Wes Craven, übernehmen Sie!

Alle Bilder: Pfiffl

Die Aussage von Hans-Christian Schmids Kriegsverbrecherfilm "Sturm" stellt die Rechtsprechpraxis in Den Haag auf den Kopf

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hannah Maynard (Kerry Fox) übernimmt am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die Anklage gegen den serbischen General Goran Duric (Drazen Kühn), der sich wegen der Ermordung bosnischer Zivilisten verantworten muss. Nachdem die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen bei der Verhandlung erschüttert wird, entschließt sich das Gericht, dessen Ausführungen vor Ort, im heutigen serbischen Teil von Bosnien, der Republik Srpska, zu überprüfen. Hier wird endgültig klar, dass der muslimische Zeuge gelogen hat, woraufhin der junge Mann Selbstmord begeht. Maynard vermutet ein lauteres Motiv hinter der Falschaussage und begegnet bei der Beerdigung der Schwester des Zeugen: Mira (Anamaria Marinca). Wie sich nach und nach herausstellt wurde Mira von Duric 1992 in ein Vergewaltigungslager verschleppt, in welchem die meisten Opfer umgebracht wurden. Da sich die Zeugin, die mittlerweile verheiratet mit einem arglosen Deutschen in Berlin lebt, ein Kind hat und eine "normale" Existenz lebt, anfangs den traumatischen Erfahrungen nicht stellen will und obendrein von ehemaligen Mitgliedern der serbischen Miliz massiv bedroht wird, muss die Anklägerin einige Überzeugungsarbeit leisten, um Mira zu einer Aussage in Den Haag zu bewegen.

Politisches Ränkespiel

Hier stellt sich aber heraus, dass sowohl Maynard als auch Mira Spielbälle in einem politischen Deal um die EU-Erweiterung geworden sind, denn der Richter unterstützt plötzlich das Anliegen des serbischen Anwalts von Duric, die Aussage von Mira über die Vergewaltigung und Ermordung der muslimischen Frauen nicht zuzulassen. Obendrein wird offenbar, dass bei diesem Spiel ausgerechnet Hannahs Geliebter, der EU-Diplomat Jonas Dahlberg (Rolf Lassgard) seine Finger mit im Spiel hat. Während Mira in Den Haag vor Gericht ihre Aussage zu Protokoll geben will und damit - da sich wirksamer Personenschutz als Unmöglichkeit erweist - ihr Leben und das ihres Mannes und ihres Sohnes aufs Spiel setzt, ist Maynard nach und nach gezwungen, ihre rechtsstaatlichen Illusionen aufzugeben. Erst als sie während der Verhandlung vom zuvor abgemachten Ablauf abweicht und Mira doch über die Deportation und Ermordung der bosnischen Frauen befragt, muss Duric in Srpska einer neuen Gerichtsverhandlung entgegensehen.

Die Karriere der Juristin ist hiermit beendet, die Zeugin schwebt mit ihrer Aussage in Lebensgefahr aber zum Schluss streichelt Mira Hannah den Arm und die Sonne der Zuversicht bricht für kurze Zeit ihre Strahlen aus dem Wolkengeflecht. Der Film entlässt die beiden Protagonistinnen in eine unsichere Zukunft, während klar geworden ist, dass Recht im Sinne von Gerechtigkeit in solchen Prozessen allenfalls per Zufall gesprochen wird: Die Verbrecher erweisen sich als zu mächtig und die Institutionen zu sehr von der Politik abhängig, als dass die Opfer von den Prozessen in Den Haag Sühne erhoffen dürfen.

