Wer ist Wladimir Putin?
Seite 5: Eine andere Seite Putins
Bei Staatsbesuchen gibt sich Putin als "Gentlemen-Politiker", ist auch durchaus zu konzilianten Gesten fähig, wobei er – etwa beim Treffen mit Biden – sich für die Öffentlichkeit vorteilshaft ins Licht zu setzen weiß.
Allerdings konnte Putin auch weniger reserviert, sehr viel lockerer, gelöster und geradezu charmant auftreten: etwa in den verschiedenen Treffen mit George W. Bush. Der soll von ihm gesagt haben: "Ich habe dem Mann in die Augen gesehen und ich gewann einen Eindruck von seiner Seele." Wir wüssten gern, was er in seiner Seele sah, aber das hat er für sich bewahrt.
Offenbar konnte Putin diesem Mann – mit dem ihm menschlich und politisch einiges verband – offener gegenübertreten als man es sonst von ihm gewohnt ist. Putin sah in dem charakterlich und politisch höchst umstrittenen Bush einen "anständigen, guten Menschen", "mit dem man verhandeln und sich verständigen kann.". Bush – der "wiedergeborene Christ" – fand u.a. eine Übereinstimmung mit Putin auf religiösem Gebiet.6
Man fragt sich, warum diese verbindlich-charmante Seite an Purin immer weniger zutage getreten ist, auch warum seine Verhandlungbereitschaft zunehmend einer Verhärtung wich. Sollte das damit zu tun haben, wie ihm US-Politiker wie Obama oder manche europäische Politiker begegnet sind – wenig verständnisvoll, von oben herab – oder auch zu entgegenkommend in einigen Bereichen?
Es ist wohl zu einfach zu sagen, er hätte alle getäuscht oder sie hätten sich in ihm getäuscht. Dass ein Missverhältnis in der Kommunikation vorlag, wird ja auch dadurch angezeigt, dass Putin sich ebenfalls vom Westen getäuscht fühlt.
Putin als Redner
Bei Reden Putins vor Volksvertretern (Duma) glaubt man sich in einen Hörsaal versetzt. Eingerahmt von Fahnen und nationalen Symbolen doziert Putin in ruhiger Haltung von seinem Pult aus, die anderen hören schweigend zu und applaudieren an Höhepunkten. Zwischenfragen, Diskussionen sind in den Fernsehaufnahmen der letzten Zeit nicht zu sehen, allenfalls informell in Kleingruppen nach den Reden.
Bei öffentlichen Großveranstaltungen (etwa im Moskauer Stadion) tritt Putin etwas lebhafter auf, Gestik und Mimik sind ausdruckvoller, im Gegensatz zu seinem sonst eher neutralen Gesichtsausdruck lächelt er viel. Er bewegt sich aber immer noch sehr kontrolliert, eingeschränkt, manchmal sogar ungelenk.
Seine Redeweise ist dann oft staccatoartig, hämmernd, mit Benutzung von Schlagworten. Auffällig ist seine harte Aussprache des Russischen – das sonst ja eher weich klingt – mit vielen Explosivlauten. Das erinnert an militärische Sprechweise, wie sich Putin überhaupt gern diszipliniert-militärisch gibt und von Militärpersonen umgeben lässt.
Aber auch hier verfällt Putin immer wieder in langwierige, trockene Erklärungen und Begründungen, meist mit viel historischen Bezügen. Allerdings setzt er dabei nicht allzu lange, aber wirkungsvolle Pausen, die Zustimmung provozieren.
Auf mich wirkt Putin bei diesen Auftritten nicht wie ein charismatischer Volksführer, sondern eher wie der Oberlehrer Russlands. Dennoch kommt ihm Jubel und Beifall entgegen, was wohl nicht nur als gelenkt bezeichnet werden kann. Offenbar spricht er emotionale Befindlichkeiten und kognitive Sichtweisen seiner Zuhörer an. Er erzielt Übereinstimmung und man merkt ihm an, dass er davon getragen und weiter geführt wird.
Grundsätzlich ist Putins Auftreten und Redestil nüchtern, ruhig, rational, bis auf einige – vermutlich bewusst eingesetzte – verbal-vulgäre Ausbrüche hin und wieder. Aber gerade diese ruhige, ernste, überlegte und begründende Art kommt gut an.
Gegenüber Vorgängern, wie dem impulsiven Jelzin, wirkt Putin auf die Bürger zuverlässig und vertrauenswürdig. Er erscheint als unpersönlicher Diener des russischen Staates, der sich um wichtige Sachen kümmert. In seinen öffentlichen Auftritten unterbreitet und erklärt er diese der Bevölkerung und möchte sie zum Mitwirken in der großen Gemeinschaft bewegen.
Dieses Bild von ihm verleitet nicht gerade zum kritischen Prüfen seiner Erzählungen und Begründungen. Hinzu kommt, dass andere Deutungen diskriminiert werden und für den Normalbürger immer schwerer zugänglich sind.
Teil 2: Das Selbstbild hat Risse