Westlich von Spießern, Besitzstandswahrern und besorgten Bürgern

Wagon Master

Wagon Master von John Ford

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Fremd ist der Fremde nur unter Fremden.

Karl Valentin

Ende 1949 drehte John Ford einen "kleinen" (also billigen) und unprätentiösen Western ohne große Stars und ohne spektakuläre Schießereien. Erzählt wird die Geschichte eines Mormonentrecks, der sich durch Wüsten und Indianergebiet ins Gelobte Land durchschlägt. Im Vergleich zu Fords Kavallerie-Trilogie mit John Wayne blieben die Einspielergebnisse sehr bescheiden. In den Augen der Kritiker hatte der mit mehreren Oscars ausgezeichnete Regisseur einen jener intellektuell anspruchslosen und auch sonst nicht weiter erwähnenswerten Cowboyfilme inszeniert, wie sie Hollywood jedes Jahr zu Dutzenden hervorbrachte. Mittlerweile beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, dass Wagon Master eines von Fords Meisterwerken ist. Und weil große Kunstwerke nicht nur wichtige Zeitzeugen, sondern auf eine stets neue Weise aktuell sind, wirkt der Film heute wie sein Kommentar zur Flüchtlingskrise.

Western noir

Gleich die ersten Bilder nähren den Verdacht, dass das kein Durchschnittswestern für Eskapismusfans ist, die nach dem Kauf einer Kinokarte anderthalb Stunden unbeschwerter Unterhaltung genießen wollen. Wagon Master stellt sich uns als Film noir mit Banditen vor. Die wegen Mordes gesuchten Cleggs rauben - per Doppelbelichtung - unter ihrem vom Wind zerzausten Steckbrief die Wingate Express Company in Crystal City aus. Das geschieht ganz ohne Dialog, man hört nur die Sporen an den Stiefeln der Verbrecher und das Peitschenknallen des Bandenchefs. Aus Untersicht ist etwas zu erkennen, das uns üblicherweise nicht gezeigt wird, weil da im Atelier die Scheinwerfer, Mikrophone und andere Gerätschaften hängen: die Zimmerdecke im Expressbüro.

Solche beengende, Räume in Unheil verheißende Gehäuse verwandelnde Plafonds waren auch schon in Fords Stagecoach zu sehen gewesen, der Orson Welles so beeindruckte, dass er ihn intensiv studierte, bevor er Citizen Kane drehte. Mit diesen ersten Einstellungen gibt Bert Glennon seine Visitenkarte als einer der führenden Kameraleute von Hollywood ab. Wagon Master gehört zu den am besten photographierten Filme der Nachkriegszeit. Das fällt nur nicht immer gleich so auf, weil Glennon seine Kunst in den Dienst der Geschichte stellt. Vielleicht wäre er für einen Oscar nominiert worden, wenn Ford und er mehr Innenräume in die Handlung eingebaut hätten, und damit mehr Gelegenheiten zu auftrumpfender Kameravirtuosität (und wenn sie ein großes Studio im Rücken gehabt hätten, das die für einen Oscargewinn nötige Lobbyarbeit leisten konnte). In jedem Fall gab es im Western selten so viele schöne Bilder von Siedlern, Pferden und Planwagen in spektakulärer Landschaft wie in diesem.

Dem wortlosen Überfall der ersten Einstellungen verdanken wir wahrscheinlich den grandiosen stummen Anfang von Rio Bravo (vom Ende des Vorspanns mit einem von Ward Bond geführten Wagentreck bis zum ersten Dialogsatz vergehen da mehr als drei Minuten). Zwischen John Ford und Howard Hawks herrschte eine ebenso freundliche wie kreative Rivalität. Der eine versuchte zu zeigen, dass er es besser konnte als der andere. Nachdem John Wayne in Hawks’ Red River bewiesen hatte, dass er in der Lage war, einen älteren Mann zu spielen, ließ ihn Ford als verwitweten Kavallerieoffizier im Pensionsalter durch Monument Valley reiten (She Wore a Yellow Ribbon). Mag sein, dass die Rivalität der Regisseure auch der Grund war, aus dem Joanne Dru zu ihrer Rolle in Wagon Master kam. Hawks wilderte gewissermaßen in Fords Revier, als er Dru in Red River besetzte, denn sie war eine Freundin von dessen Tochter Barbara. Ford ließ so etwas nicht unbeantwortet, engagierte Joanne für Yellow Ribbon, wusste da aber noch nichts Rechtes mit ihr anzustellen. Der zweite Versuch war ein voller Erfolg. In Red River ist Joanne Dru sehr gut, in Wagon Master ist sie noch besser. Doch ich greife vor. Zurück zu den Cleggs.

