"Wegen unserer Öffnungszeiten rufen Sie bitte die Bundesregierung an"

Auch schon wieder ein Jahr her: Schild an Restaurant in Stuttgart, März 2020.Bild. Fyrtaarn, CC BY-SA 3.0

Der Telepolis-Wochenrückblick mit Ausblick

Liebe Leserinnen und Leser,

als Journalist ist man derzeit für jedes Thema dankbar, das nichts mit der Corona-Pandemie zu tun hat. Die dominiert ja eh alle Diskurse. In der Redaktion von Telepolis waren wir in der vergangenen Woche daher klammheimlich froh über eine selbstverursachte Debatte.

Das bedarf einer kurzen Erklärung: Am 13. März hatte unser Autor Tomasz Konicz die Elektromobilität als "Sackgasse" bezeichnet, und postuliert: "Tatsächlich ist zumindest die Produktion von Elektroautos weitaus klimaschädlicher als die Herstellung fossiler Verbrenner – und es sind gerade die Batteriezellen, die als besonders umweltschädlich gelten." Eine These, die in unseren Foren und im Netz für teils heftige Reaktionen sorgte.

Für die Replik nun konnten wir den Umweltjournalisten Jan Hegenberg gewinnen, dessen spendenbasierten Blog Der Graslutscher ich Ihnen gerne empfehle. Hegenberg stellte in Bezug auf die Produktion von E-Auto-Batterien klar, dass schon seit fast vier Jahren "die irreführende Zahl von 17 Tonnen CO2 als Indikator für den Klimaschaden pro E-Auto-Batterie durch die Medienlandschaft" geistere.

Eine entsprechende Studie des Swedish Environmental Research Institute habe damals schon recht alte Daten verwendet. "Das Autorenteam hat der eigenen Studie daher zwei Jahre später ein Update spendiert, wodurch die Emissionen um die Hälfte auf 8,5 Tonnen CO2 korrigiert wurden – und auch das ist heute schon wieder zwei Jahre her", so Hegenberg, der nach diesen und weiteren Zahlen zum Schluss kommt: "Eine klimapolitische Sackgasse oder Greenwashing sehen für mich anders aus."

Nachdem sich dieser Aufreger also erledigt hatte, konnte es mit Corona weitergehen. Sigbert Gebert widmete sich zu Beginn der vergangenen Woche der Frage, was es mit der skurrilen Politisierung der Corona-Toten auf sich hat; weshalb also der Staat auf einmal – das ist schließlich ein Novum seit den religiös motivierten frühneuzeitlichen Pestsäulen – Trauerrituale für Opfer einer Krankheit abhält. Vielleicht, um vom eigenen Scheitern bei seinen eigentlichen, täglichen Aufgaben abzulenken: der Vorsorge und dem Schutz der Bevölkerung?

Es gehört wohl zu den Irrungen und Wirrungen unserer Corona-Tage, dass selbst dieser historiografisch-philosophische Essay von einigen Kommentatoren als Relativierung der Pandemiegefahr interpretiert wurde. Der Seuche, so scheint es, fallen auch Textverständnis und Diskussionsbereitschaft zum Opfer. Das wird uns hier sicherlich noch öfter beschäftigen.

Corona-Kurztrip nach Cala D‘Or

Mit einem anderen Irrsinn dieser Tage befasste sich unser Südeuropa-Korrespondent Ralf Streck: der Reisewelle zu Ostern nach Mallorca. Deren Folgen nämlich sind nicht absehbar. Und während auf der einen Seite ohne Not Reisen auf die Baleareninsel freigegeben sind, werden im Land aufgrund der unkalkulierbaren Pandemieentwicklung Grund- und Freiheitsrechte erneut eingeschränkt.

