Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben
- Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben
- Kritische Journalisten verfolgt
- In zwei Monaten Ausweisung von fünf ausländischen Journalisten, Juli/August 2017
- Die Zurückdrängung russischer Sprache und Kultur
- Die russische Sprache im Visier der ukrainischen Regierung
- Reinwaschung der Nazis und ihrer Helfer
- Wie sieht es mit den Menschenrechten in den "Volksrepubliken" und auf der Krim aus?
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Anschläge auf kritische Journalisten und Verhaftungen Andersdenkender. Russisch an den Schulen nur noch als "Fremdsprache". Nazi-Kollaborateure als neue Helden. Nationalismus als neue Staatsdoktrin
Wie sich die Ukraine im Innern heute entwickelt, darüber erfährt man in deutschen Medien fast nichts mehr. Die Drei-Jahres-Bilanz der ukrainischen Nach-Maidan-Regierung fällt - was demokratische und soziale Fortschritte betrifft - so kümmerlich aus, dass die großen deutschen Medien über das Land am Dnjepr nur noch spärlich berichten. Nach der siegreichen Maidan-Revolution sollten in der Ukraine eigentlich europäische Zustände einkehren. Doch bei genauerem Hinschauen sieht man, dass die Ukraine von demokratischen Zuständen heute weiter entfernt ist, als vor dem Maidan.
Journalist Ruslan Kotsaba droht Prozess wegen Landesverrat
Ein anschauliches Beispiel für diesen traurigen Zustand ist der Fall Ruslan Kotsaba. Der aus dem westukrainischen Iwano-Frankiwsk stammende Journalist hatte im Januar 2015 über ein YouTube-Video zur Kriegsdienstverweigerung in der Ost-Ukraine aufgerufen. Er wurde daraufhin wegen "Behinderung der Streitkräfte" zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Am 14. Juli 2016 wurde Kotsaba nach eineinhalb Jahren Haft von einem Gericht im westukrainischen Iwano-Frankiwsk freigesprochen.
Am 1. Juli 2017 hat das Oberste Spezialgericht der Ukraine in Zivil- und Strafsachen den Freispruch für Ruslan Kotsaba jedoch wieder aufgehoben. Damit wurde einer Berufungsklage der ukrainischen Staatsanwaltschaft stattgegeben. Die Staatsanwaltschaft klagt auf Landesverrat worauf 13 Jahre Haft stehen. Die Klage soll vor dem Kiewer Berufungsgericht entschieden werden. Im Gebiet Iwano-Frankiwsk hatten sich die Richter für befangen erklärt.
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Die Freilassung von Kotsaba im Juni 2017 war auch Resultat einer internationalen Solidaritäts-Kampagne. Der Fall Kotsaba war im Europäischen Parlament zur Sprache gekommen und in Deutschland hatte die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner sowie die Organisation Connection e.V. in mehreren deutschen Städten Veranstaltungen mit Uljana Kotsaba, der Ehefrau des inhaftierten Journalisten durchgeführt.
Zur Zeit arbeitet Ruslan Kotsaba beim Fernsehkanal NewsOne in Kiew. Am 13. November 2017 kam er zu einer Solidaritätsveranstaltung in das Kommunikationszentrum Wasserturm in Berlin-Kreuzberg. Auf der Veranstaltung berichtete der Journalist, wie er 2014 auf beiden Seiten der Front im Krieg in der Ost-Ukraine gearbeitet hatte (Rede Kotsaba mit deutscher Übersetzung).
Außerdem berichtete er über die Fälle von drei Journalisten-Kollegen, die wegen ihrer kritischen Haltung zur Macht in ukrainischen Gefängnis einsitzen. Dabei handelt es sich um den 33 Jahre alten Journalisten Wasili Murawizki (hier seine Website) , der seit dem 1. August 2017 im Untersuchungsgefängnis von Schitomir einsitzt. Gegen Murawizki wird wegen Landesverrat ermittelt. Der Journalist arbeitete unter anderem für die Nachrichtenagentur "Russland heute".