Wagon Master

Der Chef der Bande, Onkel Shiloh, spricht den ersten Satz, als der Überfall eigentlich schon vorbei ist und ihn ein Postangestellter mit einer Pistolenkugel am Arm verletzt: "Ich wünschte, dass du das nicht getan hättest, mein Sohn." Dann schießt er dem fliehenden Mann zweimal in den Rücken. Onkel Shiloh ist ein Psychopath, der aus einer pervertierten Vorstellung von Ehre heraus tötet, und aus Lust an Gewalt und Destruktion. Seine letzten Worte im Film werden ein Echo der letzten Worte seines Opfers sein: "Please … please … don’t shoot!" Dann ist er tot. Wer mit der Waffe lebt, wird durch die Waffe sterben. Ford hatte nach dem Zweiten Weltkrieg - und genau besehen auch schon im Jahrzehnt davor - keinen Spaß mehr daran, Leute in spektakulären Situationen vom Pferd schießen zu lassen. Wagon Master ist ein durch und durch humanistischer Film, ein Aufruf zu Toleranz und Gewaltverzicht. Viele zeitgenössische Kritiker nahmen Ford das übel. Sie hatten die zwischen guter und schlechter Gewalt unterscheidenden, den Shoot-out als bevorzugtes Mittel zur Konfliktlösung präsentierenden Genreregeln des Western (und die damit verbundene Ideologie) so sehr verinnerlicht, dass sie Abweichungen von diesen Regeln als handwerkliches Unvermögen missverstanden.

Traum und Albtraum

Auf den Mord folgt der Vorspann. Der Überfall ist nicht die erste pre-credit sequence im amerikanischen Kino, auch nicht im Western (Destry Rides Again hatte schon 1939 eine, allerdings eine sehr kurze, mit Schwenk über den Friedhof von Bottleneck), aber 1950, als Wagon Master in den USA anlief, war das noch extrem selten. Wir sollten uns also auf einen Film gefasst machen, der anders ist als das übliche Hollywood-Produkt. Lindsay Anderson bezeichnet Wagon Master in seinem Buch About John Ford als Avantgarde-Western. Da ist etwas dran. Man merkt es nur nicht gleich, weil das Avantgardistische so undemonstrativ daherkommt. Ford selbst charakterisierte den Film, den er mehrfach seinen liebsten nannte, als "pure and simple". Damit ist nicht die geistige Schlichtheit gemeint, mit der viele Western aus der Konfektion erzählt sind, sondern die Reinheit der Form, die Reduktion auf das Wesentliche, ohne Zugeständnisse an die Normen der Industrie.

Wagon Master

Die Titelsequenz beginnt mit einem Wagentreck, der einen Fluss überquert. Im Wasser funkeln die Strahlen der Sonne. Als Kontrast zeigt uns Ford die Cleggs, in der Dämmerung über einen Bergrücken reitend. Dann wieder der Treck. Die Planwagen fahren ganz nah an der Kamera vorbei, die ihnen mit einem leichten Schwenk folgt, damit wir mehr Zeit haben, um zu sehen, wer auf dem Kutschbock sitzt. Es sind Frauen, Kinder, Männer, kurzum: Familien. Die von Jane Darwell gespielte Sister Ledeyard bläst anschließend in ihr Signalhorn. Jane Darwell kannten die amerikanischen Kinogänger als die Mutter von Henry Fonda in The Grapes of Wrath, Fords Verfilmung des Romans von John Steinbeck. Diese beiden, Darwell und ihr "Sohn" Fonda, sprachen auch den Kommentar zur Doku The Battle of Midway, einem Meisterwerk der Filmpropaganda, bei dessen Ansicht Eleanor Roosevelt in Tränen ausbrach und ihr Gatte, der US-Präsident, einen berühmten Ausspruch tat: "Ich will, dass jede Mutter in Amerika diesen Film sieht!" Die meisten amerikanischen Mütter machten das dann auch. Im Vorspann von Wagon Master taucht Darwell auf, um uns zu signalisieren, was den Cleggs fehlt: das weibliche Element.

Die Cleggs sind die Nachfolger der ebenfalls frauenlosen und von einem skrupellosen Patriarchen geführten Clantons in My Darling Clementine. Diese Männergruppen erinnern uns daran, dass die Reise nach Westen zwar eine gesellschaftliche Erneuerung verspricht (eine Konstante in der US-amerikanischen Geistesgeschichte), dass dort aber auch die Gewalt und der Wahnsinn lauern, die Utopie schnell zum Albtraum werden kann. Das literarische Vorbild für die Clantons und die Cleggs, allerdings noch mit Frauen, ist die Sippschaft des Ishmael Bush in The Prairie, dem in der Reihenfolge des Erscheinens dritten (und chronologisch letzten) Teil der Lederstrumpf-Tetralogie von James Fenimore Cooper, die der belesene Ford sicher kannte. Die Bushs nehmen sich, was sie haben wollen und ziehen durch das Land wie Figuren aus einem Schauerroman. Sie, die Clantons und die Cleggs verkörpern die dunkle Seite des American Dream.

Inder und Indianer

Am Ende des Vorspanns nähern sich zwei junge Pferdehändler Crystal City. Weshalb, fragt man sich, handeln Travis und Sandy mit Pferden? Warum sind sie nicht einfache Cowboys oder Scouts wie sonst im Western? Um der Originalität willen originell zu sein passt nicht zu Ford. Ich würde die Spekulation wagen, dass er bei der Berufswahl an Mahbub Ali dachte, den Pferdehändler in Kim von Rudyard Kipling. Mit Kipling, dessen Wee Willie Winkie er 1937 verfilmt hatte (mehr dem Geist als dem Inhalt nach), verband Ford das Interesse am Zusammenprall der Kulturen sowie an den Folgen und Risiken des Empire Building: eine Herausforderung, mit der sich die USA nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine für sie neue Weise konfrontiert sahen, während die Briten dem alten kolonialen Glanz unter Königin Victoria nachtrauerten (Kim erschien in deren Todesjahr).