Und: Schon bevor hunderte Flieger von deutschen Flughäfen gen Palma de Mallorca starteten, stiegen auf der Balearen-Insel die Infektionswerte wieder an. "Lag die 14-Tage-Inzidenz vor gut einer Woche, als der Ansturm auf Oster-Flugtickets begann, bei 41 pro 100.000 Einwohnern, ist sie nun wieder auf knapp 52 gestiegen", berichtete Streck, der die Lage weiter verfolgt.

Schon damit sprach man in Spanien nicht mehr von einem niedrigen Risiko, sondern bereits von einer mittleren Gefahrenstufe. Dennoch hoben alleine an diesem Wochenende rund 130 Maschinen von deutschen Flughäfen nach Mallorca ab. Noch einmal: Ein Irrsinn, dem wir – mögliche Konsequenzen inclusive – in Echtzeit zusehen können, während die Regierung untätig bleibt.

Wobei, nicht ganz. Gesundheitsminister Jens Spahn sprach sich zuletzt für einen härteren Lockdown im Lockdown aus – vielleicht in Vorausahnung der potentiellen Super-Spreader-Rückkehrer aus Mallorca. Zu einer Pflicht zum Homeoffice, wo möglich, ringen sich die Regierungen von Bund und Ländern aber nach wie vor nicht durch. Sie waren in der vergangenen Woche ja auch damit befasst, die Beschlüsse ihrer eigenen - verfassungsrechtlich übrigens bedenklichen - Beratungsrunde zu revidieren.

Mit dem neuen Stand des pandemiepolitischen Hin und Hers befasst sich unsere Redakteurin Claudia Wangerin am heutigen Montagmorgen. Dabei geht es auch um den Widerspruch zwischen verweigerter Homeoffice-Pflicht und dem anhaltenden Verbot von Kulturveranstaltungen. Man setzt eben Prioritäten.

US-Geheimdienstfinte und klare Worte aus der CDU

Wie vergangene Woche angekündigt, hat sich Telepolis-Autor Markus Feilner mit einem auch in der deutschen Presse viel beachteten Bericht der US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines befasst. Während führende deutschsprachige Medien die Botschaft willfährig übernommen haben – "Putin wollte US-Wahl zugunsten von Trump beeinflussen" (Spiegel), "Putin bei US-Wahl für Trump" (tagesschau.de), "Russlands Einflussnahme auf die US-Wahl" (Tagesspiegel) –, kommt Feilner zu einem ganz anderen Urteil: Das entsprechende Papier habe in seiner öffentlich zugänglichen Version "wenig Sprengkraft und wenig inhaltlichen Wert". Es folge "vielmehr einer politischen Agenda, geschrieben eher von Spindoctors als von Geheimdienstexperten".

Und wieder Corona: Der langjährige Vizevorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach wird am heutigen Montag in einem Interview mit Telepolis eine erstaunlich kritische Bilanz der Politik auch seiner eigenen Partei ziehen. "Vieles kam zu spät, einiges ist widersprüchlich, anderes nicht sehr praxistauglich und immer wieder müssen Gerichte korrigierend eingreifen", so Bosbach im Gespräch mit unserem Autor Marcel Malachowski.

Schön und treffend ist Bosbachs nüchterne Feststellung, es sage schon eine Menge über das Thema Corona-Regeln und Lebenswirklichkeit, wenn eine Buchhandlung an der Tür ein Schild mit folgendem Text aufhänge: "Wegen unserer Öffnungszeiten rufen Sie bitte die Bundesregierung an, wir blicken nicht mehr durch!"

Wir von Telepolis sind gespannt, was die neue Woche bringt, in die wir übrigens mit teilweise neuer Besatzung starten. Unser langjähriger Kollege Peter Mühlbauer geht in den verdienten Ruhestand, neu an Bord ist die Kollegin Claudia Wangerin – eine Münchnerin in Berlin mit langjähriger Erfahrung im Tageszeitungsjournalismus und in den Untiefen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit!

Bis dahin, bleiben Sie uns gewogen, Ihr

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