Weltweit und in Deutschland: Die Zahl der Millionäre steigt
Wie fast jedes Jahr nimmt die Anzahl der Millionäre weltweit und in Deutschland zu. Doch dies ist nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung erfreulich.
Es gibt doch noch gute Nachrichten! "Nach einer Studie des Beratungsunternehmens Capgemini stieg die Zahl der Menschen, die über ein anlagefähiges Vermögen von mindestens einer Million Dollar verfügen, weltweit um 5,1 Prozent auf geschätzt 22,8 Millionen. (…) In Deutschland, das im vergangenen Jahr in einer Konjunkturflaute steckte, stieg das Vermögen der Reichen demnach um 2,2 Prozent auf 6,28 Billionen US-Dollar, die Gruppe der Dollarmillionäre wuchs um 34.000 (2,1 Prozent) auf 1,646 Millionen Mitglieder", so berichtet das Manager-Magazin.
Leider enden damit aber auch schon die positiven Nachrichten. Bei dieser Meldung, die so oder ähnlich eigentlich jedes Jahr über den Ticker geht, kann der Journalist, der schon seit einiger Zeit der schreibenden Zunft anhängt, leicht auf frühere Recherche zurückgreifen, denn bedauerlicherweise hat sich wenig bis gar nichts bei dem Thema Ungleichheit und der sozialen Frage geändert. Das mag die Arbeit des Schreibens erleichtern, ist aber bezeichnend für die soziale Schere in Deutschland.
Ein Blick auf die andere Seite
Die Erstergebnisse des Mikrozensus weisen für Deutschland eine Armutsquote von 16,6 Prozent aus. Der "Paritätische Gesamtverband" kommentiert, dass – falls sich diese Zahlen bestätigen sollten – "die Armut in Deutschland damit gegenüber 2022 um 0,2 Prozentpunkte und gegenüber 2021 um 0,3 Prozentpunkte zurückgegangen" sind.
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"Diese Werte (lassen sich) auch durchaus noch als Stagnation auf sehr hohem Niveau interpretieren, so ist es doch zumindest das erste Mal seit Einführung der Armutsstatistik auf Basis des Mikrozensus im Jahr 2005, dass die Armut in zwei Jahren in Folge, wenn auch nur leicht, so doch abnimmt."
Mehr mit Millionen
Während sich also die Steigerungsrate bei Menschen mit mindestens einer Million Euro Vermögen, das sie auf der hohen Kante haben und anlegen können, in respektablen Bereichen bewegt, so ist das Ausmaß der Reduzierung der Armut allenfalls zehnmal so gering. Zudem gibt es weitere, altbekannte und schlechte Nachrichten: In Deutschland herrscht Altersarmut. Knapp jeder fünfte Mensch über 65 Jahre ist hierzulande armutsgefährdet.
In Deutschland herrscht ebenfalls Kinderarmut. Im neuen Forschungsbericht des UNICEF-Forschungsinstituts Innocenti befindet sich Deutschland im unteren Mittelfeld – auf Platz 25 der insgesamt 39 untersuchten OECD- und EU-Staaten. Die sogenannte Armutsrisikoquote liegt bei 15,5 Prozent. In der Bundeshauptstadt ist sogar fast jedes vierte Kind von Armut bedroht. Die Situation armer Kinder in Deutschland ist seit Jahren nahezu unverändert.
Sozialer Sektor vor Kollaps
Ein weiteres massives Problem: Der soziale Sektor steht in Deutschland vor dem Kollaps. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Deutschen Roten Kreuzes zeichnet ein entsprechend düsteres Bild: "Das größte Risiko ist, dass grundlegende Leistungen der sozialen Daseinsvorsorge wegbrechen."
Teilweise beeinträchtigt Personalnot schon heute die Erbringung wichtiger sozialer Leistungen. Besonders problematisch ist dies, weil gerade auch infolge der Corona-Maßnahmen der Bedarf an den Hilfestellungen des sozialen Sektors massiv gestiegen ist. Psychiatrien, Therapiezentren, Beratungsstellen und zahlreiche weitere Bereiche sind am Rande der Belastung oder darüber.
Ungleichheit: Dauerthema, das kaum interessiert
In Deutschland steigt die Ungleichheit und ist die Freude über die derzeitige Entwicklung extrem einseitig verteilt. Die Zunahme der Menschen mit mindestens einer anlagefähigen Millionen Euro und der gleichzeitigen quasi Stagnation der Armutsgefährdung auf sehr hohem Niveau deuten darauf hin, dass in Deutschland die Ungleichheit zunimmt und die Freude über die aktuellen positiven Nachrichten recht einseitig verteilt ist. Hierzulande besitzen die fünf reichsten Familien mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung.
Das Thema Ungleichheit ist ein Dauerthema, das aber erstaunlicherweise kaum eine Rolle in der politischen Debatte und als Wahlkampfthema spielt. Dabei ist bekannt, dass Ungleichheit gleichsam die Mutter fast aller gesellschaftlichen Probleme ist.
