Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben

Seite 5: Die russische Sprache im Visier der ukrainischen Regierung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jeder deutsche Blogger, Journalist oder Aktivist, der es im Februar/März 2014 wagte, auf die Ängste der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine vor einer Zwangsukrainisierung hinzuweisen, wurde vom deutschen Mainstream ausgelacht und als notorischer Russland-Versteher und Putin-Freund in die Ecke gestellt.

Die von der Werchowna Rada am 23. Februar 2014, zwei Tage nach dem Maidan-Staatsstreich, beschlossene Abschaffung des Gesetzes über Regionalsprachen, welches die Sprachen nationaler Minderheiten unter besonderen Schutz stellte, wurde von den großen deutschen Medien als eine unbedeutende Episode dargestellt. Man verwies darauf, dass der damalige Parlamentspräsident Aleksandr Turtschinow die Abschaffung des Regional-Sprachengesetzes am 3. März 2014 auf Eis gelegt hatte. Vermutlich war Turtschinow damals von westlichen Beratern dazu gedrängt worden, denn im Südosten der Ukraine besetzten damals besorgte Bürger offizielle Gebäude aus Angst vor einer ultra-nationalistischen Politik der neuen Macht in Kiew.

Das unter Präsident Viktor Janukowitsch 2011 eingeführte Gesetz über die Regional-Sprachen sah vor, dass dann, wenn in einem Gebiet der Ukraine mehr als zehn Prozent der Menschen Russisch, Ungarisch, Rumänisch oder eine andere Minderheiten-Sprache sprechen, diese Sprache neben dem Ukrainischen einen offiziellen Status bekommt.

Im September 2017 trat in der Ukraine nun ein neues Schulgesetz in Kraft, das von der Intention her der Abschaffung der Regionalsprachen 2014 gleicht. Nach einer Übergangsphase wird ab 2020 an den Schulen nur noch auf Ukrainisch unterrichtet. Russisch kann man dann nur noch als Fremdsprache belegen.

Mit dem Kleinreden nationalistischer und faschistischer Tendenzen in der Ukraine und der großzügigen finanziellen Unterstützung der Regierung in Kiew haben sich Berlin und Brüssel mitschuldig gemacht, dass die Ukraine nun ein nationalistisches Sprachengesetz hat, welches die Spaltung der Ukraine in "Pro-Russen" und "Pro-Ukrainer" vertieft und den Krieg der Ukraine gegen die "Volksrepubliken" ideologisch füttert.

Scharfen Protest gegen das neue Schul- Gesetz aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Polen, Moldau und Russland. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat Mitte Oktober mit 82 gegen 11 Stimmen ihre Besorgnis über dieses Gesetz zum Ausdruck gebracht. Grundprinzipien würden verletzt. Poroschenko versprach, man werde eine Lösung finden.

Ungarn kündigte an, wegen dem Schulgesetz die Annährung der Ukraine an die EU zu blockieren. Immerhin leben in der Ukraine 140.000 Ungarisch sprechende Ukrainer und 400.000 Rumänisch sprechende Ukrainer.

Dieter Segert, Universitätsprofessor für Transformationsprozesse in Osteuropa, beschrieb den Irrsinn des neuen ukrainischen Schulgesetzes in einem Gastbeitrag für den österreichischen Standard als Versuch, kulturell gewachsene Verbindungen mit Russland zu zerbrechen:

Das Sprachengesetz ist Teil eines Bemühens der ukrainischen Nationalisten, die Spuren der historischen Zugehörigkeit des Landes zu Russland aufzuheben. Sie stoßen sich dabei insbesondere an der Tatsache, dass die heutige Ukraine nur zu verstehen ist, wenn man sie als Teil des sowjetischen Modernisierungsprozesses fasst. Ihre Grenzen - inklusive der eingeklagten Krim - sind einzig und allein nur in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zur Sowjetunion so wie heute gezogen gewesen. Die Migrationsbewegungen im Zusammenhang mit der sowjetischen Industrialisierung haben das Land tief geprägt und auch die gegenwärtige ethnische Heterogenität erzeugt. Die Identität vieler älterer Ukrainer ist ebenfalls in dieser Zeit geprägt worden. Das mag man bedauern, durch Ignoranz kann man es allerdings nicht ändern.

Dieter Segert