Warum der Westen Angst hat, seinen Einfluss auch in Niger zu verlieren

Ein US-Berater für Terrorismusbekämpfung spricht mit nigrischen Soldaten, 21. Februar 2019. Flintlock ist die wichtigste Übung des U.S. Africa Command. Bild: U.S. Army

Lage eskaliert: Frankreich weigert sich, Botschafter aus Niger abzuziehen. USA versuchen weiter, Kontrolle über das Land zu behalten. Warum es dabei um handfeste Interessen geht.

Nigers Militärverwaltung hat der französischen Botschaft in der Hauptstadt Niamey das Wasser und den Strom abgestellt und erlaubt keine Lebensmittelversorgung, wie Anfang der Woche berichtet wurde.

Das geschieht, nachdem eine zweitägige Frist, die die Militärregierung dem französischen Botschafter gesetzt hatte, um das Land zu verlassen, am Sonntag abgelaufen war. Am Wochenende drohten Protestierende vor der Botschaft, die antifranzösische Schilder hochhielten, das Gebäude zu stürmen.

Inmitten der Spannungen, die in den Wochen nach der Absetzung des Präsidenten des westafrikanischen Landes, Mohamed Bazoum, zugenommen haben, hat das Außenministerium der Regierung dem Botschafter Sylvain Itte eine Frist von 48 Stunden gesetzt, um das nigrische Territorium zu verlassen.

Niger wurde am 26. Juli in Aufruhr versetzt, als General Abdourahamane Tchiani, ein ehemaliger Kommandeur der Präsidentengarde, eine Militärintervention anführte, die Präsident Bazoum stürzte.

Während einige Mitglieder der Ecowas-Gruppe (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) den Putsch in Niger ablehnen und mit einem militärischen Eingreifen gegen die Putschisten gedroht haben, versuchen eine Reihe von westlichen Ländern, ihre Interessen dort zu wahren. Frankreich, das von der New York Times kürzlich als "ehemaliger Kolonisator, der geblieben ist", bezeichnet wurde, hat bereits gewarnt, dass jeder Angriff auf seine Interessen in Niger Vergeltung nach sich ziehen wird.

Die EU hat Frankreich "volle Unterstützung" für ihren Botschafter in Niger ausgedrückt, nachdem das Ultimatum abgelaufen ist. "Die Entscheidung der Putschisten, den französischen Botschafter auszuweisen, ist eine neue Provokation, die in keiner Weise dazu beitragen kann, eine diplomatische Lösung für die aktuelle Krise zu finden", sagte Nabila Massrali, Sprecherin der EU-Außenbeauftragten. Sie fügte hinzu, dass die EU die Behörden, die die Macht in Niger übernommen haben, "nicht anerkennt".

Die Gründe für die Konfliktlage in dem westafrikanischen Land hat mit dem kolonialen bzw. neokolonialen Erbe zu tun. Dazu gehören militärische Interventionen, Ausbeutung und Ressourcenklau. Das Streben von westlichen Staaten, die Rohstoffe des Landes zu kontrollieren, hat die Lage immer weiter verschärft.

Obwohl Niger mit extremer Armut zu kämpfen hat, die zu weitverbreiteter Unterernährung und Hunger in der Bevölkerung führt, ist das Land der siebtgrößte Uranproduzent der Welt. Rohstoff-Reichtum auf der einen und gesellschaftliche Armut auf der anderen Seite drohen Niger ständig zu zerreißen, wie viele andere afrikanische Länder auch.

Uran, das 1957 von einer französischen Kolonialexpedition auf der Suche nach Kupfervorkommen in Azelik entdeckt wurde, ist heute das zweitgrößte Exportgut Nigers – nur noch übertroffen von Gold. Das Land ist einer der Hauptlieferanten von Uran für die Europäische Union (EU) und liefert zwischen 15 und 17 Prozent des Urans für die französische Stromerzeugung.

Gleichzeitig hat das Land Schwierigkeiten, seinen eigenen Strom zu erzeugen. Nigeria hat vor Kurzem als Sanktion gegen die Militärjunta die Stromversorgung des Landes eingestellt hat, sodass ein Großteil des Landes im Dunkeln liegt.

Über Drohnen-Stützpunkte, Pipelines und globalen Dominanzverlust

Während Frankreich und die EU die Machtübernahme in Niger einen Staatscoup nennen, weigert sich in den USA das Pentagon, von einem Coup d’Etat zu sprechen. In öffentlichen Statements und gegenüber dem Nachrichtenmagazin The Intercept vermied man bewusst eine Klarstellung.

