Warum die deutsche Debatte über Gefahren von TikTok selektiv ist
TikTok steht unter Beschuss: Sicherheitsexperten und Politiker warnen vor Gefahren der App. Was macht TikTok so gefährlich im Vergleich etwa zu Facebook? Ein Kommentar.
TikTok ist bei vielen Deutschen beliebt – manche Politiker und Behörden hätten es gerne anders. Seit die US-Regierung die Videoplattform vom amerikanischen Markt drängen will, wird auch hierzulande über die Gefahren diskutiert, die von TikTok ausgehen.
TikTok unter Beobachtung deutscher Behörden
Am Wochenende meldete sich Stephan Kramer, Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, im Handelsblatt zu Wort. "TikTok funktioniert wie ein Trojaner", sagte er und meinte damit, dass die Plattform Schaden anrichten könne, wenn sie von den Nutzern ausgeführt werde.
TikTok könne Kontakte aus dem Adressbuch der Nutzer auslesen und alle Tastatureingaben mitlesen, so Kramer. Außerdem erkenne die App, welche Videos wie lange angeschaut würden. Anhand dieser Daten bestimme China als Betreiber hinter der App, welches Video als Nächstes angezeigt werde.
"Jeder Nutzer ist quasi ein freiwilliges Versuchskaninchen in einem sozialen Feldversuch, weil unter anderem Vorlieben, Konsum-, Kommunikations- und Surf-Verhalten sowie persönliche Daten an den Betreiber geleitet, dort gesammelt und ausgewertet werden", schließt daraus der Verfassungsschützer.
US-Geheimdienste und ihre Bedenken gegen TikTok
Ähnlich argumentieren die US-Geheimdienste. FBI-Direktor Christopher Wray warnt laut Handelsblatt schon seit Jahren vor TikTok. Die Chinesen hätten die Möglichkeit, den Empfehlungsalgorithmus zu beeinflussen, wird er zitiert. Damit könnten sie Inhalte manipulieren.
Was TikTok von anderen sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder YouTube unterscheidet, wird nicht erwähnt. Hinter den drei genannten Plattformen stehen die Konzerne Meta und Alphabet, die längst als Datenkraken bekannt sind.
Datensammlung durch soziale Medien
Die Konzerne erstellen Profile ihrer Nutzer, um ihnen passgenaue Werbung zu präsentieren. Diese Profile enthalten Informationen über die jeweilige Stimmung der Nutzer, über ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, politische Einstellungen und Schwächen, was gekauft wird und welche Internetseiten besucht werden. Das gesamte digitale Leben wird erfasst.
Amnesty International schrieb vor zwei Jahren, dass Facebook nicht nur speichert, was die Nutzer in ihren Beiträgen veröffentlichen. So wird gespeichert, wo und wann man Fotos macht. Gespeichert wird auch, mit wem man kommuniziert, welche Seiten man besucht oder welche Hashtags man verwendet.
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Auch wenn man auf Facebook nicht aktiv ist, sammelt die Plattform Daten, wie eine Studie der US-Verbraucherorganisation Consumer Reports kürzlich gezeigt hat. Denn tausende Unternehmen geben Daten ihrer Kunden an Facebook weiter. Im Durchschnitt sind es 2.230 Unternehmen pro Person, die Daten sammeln und an Facebook weitergeben.
Unbewusste Bereitstellung von Nutzerdaten
Die Daten, um die es hier geht, werden von den Nutzern nicht immer bewusst zur Verfügung gestellt. In vielen kostenlosen Apps, zum Beispiel für Smartphones oder Tablets, sind entsprechende Tracker eingebaut, die Daten an Facebook oder Google senden.
Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigte, dass fast die Hälfte dieser Apps Daten an Facebook sendet. Fast 90 Prozent sendeten Daten an Googles Mutterkonzern Alphabet. Auch die meisten Internetseiten tragen zur Datensammlung bei.
Auch über Push-Nachrichten, die sich viele auf ihr mobiles Endgerät schicken lassen, können wichtige Daten abgegriffen werden. Forscher des App-Entwicklers Mysk haben herausgefunden, dass die meisten Apps, die Push-Nachrichten versenden, Gerätedaten sammeln.
Dazu gehören Systembetriebszeit, Gebietsschema, Tastatursprache, verfügbarer Speicher, Batteriestatus, Gerätemodell, Bildschirmhelligkeit und andere verwandte Informationen. Damit können individuelle Profile erstellt werden, um Nutzer online zu verfolgen und ihnen relevante Werbung anzuzeigen.
Die Auswirkungen der Datennutzung auf die Nutzer
Vorlieben, politische Einstellungen und andere Daten dienen nicht nur der Ausspielung von Werbung. Der Algorithmus nutzt sie auch, um weitere Nachrichten, Meldungen und Videos auszuspielen. Das hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass Facebook-Nutzer immer weiter in extreme Blasen getrieben wurden. Ob Facebook inzwischen wirksame Mechanismen dagegen entwickelt hat, ist unklar.
Wenn es um den Problembereich Desinformation geht, nannte das Bundesamt für Verfassungsschutz einst TikTok – neben Facebook, Instagram und Twitter (heute: X). Sie alle würden es Akteuren erleichtern, politische Debatten zu manipulieren.
Warum nun aber heute hauptsächlich TikTok als problematisch angesehen wird, erschließt sich nur vor dem Hintergrund der geopolitischen Rivalität zwischen dem transatlantischen Block mit den USA an der Spitze und China als Gegenspieler. Würde man sonst mit gleichem Maß messen, müssten Politiker und Beamte auch ein härteres Vorgehen gegen Social-Media-Plattformen aus den USA fordern.