Außerdem setzt sich Kotsaba für die Journalisten Dmitri Wasilez und Jewgeni Timonin ein. Wasilez ist seit November 2015 in Haft. Am 28. September 2017 wurde Wasilez und sein Kollege Timonin von einem Gericht im Gebiet Schitomir zu Freiheitsstrafen von jeweils neun Jahren verurteilt. Den beiden Journalisten wird vorgeworfen, sie hätten sich an der Gründung des Fernsehkanals Noworossija TV beteiligt, was Wasilez, der ein eigenes Programm im Kiewer 17. Kanal mit dem Titel "Informationskrieg" hatte, bestreitet.
Die Veranstaltung in Berlin hätte fast nicht stattgefunden
Stadtbekannte Berliner "Anti-Querfront"-Aktivisten hatten im Internet Stimmung gegen die Veranstaltung in Berlin-Kreuzberg gemacht. Ruslan Kotsaba wurde Antisemitismus vorgeworfen. Als "Beleg" diente ein Video aus dem Jahre 2011. Ulrich Heyden wurde vorgeworfen, dass er auch für RT deutsch arbeitet. Auch auf das Kommunikationszentrum Wasserturm wurde Druck ausgeübt.
Doch die Veranstaltung konnte dann doch noch stattfinden und war mit etwa 60 Teilnehmern gut besucht. Es ging los mit einem Statement vom Geschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Berlin, Markus Tervooren, der erklärte, die im Netz laut gewordenen Vorwürfe gegen die beiden Referenten müssten aufgeklärt werden.
Der Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa immer noch nicht aufgeklärt
Dann folgte der Vortrag von mir. Ich sprach über die Menschenrechte in der Ukraine. Der Text steht dem interessierten Leser im Folgenden überarbeitet und aktualisiert zur Verfügung.
Der Fall Ruslan Kotsaba ist für die Ukraine leider typisch. Nach der Freilassung müssen politisch Andersdenkende mit erneuten Anklagen rechnen. So wurden In Odessa am 20. September 2017 20 Anti-Maidan-Aktivisten freigelassen, die seit dem 2. Mai 2015 in Haft waren oder unter Hausarrest standen. Gegen zwei der Angeklagten wurde nach der Freilassung erneut Anklage erhoben. Mit dieser Taktik versuchen die ukrainischen Justizorgane offenbar politisch Andersdenkende mürbe zu machen und zur Emigration ins Ausland zu drängen.
Nach den Freilassungen in dem Gericht in Odessa kam es vor dem Gericht zu einer Schlacht mit der Polizei. Ultranationalisten versuchten den Abtransport der Freigelassenen zu verhindern. Auch das gehört inzwischen zu dem üblichen Vorgehen der Ultranationalisten, die immer wieder und oft erfolgreich Druck auf Richter ausüben. So stürmten am 30. November 2015 hundert Mitglieder des Rechten Sektors einen Saal des Manilowski-Gerichts in Odessa. Sie zwangen die Richter, die fünf Anti-Maidan-Demonstranten unter Kaution freilassen wollten, ihren Rücktritt zu unterschreiben. Das Urteil zur Freilassung wurde aufgehoben.
Der Tod von mindestens 42 Menschen, die am 2. Mai 2014 bei einem Angriff mit Molotow-Cocktails auf das Gewerkschaftshaus von Odessa starben, ist immer noch nicht aufgeklärt, geschweige denn gesühnt. Zwei Tatverdächtigen aus den Reihen der Ultranationalisten wurden kurzzeitig in Haft genommen, bald darauf aber freigelassen.
In einem im November 2015 veröffentlichten Untersuchungsbericht über die Aufklärung des Massakers von Odessa stellte eine Experten-Gruppe des Europarates den ukrainischen Behörden ein vernichtendes Urteil aus. Der vom Europarat eingesetzten International Advisory Panel äußerte Zweifel, ob die ukrainische Regierung den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa überhaupt aufklären will. Doch die Regierung in Kiew reagierte nicht auf den Bericht des Europarates.