Darauf angesprochen, warum die Vereinigten Staaten die Machtübernahme nicht als Putsch bezeichnet haben, sagte die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagon, Sabrina Singh:

Es sieht ganz sicher nach einem Putschversuch aus. Wir haben Einrichtungen und Interessen in der Region, und unsere oberste Priorität ist es, diese Interessen und die unserer Verbündeten zu schützen. Eine Einstufung, wie Sie sie vorschlagen, ändert also sicherlich, was wir in der Region tun können und wie wir mit dem nigrischen Militär zusammenarbeiten können.

Während man also drei Wochen nach dem Coup nur von einem Versuch spricht, macht Singh zugleich deutlich, warum man die Beziehungen zur Junta-Führung nicht abbrechen möchte:

Niger ist ein Partner und wir wollen nicht, dass diese Partnerschaft aufhört. Wir haben dort Hunderte von Millionen Dollar in Militärstützpunkten investiert und mit dem dortigen Militär trainiert.

In Zahlen: Die USA haben seit 2012 eine halbe Milliarde US-Dollar an Steuergeldern für diese Partnerschaft ausgegeben. Zudem beheimatet Niger die größte und teuerste Drohnenbasis der Vereinigten Staaten. Kosten für den Bau: 100 Millionen Dollar, Unterhaltskosten pro Jahr: rund 30 Millionen.

Erdgas-Pipeline durch die Sahara und den Mittelmeerraum. Bild: Sémhur / CC BY-SA 4.0

Und dann ist da noch die Trans-Sahara-Gaspipeline (TSGP). Sie soll Erdgas von Nigeria durch Niger nach Algerien und Europa transportieren. Eine der Triebfedern für dieses Projekt war in den vergangenen zwei Jahren die Notwendigkeit für Europa, sich angesichts des Krieges in der Ukraine von russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen.

Die Lage in Niger ist im Moment im Fluss und unsicher. Während, wie gesagt, einige Ecowas-Mitglieder mit einer Intervention drohen, haben direkte Nachbarländer wie Mali, Algerien, Libyen, Tschad, Benin und Burkina Faso ihre Solidarität mit der Militärjunta erklärt. Algerien hat Frankreich für eine mögliche Intervention bereits die Überflugrechte verwehrt.

Wie Vijay Prashad auf Telepolis aufzeigt, ist der Putsch auch eine Reaktion auf die westliche Dominanz in vielen afrikanischen Ländern, wie sie über Spardiktate und Schuldenregime des Internationalen Währungsfonds, Rohstoffausbeutung und westliche Militärpräsenz ausgeübt wird. Jetzt müsse sich Europa an die Küstenlinie zurückziehen, da drei Staaten in der Sahelzone, Burkina Faso, Mali und Niger antifranzösische Regierungen an der Macht haben und in zwei weiteren, Tschad und Mauretanien, Unruhen drohen.

Russland versucht gleichzeitig, das in Niger entstehende Vakuum zu füllen. So wird berichtet, dass Söldner der Wagner-Gruppe von den Putschisten angefordert worden seien und sich dort aufhielten, stellvertretend für die russischen Interessen.

Der Fall Niger ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die (oft neokolonial betriebene) Dominanz der USA und Europas auf der Weltbühne zunehmend herausgefordert wird. So verloren die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten ihren Einfluss in Lateinamerika, jüngst im Nahen und Mittleren Osten (siehe der chinesische Saudi-Arabien-Iran-Deal), und auch in den Brics- bzw. Brics+-Staaten (offene Rivalität mit China, Stellvertreterkrieg mit Russland in der Ukraine, Entfremdung von Indien und Südafrika) geht man immer öfter einen unabhängigen Weg.

Was dabei wohl am meisten gefürchtet wird, ist, dass Niger eine Vorbildfunktion für andere, vergleichbare Staaten entfalten könnte. Im Kalten Krieg nannte man das den Domino-Effekt.

Im Zweifelsfall haben die USA und ihre Partner "erfolgreichen Ungehorsam" von "Partnerländern" in der Vergangenheit bestraft, mit Sanktionen, Interventionen und Ausgrenzung. In Niger könnte das aktuell aber nach hinten losgehen und die Ressentiments in der Bevölkerung anheizen.

Daher wird bisher gezögert. Was sich jedoch bei weiterer Eskalation schnell ändern könnte.