Kipling gilt heute als der Apologet des Imperialismus, war jedoch ein ungleich komplexerer Autor, als man es ihm oft zugestehen will. Sogar aus seinem berüchtigten Gedicht "The White Man’s Burden" wird mehr als ein simpler Lobgesang auf das Unterwerfen anderer Völker, wenn man weiß, dass es anlässlich der Eroberung der Philippinen entstand (bis dahin eine spanische Besitzung), mit der die USA, die ehemalige britische Kolonie, die Seiten wechselten und selbst zur Kolonialmacht wurden. Für viele Kritiker des Spanisch-Amerikanischen Krieges ist 1898 das Jahr, in dem die Vereinigten Staaten ihre Unschuld verloren. Völlig unreflektiert übernimmt James Warner Bellah Kiplings zur Redewendung gewordenen Begriff von der "Bürde des weißen Mannes". Auf seinen Short Stories basiert die Kavallerie-Trilogie mit John Wayne.

Bellah geht mit einer solchen Selbstverständlichkeit von der Überlegenheit der weißen Rasse aus, dass einem beim Lesen schlecht werden kann. Die Indianer sind da zum Abschuss freigegebene Wilde, stinken und werden mit ansteckenden Krankheiten sowie einem Zerrbild vom "Juden" verglichen, weil Bellah nicht nur ein Reaktionär, sondern auch ein Antisemit war. Gegen die Apachen in Fort Apache, She Wore a Yellow Ribbon und Rio Grande kann man aus heutiger Sicht manches einwenden, doch von Bellahs Rassismus ist das so meilenweit entfernt wie Fords Darstellung der Kavallerie vom faschistoiden Militarismus der Vorlage. Diese Filme könnten von Kipling erdachte Geschichten erzählen, von Ford in seine Version vom Wilden Westen übertragen, mit Kavalleristen und Indianern anstelle von Indern und der britischen Kolonialarmee.

Kim, Kiplings Meisterwerk, ist episodisch strukturiert wie Wagon Master, mit der vom Khyber Pass über Lahore bis nach Kalkutta verlaufenden Grand Trunk Road als Bindeglied. In Wagon Master ist es der - deutlich kürzere - Hole-in-the-Rock-Trail, der die Episoden zusammenhält. Die Suche nach einem (reinigenden) Fluss ist in beiden Fällen ein zentrales Handlungselement. Fords Film wie Kiplings Roman berichten von einer Reise, die genauso eine geographische wie eine spirituelle ist, eine Reise, auf der die Helden unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Wertesystemen begegnen und sich die Frage nach der Loyalität und der Verantwortung anderen Menschen gegenüber stellt. Mahbub Ali, ein aus Afghanistan stammender Muslim, arbeitet übrigens als Geheimagent für die Briten und ist damit eine Figur im "Großen Spiel".

Mit Spionage haben Fords Pferdehändler, Travis Blue und Sandy Owens, nichts zu tun, und doch gibt es eine Verbindung. "The Great Game" ist der durch Kiplings Roman populär gewordene Begriff für den zwischen Russland und Großbritannien ausgetragenen Konflikt um die Vorherrschaft in Zentralasien, der - grob gesagt - vom gescheiterten Russlandfeldzug Napoleons bis 1947 dauerte, als die Briten ihre Kronkolonie aufgaben und sich aus dem indischen Subkontinent zurückzogen. Wagon Master erzählt vordergründig eine hundert Jahre zurückliegende Geschichte, handelt aber in erster Linie (wie alle Ford-Filme) von der Gegenwart, also vom Kalten Krieg, in dem nun anstelle der Briten die Amerikaner mit den Russen den Kampf um die Einflusssphären austrugen. Bezeichnenderweise lief 1950 nicht nur Fords Western in den amerikanischen Kinos, sondern auch die erste Verfilmung von Kim (mit Errol Flynn als Mahbub Ali).

Die produzierende MGM hatte das Projekt zuvor zweimal verschoben. Zuerst kam der Beginn des Zweiten Weltkriegs dazwischen, dann sollten die sowjetischen Bündnispartner gegen Nazideutschland nicht verärgert werden. Im Kalten Krieg waren russische Bösewichte politisch erwünscht. Mit ein paar Änderungen ist das alles wieder sehr aktuell. Heute lesen sich einzelne Passagen des 1901 erschienenen Romans, als wären sie gerade erst geschrieben worden. 1950 ging es den Leuten auch nicht anders. Die Filmkritik der New York Times endet mit dem "ernüchternden" Hinweis, dass die von Kipling geschilderte Gefahr in der "Infiltration von Russen und ihrer Satelliten durch den Khyber Pass" bestehe. Da einzusetzen, was uns heute Angst macht, ist nicht schwer.

