Warum der Westen Angst hat, seinen Einfluss auch in Niger zu verlieren
Seite 2: Über Drohnen-Stützpunkte, Pipelines und globalen Dominanzverlust
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Während Frankreich und die EU die Machtübernahme in Niger einen Staatscoup nennen, weigert sich in den USA das Pentagon, von einem Coup d’Etat zu sprechen. In öffentlichen Statements und gegenüber dem Nachrichtenmagazin The Intercept vermied man bewusst eine Klarstellung.
Darauf angesprochen, warum die Vereinigten Staaten die Machtübernahme nicht als Putsch bezeichnet haben, sagte die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagon, Sabrina Singh:
Es sieht ganz sicher nach einem Putschversuch aus. Wir haben Einrichtungen und Interessen in der Region, und unsere oberste Priorität ist es, diese Interessen und die unserer Verbündeten zu schützen. Eine Einstufung, wie Sie sie vorschlagen, ändert also sicherlich, was wir in der Region tun können und wie wir mit dem nigrischen Militär zusammenarbeiten können.
Während man also drei Wochen nach dem Coup nur von einem Versuch spricht, macht Singh zugleich deutlich, warum man die Beziehungen zur Junta-Führung nicht abbrechen möchte:
Niger ist ein Partner und wir wollen nicht, dass diese Partnerschaft aufhört. Wir haben dort Hunderte von Millionen Dollar in Militärstützpunkten investiert und mit dem dortigen Militär trainiert.
In Zahlen: Die USA haben seit 2012 eine halbe Milliarde US-Dollar an Steuergeldern für diese Partnerschaft ausgegeben. Zudem beheimatet Niger die größte und teuerste Drohnenbasis der Vereinigten Staaten. Kosten für den Bau: 100 Millionen Dollar, Unterhaltskosten pro Jahr: rund 30 Millionen.
Und dann ist da noch die Trans-Sahara-Gaspipeline (TSGP). Sie soll Erdgas von Nigeria durch Niger nach Algerien und Europa transportieren. Eine der Triebfedern für dieses Projekt war in den vergangenen zwei Jahren die Notwendigkeit für Europa, sich angesichts des Krieges in der Ukraine von russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen.
Die Lage in Niger ist im Moment im Fluss und unsicher. Während, wie gesagt, einige Ecowas-Mitglieder mit einer Intervention drohen, haben direkte Nachbarländer wie Mali, Algerien, Libyen, Tschad, Benin und Burkina Faso ihre Solidarität mit der Militärjunta erklärt. Algerien hat Frankreich für eine mögliche Intervention bereits die Überflugrechte verwehrt.
Wie Vijay Prashad auf Telepolis aufzeigt, ist der Putsch auch eine Reaktion auf die westliche Dominanz in vielen afrikanischen Ländern, wie sie über Spardiktate und Schuldenregime des Internationalen Währungsfonds, Rohstoffausbeutung und westliche Militärpräsenz ausgeübt wird. Jetzt müsse sich Europa an die Küstenlinie zurückziehen, da drei Staaten in der Sahelzone, Burkina Faso, Mali und Niger antifranzösische Regierungen an der Macht haben und in zwei weiteren, Tschad und Mauretanien, Unruhen drohen.
Russland versucht gleichzeitig, das in Niger entstehende Vakuum zu füllen. So wird berichtet, dass Söldner der Wagner-Gruppe von den Putschisten angefordert worden seien und sich dort aufhielten, stellvertretend für die russischen Interessen.
Der Fall Niger ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die (oft neokolonial betriebene) Dominanz der USA und Europas auf der Weltbühne zunehmend herausgefordert wird. So verloren die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten ihren Einfluss in Lateinamerika, jüngst im Nahen und Mittleren Osten (siehe der chinesische Saudi-Arabien-Iran-Deal), und auch in den Brics- bzw. Brics+-Staaten (offene Rivalität mit China, Stellvertreterkrieg mit Russland in der Ukraine, Entfremdung von Indien und Südafrika) geht man immer öfter einen unabhängigen Weg.
Was dabei wohl am meisten gefürchtet wird, ist, dass Niger eine Vorbildfunktion für andere, vergleichbare Staaten entfalten könnte. Im Kalten Krieg nannte man das den Domino-Effekt.
Im Zweifelsfall haben die USA und ihre Partner "erfolgreichen Ungehorsam" von "Partnerländern" in der Vergangenheit bestraft, mit Sanktionen, Interventionen und Ausgrenzung. In Niger könnte das aktuell aber nach hinten losgehen und die Ressentiments in der Bevölkerung anheizen.
Daher wird bisher gezögert. Was sich jedoch bei weiterer Eskalation schnell ändern könnte.