Wer ist Wladimir Putin?

Seite 2: Nicht nur Kindheitserfahrungen

Nun wäre es kurzschlüssig, Putins Charakter und politisches Handeln als Regierungschef auf seine Kindheitserfahrungen zu reduzieren. Putin Persönlichkeit ist komplex. Er regiert von 2000 bis heute. So lange hat sich kein westlicher Regierungsführer gehalten. Damit ist er wohl der erfahrenste Staatslenker der Welt.

Es ist klar, dass er eine breite Palette an politischen Handlungsmöglichkeiten entwickelt hat. Zeitweilig konnte er auch auf Dialog und Kooperation mit dem Westen, mit der EU und der Nato setzen, obwohl er das wohl schon damals anders meinte als es die ihm applaudierenden Politiker 2001 im deutschen Bundestag verstanden.

Putin ist intelligent, gebildet und kalkuliert seine Schritte kühl. Ihn für "verrückt" zu erklären, greift zu kurz und führt auch nicht weiter. Jemanden kognitiv oder emotional nicht oder schwer zu verstehen, ergibt noch keine Berechtigung, ihn für unzurechnungsfähig zu halten. Putins Handeln ist weder spontan-unüberlegt noch irrational.

Versetzt man sich in ihn und seine Beweggründe – die er zeitweilig offen ausgesprochen hat – dann handelt er logisch und konsequent, was Risikobereitschaft und Fehleinschätzungen nicht ausschließt. Es heißt auch nicht, dass er offen und geradlinig operieren müsste.

Sich nicht in die Karten schauen lassen, andere im Unklaren lassen, täuschen, Gutgläubigkeit und Schwächen von Gegnern ausnutzen, überraschend losschlagen, kurzum: flexible Taktik – ohne das Ziel aufzugeben – gehört zu seinem Handlungsrepertoire.

Ein Mittel dieser Taktik ist auch, verdeckt zu arbeiten, sich anderer bedienen, ohne sich selbst "die Hände schmutzig zu machen" und so im angeblichen Einklang mit rechtlichen und ehrenhaften Normen Ziele zu erreichen. Als ehemaliger KGB-Offizier hat er dies gelernt – ein Beispiel der Erweiterung seiner "Kompetenzen" im Laufe seiner beruflichen und politischen Entwicklung.

Im Gegensatz zu diesem Mittel hat Putin aber auch den Erfolg "klarer Ansagen" – wenn die Machtverhältnisse dies ermöglichen – erfahren und kann sie einsetzen. Unmissverständliche Ankündigungen und daraus folgende harte Schritte hat er bei der Amtsübernahme als Staatspräsident 2000 gegenüber den "ungesetzlichen" und "national schädlichen" Vorteilsnahmen" der Oligarchen praktiziert.

Putin gestattet nur selten einen Blick in sein Inneres. Er ist aber durchaus zur Selbstreflexion fähig – und damit zeigt er sich als verantwortlich für sein Handeln. Dies belegt die Schlussszene in Vitaly Manskis Dokumentarfilm "Putins Zeugen".3

In einem intimen Gespräch am Ende des Films reflektiert der 48-jährige Putin sehr persönlich über sein damals noch "nicht monarchisches" und demokratisches Amtsverständnis als Staatspräsident.