Ohne Geld kein Recht

Travis und Sandy verbindet eine Männerfreundschaft, wie man sie im amerikanischen Kino selten findet. Sie kommt ganz ohne Macho-Gehabe aus, ohne sexuelle oder sonstige Rivalitäten, ohne von der Zensur verbotene und darum durch gegenseitige Rohheiten getarnte Homoerotik. Jedes der zwölf gefangenen und gezähmten Wildpferde, meint Sandy, sollte 30 Dollar einbringen, zusammen also 320 Dollar. 360, korrigiert Travis. "Das ist ja noch viel besser", sagt Sandy. "Geteilt durch 2 ergibt das für jeden … äh … ein ganz hübsches Sümmchen." Yeah", hilft Travis seinem Freund aus. "Zieh die 20, die du mir schuldest, von dem hübschen Sümmchen ab, dann bleiben dir 160 übrig." "Gar nicht schlecht für vier Monate Arbeit", kommentiert Sandy, und er und Travis freuen sich über den Verdienst (Kipling verhandelt die mitunter problematische Beziehung zwischen Geld und Freundschaft am Beispiel von Kim und Mahbub Ali). Als Kontrast folgen wieder die Cleggs, die von Crystal City wegreiten und sich ängstlich umschauen, weil ihnen die Polizei womöglich schon auf den Fersen ist.

Wagon Master

Die einen verdienen ihr Geld im Schweiße ihres Angesichts, die anderen rauben es bei einem Überfall. Daraus könnte sich nun eine moralinsaure Geschichte über "Unrecht Gut gedeihet nicht" entwickeln, die den Selbstgerechten im Publikum bestimmt gefallen würde. Dem steht entgegen, dass Fords Helden Angehörige einer Berufsgruppe mit den Imagewerten heutiger Gebrauchtwagenhändler (oder Politiker und Journalisten) sind. Sogar dem Häuptling der Navajos wird Travis später bekannt vorkommen, weil er aussieht wie ein Mann, der ihn beim Pferdekauf übers Ohr gehauen hat. Außerdem hat es eine stark autobiographische Komponente, wenn der Vorspann gleichsam vom Geld umrahmt ist, von der Beute der Cleggs und vom erhofften Verkaufserlös beim Pferdehandel. Ford fühlte sich vom Thema Geld erdrückt und von Halsabschneidern umzingelt, als er beschloss, Wagon Master zu drehen.

Um sich von der Willkür der Produzenten zu befreien hatte Ford mit einem der Schöpfer von King Kong, Merian C. Cooper, eine eigene Firma gegründet, die Argosy Pictures, dann aber mit seinem Herzensprojekt The Fugitive einen Kassenflop gelandet. Die Partner mussten fortan die Schulden abbezahlen. In einer Koproduktionsvereinbarung für ein halbes Dutzend Argosy-Filme hatte die RKO Ford das Recht auf die letzte Schnittfassung eingeräumt, den Final Cut. Unter dem finanziellen Druck musste er zustimmen, dass nachträglich eine in Hollywood übliche Klausel in den Vertrag aufgenommen wurde: "Das Unternehmen [RKO] darf dem Film auf jede Weise Material hinzufügen oder solches Material entfernen, neu und anders anordnen, es überarbeiten und anpassen, und der Regisseur verzichtet hiermit auf die ‚moralischen Rechte’ der Autoren." Das war genau die Art von Einmischung, die Ford durch die Gründung der Argosy hatte vermeiden wollen, und sie kam nun sogar von allen Seiten, oder zumindest dürfte er das so empfunden haben.

Wagon Master

Das alte Hollywood des Studiosystems war in Auflösung begriffen. Dadurch verschoben sich die Machtverhältnisse, die Stars gewannen vermehrt an Einfluss. John Wayne setzte sich sehr dafür ein, Ford zur Republic zu holen, wo er selbst unter Vertrag stand. Das schien für alle von Vorteil zu sein. Wayne hoffte, dass ein großer Name wie Ford auch andere renommierte Regisseure zur Republic locken würde, was für ihn und seine Karriere nur gut sein konnte. Herbert J. Yates, der Chef des Studios, hatte sich zu moderaten Budgetsteigerungen durchgerungen, weil er ahnte, dass es für seine Billigproduktionen durch die neue Konkurrenz des Fernsehens bald keinen Markt mehr geben würde. Ford und Cooper wiederum versprachen sich mehr künstlerische Freiheit davon, wenn sie ihrerseits mit geringeren Budgets arbeiteten als bisher gewohnt. Bei der Republic schien das möglich zu sein. Vorher musste Ford noch einen Western für die RKO drehen, um den bestehenden Kontrakt über sechs Filme zu erfüllen. Das war Wagon Master.

Yates, früher Tabakhändler, sollte sich dann als ein Meister der kreativen Buchführung erweisen. Er addierte so lange irgendwelche Kosten, bis bei Erfolgsfilmen wie The Quiet Man kein zu teilender Gewinn mehr übrig blieb. Die RKO war weniger dreist, wusste aber auch, wie man sich zu Lasten des Partners einen finanziellen Vorteil verschafft. Für die Vorarbeiten zu Wagon Master brauchten Ford und Cooper 100.000 Dollar. Diese Summe brachten sie auf, indem sie mehrere auf Ford abgeschlossene Lebensversicherungen beliehen. Die Produktionskosten betrugen etwas mehr als 800.000 Dollar. Ford und Cooper kratzten diverse Sicherheiten zusammen, um einen Kredit über 650.000 Dollar aufnehmen zu können, also drei Viertel des benötigten Betrags, obwohl die Argosy nur die Hälfte des Profits erhielt. Die andere Hälfte ging an die RKO.

