Welt vor neuem Weltkrieg?

Seite 2: Globales Chaos und Abstieg Amerikas

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Ähnlich argumentierte die US-Analystin Rosa Brooks von der New Armerica Foundation, die in ihrem Beitrag für die Zeitschrift Foreign Policy das globale "Chaos" und den Abstieg Amerikas deutlich benannte - und entgegen dem Mainstream der geopolitischen Politberater eine Art georderten Rückzug der Vereinigten Staaten aus ihrer hegemonialen Stellung im Weltsystem vorschlug. Und es sind selbstverständlich die sozioökonomischen wie politischen Folgen der sich zuspitzenden kapitalistischen Systemkrise, (Die Krise kurz erklärt) insbesondere des letzten globalen Krisenschubs von 2007/08, die diesen geopolitischen Abstiegskampf auslösten und immer weiter anfachen.

Die letzte Finanz- und Weltwirtschaftskrise brachte einen massiven Verelendungsschub und den sozioökonomischen Abstieg ganzer Regionen - etwa Südeuropas - mit sich, der zu einer massiven Zunahme der inneren Widersprüche in den betroffenen Ländern und der Verteilungskämpfe zwischen den Staaten und Wirtschaftsblöcken führte. Die eskalierenden Widersprüche einer dahinsiechenden Weltwirtschaft (Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst) und krisenbedingt zunehmender Systemzwänge treiben die Staatsapparate in verschärfte Konkurrenz, woraus global die zunehmenden Konflikte resultieren. Man kann für diesen Krisenimperialismus das Bild eines sinkenden Schiffes wählen, bei dem die Passagiere der ersten Klasse diejenigen der zweiten und dritten Klasse über Bord werfen, um noch etwas Zeit zu gewinnen - bis sie selbst an die Reihe kommen. Eine ganz ähnliche geopolitische Lage herrschte nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Negative Krisenkonkurrenz

Die krisenbedingt zunehmende Neigung der morschen Staatsapparate der neoimperialistischen Großmächte, mittels äußerer Expansion die wachsenden inneren Widersprüche zu überbrücken, bildete letztendlich auch den wichtigsten Faktor bei der Eskalation des Ost-West-Konflikts um die Ukraine. Es ist absolut klar, dass es sich hier nicht um einen klassischen, von expandierender Kapitalverwertung befeuerten Eroberungszug handelt, bei dem die geopolitischen Akteure um die Kontrolle etwa der maroden ostukrainischen Industrie ringen. Es handelt sich hier vielmehr um eine "negative" Krisenkonkurrenz, bei der die jeweiligen Machtblöcke ihren Abstieg auf Kosten der jeweiligen Konkurrenten zu verhindern trachten.

Konkret: Russland wollte mit der Einbringung der Ukraine in die vom Kreml forcierte Eurasische Union, die als Konkurrenzprojekt zur EU konzipiert war, seinen Status als eine global agierende Weltmacht halten. Bei der EU galt es folglich, das Aufkommen eines solchen Konkurrenten zu verhindern, der den europäischen Peripherieländern - für die "Europa" aufgrund des deutschen Krisendiktats zusehends einem preußischen Kasernenhof gleicht - eine gangbare Bündnisalternative geboten hätte. (Let's go East)

Die energiepolitische Kooperation Ungarns und Bulgariens mit dem Kreml (Stichwort: South Stream) in den vergangenen Jahren hat in Brüssel alle Warnlichter aufleuchten lassen. Die im Abstieg befindliche und hoch verschuldete Hegemonialmacht USA wiederum muss unbedingt den US-Dollar als Weltwährung retten, weswegen sie die Etablierung eines einheitlichen eurasischen Wirtschaftsraumes - bis vor Kurzem gab es auch innerhalb der deutschen Funktionseliten eine hierfür plädierende Strömung - um jeden Preis verhindern will. Die Eskalation in der Ukraine bildete somit den Keil, der eine diesbezügliche Annäherung zumindest mittelfristig unmöglich machen wird.

USA: Gelddruckerei und exzessive Schuldenaufnahme

Die krisenbedingt zunehmenden Widersprüche treiben somit die Staaten, denen das ökonomische Fundament wegzubrechen droht, in die Konfrontation. Offensichtlich ist dies - wie angedeutet - im Fall der USA. Washington steht inzwischen mit 17,8 Billionen US-Dollar in der Kreide, dies entspricht einer Staatsverschuldung von 101,6 Prozent des US-BIP. Nur zur Erinnerung: Vor Krisenausbruch 2007 lag die amerikanische Staatsschuld bei weniger als neun Billionen US-Dollar.

Um die Weltfinanzmärkte nach Krisenausbruch zu stabilisieren, hat die Fed im Rahmen ihrer Quantitative-Easing-Programme einen gigantischen Berg an Schrottpapieren und Staatsanleihen aufgekauft, sodass ihre Bilanzsumme von 800 Milliarden im Jahr 2008 auf aktuell 4000 Milliarden anschwoll. Diese Gelddruckerei und exzessive Schuldenaufnahme, mit der Washington die US-Konjunktur stabilisieren konnte, ist nur deswegen möglich, weil der US-Dollar die Reserve- und Weltleitwährung bildet, in der letztendlich ein Großteil der globalen Transaktionen - insbesondere im Finanz- und Rohstoffsektor - abgewickelt wird.