Mechanismen der Macht

Abgesehen von der hohen darstellerischen Qualität und dem Niveau der Erzählung, auf welchem die verwickelten Fäden der Handlung zu ihrem Ende hin wieder zusammenlaufen und sich wachsend verdichten, wobei die Schutzlosigkeit des Opfers auf unangenehme wie spannende Weise vermittelt wird, gehört es zu den Vorzügen des Films, zu zeigen, dass die Rechtssprechung des Den Haager Strafgerichtshofs vorzüglich als Instrument im politischen Ränkespiel dient, womit die offizielle moralische Legitimation des Gerichts nachhaltig erschüttert wird. Regisseur Hans-Christian Schmid ("Requiem", "Die wundersame Welt der Waschkraft"), der nicht umsonst als ein Hoffnungsträger des deutschen Films gilt, hat mit dem Drehbuchautoren Bernd Lange und Kameramann Bogumil Godfrejow Beachtliches geleistet.

Die Mechanismen des Strafgerichtshofs werden künstlerisch glaubhaft transparent gemacht: Allerorten wird erpresst, intrigiert, die Politik zieht unsichtbar hinter den Kulissen ihre Strippen, die Zeugen werden nach Maßgabe politischer Nützlichkeit benutzt und wieder fallengelassen. Der Einzelne (der Delinquent, das Opfer, die Anklägerin) erweist sich stets als Rädchen eines gewaltigen politischen Getriebes, dessen Schicksal von Parametern außerhalb seines persönlichen Wirkungsfelds bestimmt wird. Das unbestreitbar schwache (und eventuell absichtlich dämliche) Happy End des Films, das die zentrale analytische Aussage des Gerichtsdramas illusionär aufhebt und die eine alte Limonadenverkäuferin namens Moral wieder auf ihre Rosinante hievt ist genrebedingt und entspricht den Konventionen des kommerzialisierten Filmbetriebes: Von jeher muss man sich beim überwiegenden Teil der im künstlerischen Windschatten Hollywoods gedrehten Filme die letzten fünf Minuten einfach wegdenken.

Ein Film für Rudolf Scharping

Das zentrale Manko des Films ist, dass dieser seinerseits politisch instrumentalisierbar ist, indem er auf der Woge der offiziellen politischen Interpretation der Urteilssprechung des Strafgerichtshofes in Den Haag schwimmt. Hans-Christian Schmid untersucht zwar die Syntax der Rechtssprechung, sein Urteil steht aber von vornherein eindeutig fest: Die Serben sind die Schufte und sie werden aus Gründen politischer Opportunität nicht angemessen bestraft. - Nun haben Serben unbestreitbar sowohl im Bosnien- als auch im Kosovokrieg furchtbare Kriegsverbrechen begangen, jedoch stellt die Aussage des Films die Rechtsprechpraxis in Den Haag auf den Kopf. Denn in der Realität hat der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien vorwiegend serbische Angeklagte zu hohen Haftstrafen verurteilt, während Kroaten, Bosniaken und Albaner mit vergleichsweise niedrigen Haftstrafen belegt wurden, bzw. gar nicht ins Gefängnis mussten.

Die ehemalige Chefanklägerin Carla Del Ponte, der man bestimmt nicht proserbische Gefühle unterstellen kann, schildert beispielsweise in ihrem Buch "Die Jagd - ich und die Kriegsverbrecher", dass der Gerichtshof glaubhafte Hinweise für die Organentnahme an 100 bis 300 serbischen Zivilisten durch die UCK zum Zweck des freien Verkaufs gesammelt hatte, eine nähere Untersuchung aber bereits "im Keim erstickt" wurde, weil nur die Verfolgung serbischer Kriegsverbrechen politisch opportun war. Details dieses bizarren Verbrechens wurden von Human Rights Watch just an dem Tag bekanntgegeben, als der ehemalige UCK-Führer und kurzzeitige Premierminister des Kosovo, Ramush Haradinaj, trotz geforderter 25 Jahre Haft aufgrund Mangels an Beweisen den Haager Gerichtshof als freier Mann verlassen konnte. Vorher waren neun der insgesamt zehn Hauptbelastungszeugen umgebracht worden. Der Zehnte verweigerte daraufhin die Aussage. - Hätte sich Hans Christian Schmid dieses Stoffes angenommen, wäre wohl kein Gerichtsdrama, sondern ein Splatterfilm daraus geworden.