Die erste Dialogszene mit Travis und Sandy ist Fords Kommentar zu seinen Erfahrungen mit den Geschäftsleuten in Hollywood. Er skizziert da die Utopie von einer Welt, in der die Freundschaft ausnahmsweise nicht beim Geld aufhört. Travis bleibt seinem Partner gegenüber ehrlich, obwohl die Arithmetik eher nicht zu dessen Stärken zählt. Die Buchhalter in Hollywood, will Ford uns damit sagen, würden Sandys Angebot dankend annehmen, die 320 Dollar so halbieren, dass es weniger als 160 ergibt und die geschuldeten 20 Dollar so subtrahieren, dass der Gewinnanteil bei unter 100 Dollar liegt. Er muss damals schon geahnt haben, dass er mit der Argosy, von der er sich die künstlerische Unabhängigkeit erhofft hatte, nie mehr auf einen grünen Zweig kommen würde. Am Schluss der Rechnung reiten die Banditen durchs Bild, die gar nicht teilen, sondern Travis und Sandy (Ford und Cooper) ohne zu zögern erschießen würden, um sich die kompletten 320 Dollar zu sichern.

Fords Gemütslage lässt sich auch an Vorfällen ablesen wie dem, den Kathleen O’Malley mit ihm erlebte. O’Malley, eine Schulfreundin von Fords Tochter Barbara, hatte als Kind in The Plough and the Stars mitgespielt, war ohne Engagement und bat Ford, ein gutes Wort bei John "Duke" Wayne für sie einzulegen, weil sie gehört hatte, dass Wayne einen neuen Film vorbereitete. Ford wies das brüsk zurück und erklärte ihr, dass er und Wayne einen Pakt geschlossen hätten: "Das tue ich Duke nicht an, und er tut es mir nicht an." Dahinter steckte mehr als Fords Aversion gegen Einmischungen aller Art. Er und Cooper waren mitten in den Verhandlungen mit Herbert Yates. Der im alten, nun untergehenden Hollywood sozialisierte Ford hatte schwer daran zu schlucken, dass Wayne, dem er einst seinen ersten Job beim Film gegeben hatte, dabei als sein Fürsprecher auftrat. Von Duke war das gut gemeint. "Pappy" Ford empfand die unerwünschte Protektion offenbar als verletzend. Statt Kathleen bei Wayne unterzubringen bot er ihr die zweite weibliche Hauptrolle in Wagon Master an.

Beautiful happenings

Von einem Ford-Film erwartete man damals, dass John Wayne oder Henry Fonda über die Leinwand ritten (oder beide wie in Fort Apache). In Wagon Master tun das Harry Carey, Jr. und Ben Johnson. Es waren nicht nur finanzielle Gründe (mit bescheidenen 20.000 Dollar erhielt Ward Bond die höchste Gage), aus denen Ford auf die großen Stars verzichtete. Sein Biograph Joseph McBride sieht in dem Film ein reinigendes Ritual, mit dessen Hilfe der Regisseur die negativen Erfahrungen der letzten Jahre überwand. Stars waren dabei genauso unerwünscht wie Studiobosse mit Dollarzeichen in den Augen.

Eines der schönsten Bücher über Ford hat Harry Carey, Jr. geschrieben (mit ein wenig Hilfe von James Pepper): Company of Heroes. My Life as an Actor in the John Ford Stock Company. Das Kapitel zu Wagon Master beginnt damit, dass Harry auf dem Gelände der Field Photo Farm sein Pferd Mormon striegelt, um es auf den Ausritt vorzubereiten. Das Field Photo Memorial Home (oder kurz: "the Farm") war ein Anwesen im San Fernando Valley, das Ford mit dem Honorar für seinen Weltkriegsfilm They Were Expendable gekauft hatte. Dort traf er sich regelmäßig mit den Veteranen der Nachrichten- und Filmabteilung der Navy, die er im Krieg befehligt hatte, es gab eine Gedenkkapelle für gefallene Kameraden, und wer in Not geraten war (oder sich mit seiner Frau gestritten hatte) fand auf der Farm Asyl.

"Dobe" Carey also - der Spitzname ist von adobe abgeleitet (der Lehmziegel, nicht der Flashplayer) und spielt auf Harrys rotes Haar an - striegelt sein Pferd, das er kurz zuvor von der Ranch seiner Eltern geholt hat. Plötzlich hört er die Stimme von John Ford. Carey ist überrascht, weil es ein Werktag ist und er glaubt, allein auf der Farm zu sein. "Ist das Ol’ Dobe?", fragt Onkel Jack. "Yessir", antwortet Dobe. Ford interessiert sich sehr für Harrys Pferd: "Ist das dein Pferd? Das Pferd kenne ich noch gar nicht, oder doch? Wie heißt er?" "Mormon", antwortet Dobe. "Was?", fragt Ford. "Mormon. Dieses Pferd heißt Mormon?" Dobe befürchtet, dass ihn Onkel Jack, der Katholik, jetzt gleich mit einem Donnerwetter überziehen wird, weil das Pferd "Pope" (Papst) heißen müsste, oder etwas in der Art. Böses ahnend erwidert er: "Yessir. Paps hat ihn so genannt, weil er in Utah geboren und aufgezogen wurde."