Deutsche werden kranker
Die Rate der physisch Kranken, der Drogenabhängigen, der Analphabeten, der Schulaussteiger, der Inhaftierten, der Morde und der psychisch Kranken – all das (und vieles mehr) steht jeweils in direktem Zusammenhang mit der Ungleichheit in einer Gesellschaft. Gleiches gilt auch für die Säuglingssterblichkeit, den Erfindungsreichtum, das Vertrauen der Menschen untereinander sowie für das Ausmaß an Angst.
Ungleichheit gefährdet auch die Demokratie, wie auf Telepolis bereits ausführlich begründet wurde. Ungleichheit macht krank und Ungleichheit tötet, denn Studien belegen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Ungleichheit in einem Land und der dortigen Lebenserwartung besteht. Je geringer die Ungleichheit, desto höher die Lebenserwartung.
Epidemiologe warnt
Der Epidemiologe Michael Marmot kommt nach seinen jahrzehntelangen Untersuchungen zu dem Resümee: "Vermeidbare gesundheitliche Ungleichheit ist die größte Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft." Auf der Rückseite des Abschlussberichts einer von Marmot geleiteten Kommission der Weltgesundheitsorganisation ist zu lesen: "Die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten ist ein ethischer Imperativ. Soziale Ungerechtigkeit tötet Menschen in großem Stil."
Trotz all diesen Erkenntnissen sucht man die soziale Frage fast vergebens im Wahlkampf. Ein Vorschlag zur Güte, durch eine großangelegte Studie belegt: Großzügige Umverteilung erhöht Lebenserwartung.
Comeback der Steuererhöhungen für Reiche?
In der Gesellschaft ist das Thema Ungleichheit und die ungerechte Verteilung der Lasten immer mehr ein Thema. Die "New York Times" ließ den französischen Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman, der spätestens seit seinem Bestseller "Der Triumph der Ungerechtigkeit: Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert" für seine Forderung nach einer deutlich höheren Steuerbelastung für die Reichsten bekannt ist, einen ausführlichen Artikel schreiben. Die Überschrift lässt keinen Zweifel an der Richtung des Textes: "Es ist Zeit, die Milliardäre zu besteuern."
Im letzten Herbst richteten rund 300 Millionäre, darunter die Erbin Abigail Disney, Politiker wie Bernie Sanders, ehemalige Staats- und Regierungschefs, politische Vertreter und Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Piketty haben gemeinsam einen Aufruf an die Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten (Telepolis berichtete):
Die Anhäufung von extremem Reichtum durch die vermögendsten Menschen der Welt ist zu einer wirtschaftlichen, ökologischen und menschenrechtlichen Katastrophe geworden, die die politische Stabilität in Ländern auf der ganzen Welt bedroht. Ein derartig hohes Maß an Ungleichheit untergräbt die Stärke praktisch aller unserer globalen Systeme und muss daher direkt angegangen werden.
Jahrzehntelange Steuersenkungen für die Reichsten, die auf dem falschen Versprechen beruht haben, der Reichtum an der Spitze würde uns allen zugutekommen, haben zum Anstieg extremer Ungleichheit beigetragen. Unsere politischen Entscheidungen ermöglichen es den Superreichen, weiterhin Steuervergünstigungen zu nutzen und eine Vorzugsbehandlung zu genießen, die dazu führt, dass sie in den meisten Ländern der Welt niedrigere Steuersätze zahlen als normale Menschen.
Und welche Richtung wählt die deutsche Politik? Der Spitzensteuersatz wurde im Jahr 2023 von 58.597 Euro auf 62.810 Euro angehoben, in diesem Jahr auf ein Jahreseinkommen von 66.761 Euro und ab 2026 dann auf 69.798 Euro erhoben. Das Thema Vermögenssteuer oder Übergewinnsteuer für Krisengewinnler jenseits der Ölindustrie ist aktuell kein Thema. Stattdessen möchte Bundesfinanzminister Christian Lindner bei den Sozialausgaben im Bund einsparen.
Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang an Michael Marmots Äußerung erinnern: "Was wäre, wenn jedes Mal, wenn ein Politiker sagte, er wolle die Leistungen für die Armen kürzen, ein kleiner Vogel ihm ins Ohr flüsterte: Weniger Sozialausgaben bedeuten, dass sich die Gesundheit der Menschen verschlechtert, wenn nicht sogar, dass sie sterben."
"Armut in jeder Form und überall beenden" Aber wann?
Noch im Sommer letzten Jahres versprach die Bundesregierung mit der Agenda 2030:
Die Überwindung von Armut ist die größte Herausforderung der Gegenwart. Armut gibt es in vielen Ausprägungen. Absolute Armut, die mitunter existenzbedrohend ist, ist nicht vergleichbar mit der Situation von Menschen mit niedrigem Einkommen in Deutschland. Beide Formen der Armut müssen jedoch bekämpft werden." Die Titel dieses Eintrags zur Agenda 2030 lautet: "Armut in jeder Form und überall beenden.