Wenn wir den anderen Menschen nicht riechen können

Gerüche spielen bei der Sexualität eine wichtige Rolle, aber was ist die Folge, wenn Männer und Frauen unter Anosmie leiden?

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Anosmie ist ein relativ seltenes Phänomen. Viele werden den Begriff gar nicht kennen. Gemeint ist damit das Fehlen oder der Verlust des Geruchssinns. Manche Menschen kommen bereits auf die Welt, ohne einen Geruch wahrnehmen zu können, andere verlieren durch eine Krankheit die Möglichkeit, die Welt und die anderen Menschen zu riechen. Das erscheint zunächst weniger beeinträchtigend, als wenn man blind oder taub ist, zumal viele Menschen ihre Körpergerüche, hervorgerufen durch die zahlreichen Mitbewohner des menschlichen Körpers, sowieso bekämpfen, indem sie sie mit anderen Gerüchen überdecken oder Achsel- und Schamhaare rasieren, während es neben den individuell unterschiedlichen Wohlgerüchen auch genügend Gerüche gibt, die Ekel, Abscheu oder Abwendung hervorrufen können, was natürlich dazu dienlich ist, vor Gefahren zu warnen.

Für Immanuel Kant waren, wie in der philosophischen Tradition üblich, der Geruchs- und der Geschmackssinn die am wenigsten edle Sinne, weil im Unerschied zu den Distanzsinnen des Sehens und Hörens das Gerochene gewissermaßen die Körpergrenze überschreitet, die Wahrnehmung nicht abgestellt werden kann und die Gerüche über die Nase in den Menschen eindringen. Das verletzt die Privatsphäre und ist zu körperlich intim.

Schmutz scheint nicht sowohl durch das Widrige fürs Auge und die Zunge, als vielmehr durch den davon zu vermuthenden Gestank Ekel zu erwecken. Denn die Einnehmung durch den Geruch (in die Lungen) ist noch inniglicher, als die durch die einsaugenden Gefäße des Mundes oder des Schlundes.

Beim Sex beispielsweise werden massenweise Gerüche durch Schweiß, Speichel, Samen und andere Körpergerüche produziert, die eigentlich Ekel und damit den Wunsch nach Distanz hervorrufen müssten, Nach einer Studie scheint sexuelle Begierde jedoch diesen Ekel zeitweise auszuschalten (Schweiß, Gerüche, Samen, Speichel: Warum Sex nicht eklig ist). Aber wie ist Sex für Menschen, die gar nicht riechen können? Bekanntlich spielen Pheromene für die Partnerwahl und bei der Erkennung der Gefühlslage der Mitmenschen eine wichtige Rolle. Wissenschaftler der Universität Dresden haben untersucht, worüber sie in der Zeitschrift Biological Psychology schreiben, wie sich Geruchlosigkeit auf die Partnerwahl auswirkt.

Aus einer früheren Studie ging bereits hervor, dass Menschen, die mit Anosmie geboren wurden, unsicher im Bezug auf andere Menschen sind, weil sie diese nicht riechen können. Das könnte auch die Ursache sein, dass sie depressiver sind. Sie sind verständlicherweise unsicher, wie sie selbst riechen, haben Probleme beim Umgang mit anderen Menschen und vermeiden eher, zusammen mit anderen Menschen zu essen.

Männer und Frauen verhalten sich jedoch anders, wie die Wissenschaftler nun herausgefunden haben, auch wenn die Basis der Studie mit 32 Personen (10 Männer, 22 Frauen), die nichts riechen können, und einer Kontrollgruppe aus 36 Personen ziemlich schmal ist. Männer, die nichts riechen können, scheinen sich gegenüber Frauen sehr viel stärker zurückhaltend zu verhalten. Sie haben nur sehr wenige sexuelle Beziehungen, fünfmal weniger als riechende Männer, während bei Frauen dies nicht festzustellen ist, diese aber eher unsicher sind, was ihren Partner betrifft. Möglicherweise führt die Geruchlosigkeit zu einer geringeren sexuellen Begierde bei Männern aber sie beeinflusst nicht das Vertrauen in den Partner, zudem scheint die sexuelle Zufriedenheit davon nicht betroffen zu sein, möglicherweise ist es auch hilfreich, siehe oben, nicht die Körpergerüche beim Sex riechen zu können.

Bei den nicht-riechenden Frauen zeigt sich keine Veränderung der Beziehungen zur Mutter und zu nahen Freunden, weswegen die Wissenschaftler glauben, dass olfaktorische Reize für Frauen vor allem wichtig für sexuelle Beziehungen sind. Den Partner zu riechen, scheint für Frauen wichtig zu sein, sagen die Wissenschaftler, um ein Gefühl des Vertrauens zu entwickeln, während Männer nicht so schnell auf Frauen anzuspringen scheinen, wenn sie nichts riechen können.

Welche Gerüche für sexuelle Beziehungen wichtig sind, geht aus der Studie aber nicht hervor. Gerüche scheinen eine nicht unerhebliche Rolle für die sexuelle Partnersuche und Partnerschaft zu spielen. Bleibt die Frage, welche Folgen die Ausschaltung der eigenen Körpergerüche oder deren Überlagerung durch andere Gerüche hat. Auch dann riechen wir uns schließlich nicht mehr.