-Projekt demonstrierten Gläubige im Mai 2017 vor der Rada.

Offenbar um als Kirche mehr Profil zu zeigen und eine Auflösung zu verhindern, organisierte die UPZ des Moskauer Patriarchats im Juli 2016 und 2017 Friedensmärsche nach Kiew. Die Märsche starteten in Klöstern im Osten und Westen der Ukraine. Während 2016 30.000 Gläubige an den Märschen teilnahmen, gab es 2017 nach Angaben der UPZ/Moskauer Patriarchat 80.000 Friedens-Marschierer.

Der Anstieg ist insofern beachtlich, weil die Regierung und Nationalisten nichts unversucht ließen, um die Friedensmarschierer zu behindern. 2016 mussten die Friedensmarschierer am Stadtrand in Busse umsteigen, um zum geplanten Gebet im Stadtzentrum von Kiew zu fahren. Parlamentspräsident Andrej Parubi erklärte 2016 zu den Friedensmärschen, "der Feind arbeitet Pläne zur Destabilisierung der Situation im Land aus, indem man künstlich eine politische Krise und Unruhen auf den Straßen schafft."

Dass ausgerechnet Parubi vor einer Destabilisierung warnt, ist zynisch. Der amtierende Parlamentspräsident war 2014 Kommandant des Maidan und 1991 Mitbegründer der National-Sozialen Partei der Ukraine. Parubi spielte nach Meinung ukrainischer Oppositioneller auch eine Schlüsselrolle beim Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014. Am 29. April 2014 stattete er einem Camp von Nationalisten am Rande von Odessa einen Besuch ab und verteilte schusssichere Westen.

Andrej Parubi Kommandant des Maidan heute Parlamentspräsident. Bild: fishki net