Das Donnerwetter bleibt aus. "Well, I’ll be goddamned", sagt Ford. Dann breitet sich ein Lächeln über sein Gesicht, und er fragt: "Würdest du ihn gern in einem Western reiten?" Dobe ist beglückt. Auch Ford wirkt glücklich und ergänzt: "In einem Monat oder so mache ich einen Western mit dir und Ol’ Ben." "Und mit Duke?", fragt Carey. "Nein, nicht mit Duke", antwortet Ford. "Ich habe es doch gerade gesagt. Ich mache einen Western mit dir und Ol’ Ben Johnson. Kein Duke. Du und Ben, ihr seid die Stars." So kam es, dass Harry Carey, Jr. für eine Hauptrolle in einem Film über einen Mormonentreck engagiert wurde, als er ein Pferd namens Mormon striegelte. Und falls die Geschichte nicht wahr sein sollte ist sie zumindest gut erfunden, oder das Aufeinandertreffen war geschickt eingefädelt. Dobe zumindest hatte Zweifel an diesem seltsamen Zufall, als er seine Memoiren schrieb. Das Ganze, meint er, könnte eine von Fords Inszenierungen gewesen sein: "So etwas machte er andauernd. Das war Teil seines geheimnisvollen Nimbus, seiner Aura, seines Genies beim Herbeiführen schöner Ereignisse [beautiful happenings]."

Careys Zweifel erinnern daran, dass Ford beim Erschaffen einer Kunstfigur, hinter der er sich verstecken konnte, genauso geschickt war wie Alfred Hitchcock. Der eine erfand "Hitch", den britischen Gentleman mit dem Hang zu makabren Scherzen. Auf der Fassade des anderen stand der berühmt gewordene Satz "My name is John Ford, I make westerns", was soviel heißen sollte wie: Ich bin ein einfach gestrickter Mensch, der einfach gestrickte Pferdeopern für das gemeine Volk dreht, garantiert ohne Kunstanspruch. Beides - der sardonische Brite mit Melone und Businessanzug wie der Hinterwäldler, der auf seinem alten Taschentuch herumkaute, wenn er nicht gerade Leute anknurrte oder die Interviewfragen seines Verehrers Peter Bogdanovich mit "Yes", "No" oder "Cut!" beantwortete - war die Tarnung eines sensiblen Künstlers, der genau registrierte, was in der Welt vor sich ging und seine Beobachtungen in die Sprache des Genrefilms übersetzte. Careys Mormon-Anekdote passt so schön zu Wagon Master, weil dieser Western den Eindruck macht, als habe sich auf wunderbare Weise das eine in das andere gefügt, ohne dass dafür eine nennenswerte Kunstanstrengung erforderlich gewesen wäre. Man muss aber ein großer Könner sein, um einen Film zu drehen, der so schlicht wirkt wie dieser (ohne es zu sein).

Stolzer Cowboy

Im Vorspann teilen sich die vier Schauspieler, die auf der Besetzungsliste ganz oben stehen, eine Einstellung. Daneben stehen ihre Rollennamen wie sonst nie bei Ford. Das ist programmatisch. Angekündigt wird ein Film, der auf einer Ensembleleistung aufbaut, mit Rollen, die nicht von der Persona eines Stars überdeckt werden. Am meisten durfte sich Joanne Dru als Star fühlen, nach ihren Auftritten in Red River, She Wore a Yellow Ribbon und All the King’s Men. Ford achtet darauf, dass sie ihre Partner nicht überstrahlt und hat doch einige wunderbare Momente für sie reserviert. Alle Vier, deren Namen im Vorspann einträchtig untereinander stehen, haben wunderbare Momente in Wagon Master. Die Mehrzahl der Kritiker scheint diese Momente nicht gesehen zu haben, weil sie so unaufgeregt inszeniert und so weit vom Kampf um Großaufnahmen und Leinwandzeit entfernt sind, durch die sich ein Star in Hollywood definierte.

Carey, mit dessen Vater Ford seine ersten Western gedreht hatte, durfte sich nach 3 Godfathers ein weiteres Mal als der jugendliche Held beweisen, der sich erst noch die Hörner abstoßen und seinen Platz in der Gesellschaft finden muss. Unsicherheiten des Schauspielers Harry Carey verschmelzen so mit den Erfordernissen der Rolle. Daran kann man sehen, welch fürsorglicher Regisseur Ford war. Die Art, wie er das zeigte, war allerdings gewöhnungsbedürftig. Meistens gab er den groben Klotz. Es war ein Beweis der Zuneigung, wenn er an den Kostümen der Schauspieler herumnestelte und Details änderte, was dann so bleiben musste. Carey erinnerte sich noch Jahrzehnte später daran, wie komisch in manchen Einstellung der Hut auf seinem Kopf saß. Ford hatte es so arrangiert. Das war einer der Tricks, mit denen er den jungen Harry erdete, wenn dieser übermütiger wurde, als es für die Rolle gut war.

