Was den Leuten gefällt, wirkt auch

Seite 3: Plausibilität ist oft wichtiger als alle Empirie

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Man könnte auch etwas zynischer schlussfolgern: Je nach dem, wer gerade in der Marktforschung ein Thema untersucht, kommt etwas anderes dabei heraus. Und noch zynischer: Was immer dabei herauskommt, ist ziemlich egal. Man muss sowieso noch einmal nachprüfen, ob da überhaupt etwas dran ist. Und am zynischsten: Am besten, man kümmert sich um Forschungsergebnisse nur dann, wenn sie in der Sache einigermaßen plausibel sind und mit der allgemeinen Lebenserfahrung übereinstimmen. Und am allerzynischsten: Wer jetzt die Frage in sich selbst aufkeimen spürt, wozu die ganze Marktforschung überhaupt da ist, darf versichert werden, dass er auf dem richtigen Weg ist.

Das beste Erfolgsrezept für einen wirksamen Werbespot ist ein klarer, für den Verbraucher relevanter Produktnutzen. Ein echter eigenständiger Produktnutzen eines einzigen Produkts, der sich von dem aller vergleichbaren Produkte markant unterscheidet, ist allerdings so selten wie die Blaue Mauritius.

Da die Produkte aus ihrer objektiven Beschaffenheit wenig Raum zur Differenzierung bieten, ist werbliche Kommunikation im Prinzip der Königsweg, um aus austauschbaren Produkten eigenständige Markenpersönlichkeiten zu schaffen.

Dafür muss allerdings auch die Werbung von origineller Qualität sein. Werbung, die einfallslos auf abgedroschene Klischees zurückgreift, wie schöne Frauen oder jene ausgelutschte Lifestyle-Atmosphäre für Süßwaren, Kosmetik, Lebensmittel und dafür fast alles strapaziert, was sich an jugendliche Zielgruppen richtet, kann nur scheitern.

Bei der Analyse der Likeability empfiehlt es sich also zu fragen: Dramatisiert das, was gefällt, effektiv einen spezifischen Markenwert oder eine spezifische Markenwelt. Oder sind es weitgehend exekutionale Elemente wie schöne Musik, nette Darsteller, süße Hunde, niedliche Kinder oder ein generischer Lifestyle? Das bloße Wortgeklingel und das stylige Bildgehampel allein nützen auch dann nichts, wenn sie den Konsumenten noch so gut gefallen.

Abgesehen davon liegt der Annahme, Werbung, die den Leuten gefällt, sei auch verkaufswirksam, ein logischer Fehlschluss zu Grunde, der in der Marktforschung weit verbreitet ist, immer wieder vorkommt und trotzdem recht peinlich für die Angehörigen einer Branche ist, die so viel Wert auf ihr Denkvermögen legt.

Wenn verkaufswirksame Werbung den Leuten gefällt, bedeutet das noch lange nicht, dass alle Werbung, die den Leuten gefällt, auch verkaufswirksam ist. Das sind nun einmal von der Logik her zwei Paar Schuhe.

Komisch, bei anderen Zusammenhängen erkennt das jeder sofort: Ohne Zweifel ist richtig, dass alle Mütter Frauen sind. Aber kein Mensch würde daraus den Umkehrschluss ableiten: Alle Frauen sind Mütter. Es sei denn, er ist Marktforscher …

Wolfgang J. Koschnick gilt in Deutschland, Österreich und der Schweiz als einer der bestinformierten Kritiker der internationalen Werbeforschung und Werbung. Er hat über 50 anerkannte Nachschlagewerke aus dem weiten Feld von Marketing, Management, Marktkommunikation, Werbe- und Mediaplanung, Markt-, Media- und Sozialforschung geschrieben, mit denen mehrere Generationen von Nachwuchswerbern, Marketingexperten, Werbe- und Mediaforschern ausgebildet werden. Dabei bewahrte er stets seine Unabhängigkeit und eine gewisse Streitbarkeit. Bei Bedarf legt er sich mit Werbungtreibenden, Werbern, Werbeagenturen und sonstigen Interessenvertretern ohne Ansehen der Personen, Organisationen und Institutionen an.

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