Warum Telepolis einen publizierten Zweiteiler zur Ukraine kritisch sieht

Seite 2: "Eingehender prüfen": Stellungnahme zu einem Ukraine-Zweiteiler auf Telepolis

Zahlreiche und heftige Reaktionen hat ein Beitrag des ehemaligen Militärs Jochen Scholz zur Genese und Perspektive des Ukraine-Krieges provoziert. Telepolis hatte den Text aus dem Buch "Kriegsfolgen" des in Wien ansässigen Promedia-Verlags in der vergangenen Woche in zwei Teilen veröffentlicht; der erste Teil verzeichnet bis dato gut 550 Kommentare, der zweite Teil knapp 400 Kommentare.

Einige Leser haben in diesen Forenkommentaren sowie in direkten Zuschriften an die Redaktion Fehler moniert. Wir sind diesen Hinweisen nachgegangen und müssen sagen: Aus heutiger Sicht würden wir den Beitrag nicht mehr veröffentlichen bzw. ihn eingehender prüfen, was zum Zeitpunkt der Publikation aus personellen Gründen nicht möglich war.

Wir werden den Zweiteiler von Jochen Scholz aus Dokumentationsgründen dennoch online stehen lassen – gemeinsam mit der entsprechenden Forendebatte und dem Hinweis auf diese redaktionelle Stellungnahme.

An zwei Stellen haben wir in den bei uns veröffentlichten Text eingegriffen und Aussagen abgeändert. So hieß es im Original an einer Stelle zum Vergleich der jüngsten US-amerikanischen Kriege mit dem laufenden russischen Krieg gegen die Ukraine: "Insofern unterscheidet sich der russische Völkerrechtsverstoß von den Verstößen der USA seit 1990. Ersterer ist defensiv, die Letzteren waren offensiv (…)"

Diese Faktenaussagen konnten wir nicht stehen lassen. "Ersterer ist nach Moskauer Verständnis defensiv, die Letzteren waren objektiv gesehen offensiv", heißt es nun, um die gebotene Distanz herzustellen. Eine Faktenaussage wäre bei entsprechender Argumentation gegebenenfalls tragbar gewesen. Die aber fehlte. Behauptungen aber sind keine Argumente.

An anderer Stelle hieß es: "Nach der Invasion am 24. Februar wurde die russische Einschätzung durch aufgefundene Dokumente bestätigt, nach denen die Ukraine kurz vor einem Einmarsch in den Dombass (sic!) stand." Hier wieder: eine Faktenaussage, kein Konjunktiv, keine Einordnung.

Bei Telepolis heißt es nun, anders als im Promedia-Buch: "Nach der Invasion am 24. Februar gaben regierungsnahe Akteure in Russland an, diese Einschätzung werde durch aufgefundene Dokumente des ukrainischen Militärs bestätigt, nach denen die Ukraine kurz vor einem Einmarsch in den Donbass stand. Diese Darstellung wurde andernorts in Frage gestellt."

Der bei uns im Nachsatz nun verlinkte Faktencheck verweist unter anderem darauf, dass in den Dokumenten das Wort Donbass gar nicht vorkommt; es gehe in dem mutmaßlichen Skandalfund um Militärentscheidungen in einem ganz anderen Landesteil. Scholz‘ Quelle war ein Schweizer Blog, der auf einen russischen Telegram-Kanal mit teils rechtsextremistischen Inhalten verwies. Nichts davon ist belastbar.

Es gab eine Reihe anderer Vorwürfe gegen den Autor, bei denen wir keinen Handlungsbedarf gesehen haben. An einer Stelle etwa schreibt Scholz, mit einem bestimmten System könnten "nicht nur Flugabwehrraketen, sondern auch atomar bestückbare Cruise Missiles (sic!) wie Tomahawk eingesetzt werden". Ein Leser wies mit Blick auf diese Aussage darauf hin, dass die letzten Tomahawk der USA mit Atomsprengköpfen vor rund zehn Jahren ausgemustert worden seien. Das aber widerspricht nicht der Aussagen im Scholz’schen Text.

Wie fällt also die Zwischenbilanz aus? Erstens werden wir bei dem Autor und der Verlagsquelle künftig erhöhte Aufmerksamkeit walten lassen. Zweitens haben wir nach Publikation die Kritiken geprüft und uns zu diesem Text entscheiden, um Transparenz herzustellen. Für uns steht drittens auch in Frage, ob wir Texte mit mehreren Dutzend Fußnoten, für deren detaillierte Kontrolle wir nicht immer Ressourcen haben, noch akzeptieren werden. Redaktionell und journalistisch sind solche Fälle stets eine Gratwanderung zwischen Kontrolle und Vertrauen zum Autor.

Heißt das aber, der Autor und sein Text sind in Gänze abzulehnen? Nein. Aber ein ehemaliger Bundeswehroffizier ist kein Journalist. Aussagen und Quellen hätten daher besser geprüft werden müssen, vom Verlag, der seinen Text in einem Buch verwendet hat; vor allem aber von uns, als wir diesem Buchauszug übernommen haben.

Auf andere Art formuliert: Nicht alles, was Scholz schreibt, ist Unsinn; aber nichts, was er schreibt, kann im Fall dieses Textes noch als glaubwürdig gelten. Das entwertet seinen Beitrag und auch das Buch sowie die Arbeit der übrigen Autoren, deren Texte von den Herausgebern Hannes Hofbauer und Stefan Kraft, beide Verleger des Promedia-Verlags, mutmaßlich ungeprüft veröffentlicht worden sind. Darüber können auch die wie bestellt wirkenden Gefälligkeitsrezensionen nicht hinwegtäuschen.

Heißt das zweitens, die Position des Autors zum Krieg und seiner Vorgeschichte ist grundsätzlich unseriös und also abzulehnen? Ebenfalls nein. Legitim sind auch Debattenbeiträge, die sich kritisch mit der Regional- und Militärpolitik der Ukraine auseinandersetzen und die oft als "prorussisch" geframt werden. Solche Beiträge werden bei Telepolis immer Platz haben, um Lücken in der Debatte zu schließen helfen. Welche Position Autoren aber auch immer einnehmen, sie müssen sauber recherchiert und begründet sein.