Wagon Master / The Last Picture Show

Ben Johnson, ein mehrfacher Rodeo-Champion, war der vielleicht beste Reiter, den es im amerikanischen Film je gab. Bei Fort Apache heuerte er als Stunt-Double von Henry Fonda an. Als ein Munitionswagen mit drei Statisten durchging ritt er hinterher, brachte ihn zum Stehen und verhinderte so einen schweren Unfall. Ford revanchierte sich mit einem Schauspielervertrag, weil er Johnsons Talent erkannt hatte. Das Ziel war, ihn zum Star aufzubauen, als Mischung aus Gary Cooper und John Wayne. Nach Wagon Master, bei Rio Grande, gerieten Johnson und der Regisseur in Streit. Ford konnte sehr nachtragend sein, Johnson war ein stolzer Cowboy. Aus dem Streit wurde ein lang andauerndes Zerwürfnis. Johnsons Karriere kam nicht vom Fleck. Ob es anders gewesen wäre, wenn er weiter mit Ford gedreht hätte, ist ungewiss. Die 1950er wurden von intensiven Method Actors wie Marlon Brando oder Montgomery Clift dominiert. Der ungekünstelte Minimalismus von mit dem als unintellektuell geltenden Westerngenre assoziierten Darstellern wie Johnson oder Joel McCrea war so unmodern, dass er oft nicht einmal als Schauspielerei wahrgenommen wurde.

Sam Peckinpah, in mancher Hinsicht der Erbe von John Ford, besetzte Johnson nach mageren Jahren in Major Dundee, und danach in drei weiteren Filmen (am eindrucksvollsten ist er als Tector Gorch in The Wild Bunch). Der Ford-Verehrer Peter Bogdanovich wollte ihn unbedingt als Sam the Lion in The Last Picture Show engagieren. Johnson lehnte ab, weil ihm das Drehbuch zu dialoglastig war und er die Nacktszenen nicht mochte. Ford, inzwischen mit ihm ausgesöhnt, brachte ihn dazu, die Rolle anzunehmen. Für seine Darstellung des Kinobesitzers in einer texanischen Kleinstadt der frühen 1950er wurde Ben Johnson mit Preisen überhäuft, vom New York Film Critics Circle Award über den Golden Globe bis zum Oscar. Viele dürften sich damals gefragt haben, warum man diesen Schauspieler so lange Zeit in miserablen Filmen vergeudet hatte (falls sie das überhaupt mitbekommen hatten). Die Rolle des Travis Blue in Wagon Master blieb seine beste. Aber dieser Western war total in der Versenkung verschwunden, als Hollywood Ben Johnson doch noch ehrte. Bei Bogdanovich wird Wagon Master angekündigt, ohne je gezeigt zu werden. Sam stirbt, das Kino muss schließen. In der letzten Vorstellung läuft Red River.

Mormonen statt Buren

In den 1940ern las Fords Sohn Patrick den Roman Turning Wheels, Stuart Cloetes Bestseller über den "Großen Treck" (die Migration der Buren aus dem von den Briten kontrollierten Kapland in das südafrikanische Hinterland). Ford war interessiert, gab das Projekt aber bald auf, weil er nicht wusste, wie er die rassistischen Buren als Sympathieträger präsentieren sollte. Also überlegte er, was für Entsprechungen es im amerikanischen Westen gab. Bei She Wore a Yellow Ribbon wirkten Mormonen als Komparsen mit. Ford beeindruckte ihr Arbeitseifer, wie gut sie tanzen konnten und mit welcher Hingabe sie ihren Glauben lebten. Die Außenseiter der amerikanischen Gesellschaft mochte er sowieso. Schließlich schrieb er eine Geschichte, die sich an der Hole-in-the-Rock-Expedition von 1879/80 orientierte, mit der die Mormonen ein Gebiet im Südosten des heutigen Utah besiedelten. Hole in the Rock nannten sie eine Felsspalte, die ihnen den Zugang zum vom Colorado River ausgewaschenen Glen Canyon eröffnete und die sie in mehrmonatiger Arbeit für Planwagen befahrbar machten. Nach der auch nicht ungefährlichen Überquerung des Colorado gelangten sie in das von den Kirchenführern bestimmte Siedlungsgebiet im Tal des Montezuma Creek, einem Nebenfluss des San Juan River.

Aus Fords Geschichte entwickelten sein Sohn Patrick und Frank Nugent ein Script, das Ford als Gerüst für die Dreharbeiten diente und das er nach Belieben änderte. Nugent, Autor von elf Drehbüchern für Ford (von Fort Apache bis zu Donovan’s Reef), grummelte später, dass es keine echte Zusammenarbeit gegeben habe und der Regisseur sehr "harsch" mit dem Script umgegangen sei. Das heißt, dass Ford die Handlung straffte und die Dialoge noch radikaler kürzte als sonst. Wagon Master sollte einer seiner persönlichsten Filme werden, vielleicht der persönlichste überhaupt. Dazu empfahl es sich, ihn fernab von Hollywood zu drehen, weit weg von Produzenten, Buchhaltern und anderen Störenfrieden, die Ford in die Parade fahren konnten - am besten da, wo der historische Wagentreck tatsächlich unterwegs gewesen war, oder wenigstens ungefähr. Zuerst plante er, mit seiner Crew in das Gebiet nördlich von Mexican Hat zu reisen, einem Kaff im San Juan County (benannt nach einer Felsformation, die aussieht wie ein Sombrero), doch die Gegend erwies sich sogar für Ford als zu unzugänglich. Dann schlug jemand vor, es mit dem im Canyonland liegenden Moab zu versuchen, einem von den Mormonen gegründeten Ort auf dem Colorado Plateau.

