"Wenn sich ein Fußballer als schwul outet, sinkt sein Marktwert"

Seite 2: Männerbild im 21. Jahrhundert

Dieses Ergebnis befriedigt das Journalisten-Team nicht. Trotz monatelanger Suche konnten sie keinen Profifußballer finden, der öffentlich zu seiner Homosexualität steht.

Sie schließen ihre Serie mit einem Zwischenschritt: Zur Unterstützung schwuler Fußballer, die sich outen möchten, haben sie ein "Star-Team" zusammengestellt. Dieses besteht unter anderem aus der Fußballnationalspielerin Merel van Dongen und dem Olympiasieger Johan Kenkhuis, die offen über ihre Bi- oder Homosexualität sprechen. Dazu kommen bekannte Personen aus der LGBTI+-Szene.

Man könnte aber auch kritisch hinterfragen, wie zeitgemäß das Männerbild des Profifußballs noch ist. Dass man in einem Bereich, in dem sechs- bis siebenstellige Jahresgehälter winken, hohe Leistung und Stressresistenz erwartet, ist das eine. Aber warum sollen Fußballspieler nicht offen zu ihrer Sexualität stehen dürfen?

Eine international vielbeachtete Studie in Science ergab, dass gleichgeschlechtliche Sexualkontakte mit der Zeit normaler wurden. Je später jemand geboren war, desto größer war die Wahrscheinlichkeit für intime Begegnungen mit dem eigenen Geschlecht. Das deutet auf zunehmende Toleranz hin.

Die Ergebnisse einer 2020 veröffentlichten Befragung von 463 US-amerikanischen Männern ergab jedenfalls, dass in deren Bild von Männlichkeit Heterosexualität keine zentrale Rolle spielte. Mit rund 55 Prozent gab die Mehrheit emotionale Zähheit als wesentliche Eigenschaft an, gefolgt von rund 50 Prozent für Versorgung der Familie.

Zwar nannten im Vergleich dazu mit 11 Prozent nur wenige Heterosexualität. Auf dem dritten Platz landete mit rund 40 Prozent allerdings Vermeidung von Weiblichkeit. Und Homosexualität gilt vielen vielleicht als irgendwie unmännlich.

Für wen ist "toxische Männlichkeit" toxisch?

In feministischen Kreisen wird oft von "toxischer Männlichkeit" gesprochen. Es ist zwar richtig, dass die meisten Straftaten von Männern begangen werden. Die richten sich meistens aber gegen andere Männer, insbesondere jüngere Männer. Diese stehen also nicht nur auf der Täter-, sondern auch der Opferseite auf Platz 1.

In der Öffentlichkeit wird das aber kaum wahrgenommen. So wird über die sehr häufigen Körperverletzungen und schweren Körperverletzungen, die für viele Männer leider zum Leben dazugehören, kaum gesprochen. Die sehr viel selteneren Sexualstraftaten, die einzige Gruppe von Gewaltverbrechen, bei denen Frauen häufiger Opfer sind, erhalten demgegenüber sehr viel Aufmerksamkeit in den Medien.

Auch mit dem Schlagwort "Femizid" werden Morde an Frauen besonders hervorgehoben, obwohl tatsächlich sehr viel mehr Männer ermordet werden. Auch Selbsttötungen sind bei Männern sehr viel häufiger und in so gut wie allen Ländern sterben sie Jahre früher als Frauen. Dabei ist der Unterschied in patriarchaleren Kulturen besonders groß, also für Männer besonders nachteilig.

Die "toxische Männlichkeit", sofern es sie denn gibt, richtet sich in erster Linie gegen das eigene Geschlecht. Dass auch am Anfang des 21. Jahrhunderts schwulen Fußballern ihre Sexualität weniger gegönnt wird als ihren heterosexuellen Kollegen und lesbischen Kolleginnen, ist ein deutliches Zeichen.

Toleranz von gleichgeschlechtlichen Kontakten und Beziehungen unter Männern wären ein wichtiger Schritt zur Abkehr von der Gewalt, unter der die Männer selbst am häufigsten leiden. Vom Fußball könnte hier eine wichtige Signalwirkung ausgehen. Bei Großveranstaltungen Regenbogenflaggen zu zeigen, scheint bisher nicht auszureichen.

Warum sollten sexuelle Vorlieben etwas über die Qualität eines Fußballspielers aussagen? Dessen Leistung zeigt sich doch auf dem Platz und nicht im Bett.

Bi- und Homosexualität – medizinische Begriffe aus dem späten 19. Jahrhundert – wurde in verschiedenen Phasen immer wieder religiös stigmatisiert, kriminalisiert oder pathologisiert. Auch anthropologische Studien zeigen aber, dass sie in so gut wie allen menschlichen Gesellschaften vorkommen. Sie sind in diesem Sinne völlig normal.

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.