Wer spricht eigentlich von "illiberaler Demokratie"?

Scholz in Prag. Bild: ukforum.cz

Bundeskanzler Scholz sprach in Prag von besorgniserregenden Trends. Prüft man seine Vorwürfe konkret nach, bleibt nicht viel übrig. Das spricht für sich

In seiner viel beachteten Rede an der Karls-Universität zu Prag hat Bundeskanzler Olaf Scholz unlängst geäußert, er mache sich Sorgen, wenn mitten in Europa von illiberaler Demokratie gesprochen werde, obwohl dies ein Widerspruch in sich sei. Nun fragt man sich, wer in Europa denn eigentlich überhaupt so angeblich widersprüchlich spricht, wie dem Kanzler Anlass zur Sorge ist?

Dem geneigten deutschen Zeitungsleser fällt dazu eigentlich nur der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) ein. Auf den kommen wir gleich noch zu sprechen. Aber wer sonst spricht denn so in Europa und wenn, was genau? Worin genau besteht der Anlass zur Sorge?

Anfragen von Journalisten danach beantwortet die Bundesregierung nicht. Die Rede des Kanzlers stehe für sich, heißt es aus dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung auf Anfrage lapidar. Über welche Redner – außer dem erwähnten Ungarn – macht sich der Kanzler also Sorgen?

Was Orbán anbelangt so ist festzuhalten, dass er diesen Begriff nur in einer einzigen Rede jemals verwendet hat. Und die hat er im Sommer des Jahres 2014, also vor nunmehr acht Jahren gehalten. Weder vorher noch nachher hat Orbán diesen Begriff gebraucht.

Schon gar nicht im Zusammenhang mit Fragen demokratischer Staatsorganisation und Verfassungsordnung, Wahrung von Grundrechten wie Presse- und Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit oder dergleichen.

Doch seither wird dieses Zitat immer wieder gebraucht, um Orbán und seine Regierung als im Kern undemokratisch zu brandmarken. Unabhängig davon, ob diese Zuschreibung zutrifft oder nicht, eignet sich das Zitat eben gerade nicht als Beleg für eine derartige Charakterisierung Orbáns.

Zu diesem Schluss kommt bereits eine Studie der honorigen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) aus dem Jahr 2015. Sie trägt den Titel "Ungarn in den Medien 2010-2014 -- Kritische Reflexionen über die Presseberichterstattung" und bildet den Abschlussbericht einer von keinem Geringeren als Klaus von Dohnanyi geleiteten Arbeitsgruppe.

Das Zitat von der "illiberalen Demokratie" listen die Verfasser gleich in der Einleitung als Beleg für die Notwendigkeit, die Lage und Entwicklung in Ungarn genau zu untersuchen. Womit sie sich von der allgemeinen Mediendarstellung kenntnisreich wie folgt distanzieren:

Ministerpräsident Orbán hält im Sommer 2014 im rumänischen Băile Tuşnad eine Rede, in der er den wirtschaftsliberalen Staat aus sozialen Gründen kritisiert. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die größere staatliche Wirtschaftsverantwortung unter anderem in Singapur, China und Russland – die deutsche und die internationale Presse aber zitieren "illiberale Demokratie" anstelle der von Orbán gewählten Formulierung "illiberaler Staat" und stellen so einen von Orbán nicht formulierten Bezug zur politischen Praxis dieser Länder her; seine Kritik am "liberalen Staat" bezog Orbán offensichtlich auf den Wirtschaftsliberalismus.