Würde der US-Dollar diese Position als Weltleitwährung verlieren, dann drohte den USA ein ähnlicher ökonomischer Zusammenbruch, wie sie überschuldete Staaten wie die Ukraine oder Griechenland erfuhren. (Die Ukraine als Griechenland des Ostens?) Und tatsächlich bemühten sich China und Russland in den vergangenen Monaten, die Position des Greenbacks als monetäre Grundlage der Weltwirtschaft in Frage zu stellen, auch wenn diese Angriffe allesamt verpufft sind; und dies nicht zuletzt aufgrund des - durch die Intervention des Westens in der Ukraine herbeigeführten - Scheiterns des russischen Projekts der Eurasischen Union, die ein Gegengewicht zur EU bilden und einen einheitlichen eurasischen Wirtschaftsraum etablieren sollte. Das geopolitische Agieren der USA ist somit an der strategischen Prämisse ausgerichtet, die Position des US-Dollar als Weltleitwährung um jeden Preis aufrecht zu erhalten, um einen Kollaps des heimischen Schuldenbergs zu verhindern.

Teufelskreislauf

Der US-amerikanische militärisch-industrielle Komplex, der zu einem guten Teil die Verschuldungsdynamik in den Vereinigten Staaten befeuert, gerät mit diesen geopolitischen Maximen in einen Teufelskreislauf: Die für weitere Schuldemnacherei unabdingbare Hegemonialstellung der wirtschaftlich schwächelnden USA, die in den vergangenen Dekaden eine breite Deindustrialisierung erfuhren, kann nur noch vermittels der militärischen Überlegenheit Washingtons aufrecht erhalten werden, deren Aufrechterhaltung weiterer kostspieliger - und schuldenfinanzierter - Rüstungsanstrengungen bedarf.

Von dem amerikanischen Schuldenturmbau profitieren aber auch exportorientierte Volkswirtschaften, die ihre Exportüberschüsse in den durch exzessive Handelsdefizite gekennzeichneten Binnenmarkt der USA absetzen können.. Neben China erwirtschaftet vor allem die Bundesrepublik ernorme Handelsüberschüsse mit den Vereinigten Staaten, die sich im Vergangenen Jahr auf den Rekordbetrag von 67,2 Milliarden US-Dollar summierten (2012 waren es 59,9 Milliarden, 2011 49,5 Milliarden). Diese ernormen Handelsüberschüsse, deren wirtschaftliche Bedeutung aufgrund des Nachfrageeinbruchs in der Eurozone für die BRD zunimmt, ermöglichen erst das Fortbestehen des exportfixierten deutschen Wirtschaftsmodells, das ja bekanntlich auf der Erzielung möglichst hocher Ausfuhrüberschüsse beruht (Der Exportüberschussweltmeister).

Zum Vergleich sei hier angemerkt, dass die Bundesrepublik 2013 Waren im Wert von nur 38 Milliarden Euro nach Russland exportierte. Der deutsche Handelsüberschüss gegenüber den USA ist somit nahezu doppelt so hoch wie die deutschen Gesamtausfuhren nach Russland! In diesen harten ökonomischen Fakten ist wohl einer der wichtigsten Gründe zu finden, wieso sich Berlin im Vorfeld der Ukraine-Krise in die westliche Allianz einreihte, auch wenn weiterhin hierüber Meinungsverschiedenheiten innerhalb der deutschen Funktionseliten bestehen.

"Klappe zu, Frau Merkel!"

Die hochverschuldeten und bis an die Zähne bewaffneten USA stemmen sich mit Interventionen gegen den drohenden Verlust ihrer Hegemonialstellung, im Fall der BRD wurden die Krisenfolgen hingegen vermittels der aggressiven Wirtschaftspolitik auf andere Staaten abgewälzt. (Krugman redet Klartext) Die jahrelangen deutschen Handelsüberschüsse gegenüber der Eurozone, die seit der Eureinführung regelreicht explodierten, haben maßgeblich zur Deindustriealisierung, Verschuldung und Verelendung der Europäischen Peripherie beigetragen, während die BRD ihre Industriekapazitäten halten und die europäischen "Schuldenstaaten" in eine reglerechte Schuldknechtschaft treiben konnte.

Europas Wirtschafts- und Sozialpolitik wird nun - in Gestalt des europäischen Spardiktats - weitgehend in Berlin formuliert, wobei die diesbezüglichen Mahnungen, Weisungen und Ultimaten der deutschen Politelite den europäischen Adressaten inzwischen die Zornesröte ins Gesicht treiben. Der französische Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon twitterte in Reaktion auf weitere Sparforderungen aus Berlin: "Klappe zu, Frau Merkel!" Sekundiert wurde er vom Finanzminister Sapin, der Merkel aufforderte, künftig besser auf ihre Wortwahl zu achten. Die Kritik am deutschen Dominanzanspruch in Europa, die in Frankreich formuliert wird, ähnelt inzwischen den Reaktionen aus Moskau auf das zunehmend aggressive Gebaren der politischen Führungsriege Berlins: "Wir können kaum noch unsere Besorgnis darüber ausdrücken, was unsere deutschen Kollegen treiben," klagte der russische Außenminister Lawrow Anfang Dezember.

Die globale Krise des Kapitals, das hieraus resultierende globale Chaos, führt somit zu einem allgemeinen Anstieg der zwischenstaatlichen Spannungen und Auseinandersetzungen - auch innerhalb der "westlichen Wertegemeinschaft". Und dennoch unternimmt der im Abstieg befindliche und von inneren Konkurrenzkämpfen zerrissene Westen derzeit einen neuen Versuch, die schwindende Hegemonie aufrechtzuerhelten: Nicht nur vermittels aggressiver neoimperialistischer Interventionen in der russischen Einflusssphäre, sondern auch vermittels des Aufbaus eines transatlantischen Freihandelsraums, des TTIP.

Teil1: Der russische Spiegel: Die theatralische Empörung des Westens über das machtpolitische Agieren Russlands zeugt von fortgeschrittener Demenz.

Teil 3: Mit TTIP zurück in die imperiale Vergangenheit