Moab war ideal. Daneben floss der Colorado vorbei, der es Ford ermöglichte, eine seiner geliebten Flussüberquerungen zu filmen, und es gab Einwohner mit wettergegerbter Haut und vom harten Leben in dieser Einöde gezeichneten Gesichtern, die er als Komparsen beschäftigen konnte (er hasste das routinierte Herumstehen oder Durchs-Bild-Gehen professioneller Hollywood-Statisten). Moab war eine intimere Version des Monument Valley, verfügte aber im Gegensatz zu diesem über gut ausgebaute Straßen, auf denen sich die Ausrüstung der Filmcrew heranschaffen ließ (ein nicht unwesentlicher Kostenfaktor). Alles scheint sehr harmonisch verlaufen zu sein. Langjährige Mitarbeiter hatten Ford noch nie so entspannt erlebt wie in den drei Wochen (vom 14. November bis 3. Dezember 1949), in denen in Moab die Außenaufnahmen entstanden. Diese Entspanntheit übertrug sich auf den Film.

Ford hatte bei früheren Drehs in abgelegenen Gegenden gelernt, dass man die Crew bei Laune halten musste, um einem Lagerkoller vorzubeugen. Abends wurden Unterhaltungsprogramme in der Schulaula aufgeführt. Der Countrystar Rex Allen gab ein Konzert mit den Sons of the Pioneers. Mit nach Moab gereist war John Ireland, dessen stürmische Liaison mit Joanne Dru Howard Hawks bei Red River einigen Ärger bereitet hatte. Inzwischen war das Schauspielerpaar verheiratet. Ireland brachte eine - offenbar sehr lustige - szenische Darstellung der Ballade The Shooting of Dan McGrew auf die Bühne der Aula und trat dabei selbst als Erzähler auf. Aktivitäten wie diese förderten den Gemeinschaftsgeist, der schwer zu fassen und doch überall im Film zu spüren ist. Wagon Master ist sofort als Western von John Ford zu erkennen, und ebenso unverkennbar das Produkt einer kollektiven Anstrengung.

Whittling

Nach den drei Wochen in Moab versammelte Ford sein Team zu weiteren zwölf Drehtagen im Studio und auf dem Gelände der RKO Movie Ranch in Encino. In der Western-Straße der Ranch treffen Travis und Sandy auf ein Trio in Schwarz: Elder Wiggs (Ward Bond), Adam Perkins (Russell Simpson, Spezialist für Patriarchen aller Konfessionen) und seine Enkelin Prudence (Kathleen O’Malley). Ford nimmt sich viel Zeit für die Szene, mit der er uns sagt, dass er sich nicht drängen lassen wird und die Handlung auch mal anhält, statt sie dauernd voranzutreiben, wie es das Regelbuch des Kommerzkinos verlangt. Travis steht am Gatter mit seinen Pferden und schnitzt an einem Stück Holz herum. So vertreibt man sich in Fords Westen die Zeit und bringt Produzenten zur Weißglut, weil (scheinbar) nichts passiert und doch jede Filmminute Geld kostet. Wiggs stellt sich dazu und tut dasselbe. Das Whittling (engl. whittle = schnitzen) ist ein Ritual und nur bei oberflächlicher Betrachtung eine sinnlose, unschöpferische Tätigkeit. Wer den Zauber eines Ford-Films verstehen will findet hier einen guten Einstieg. Ein Holzstück wird nach und nach reduziert. An Schlichtheit ist das kaum zu übertreffen. Doch während das Holzstück verschwindet entsteht darum herum eine komplexe Welt mit interessanten Charakteren und vielfältigen Beziehungen.

Wagon Master

Beim Whittling entspinnt sich ein Gespräch über den Preis der Pferde und darüber, dass Wiggs und seine Leute einen Treckführer (Wagon Master) suchen, der sie durch das Indianerland zum San Juan River bringt. Andere Regisseure hätten einen Dialog abgefilmt und das in einem Viertel der Leinwandzeit erledigt. Ford kann solche Dialoge nicht leiden, wenn sie keinen Mehrwert bringen. Er verwandelt Gerede in Atmosphäre und macht eine Szene voller visueller Informationen daraus. Wiggs und seinen Begleitern folgen zwei Reiter mit Sheriffstern. Zu diesen Männern gesellen sich zwei Frauen mit Einkaufskörben, die ihre Besorgungen unterbrechen und vom Hintergrund aus zuschauen, als wäre das, was sich am Gatter abspielt, irgendwie skandalös und jedenfalls so, dass es beobachtet werden muss. Während Wiggs und Travis ihr Gespräch beginnen hat Sandy nur Augen für Prudence, und sie für ihn. Durch Blicke bahnt sich eine Romanze an, die im Rest des Films nie in den Vordergrund drängen und doch immer da sein, sich Schritt für Schritt entwickeln wird. Dabei werden die beiden nie ein Wort darüber verlieren, was sie für einander empfinden. Ford lässt das weg, weil es nicht nötig ist. Es wird bis zur Mitte des Films dauern, bis Prudence und Sandy das erste Mal (in Dialogform) miteinander sprechen. Da ist längst alles gesagt.

Das gemeinsame Whittling verbindet zwei Charaktere, die ansonsten sehr verschieden sind. Travis ist ruhig und kontrolliert; Wiggs hat ein feuriges, schwer zu bändigendes Temperament. Der eine hat ein Übermaß an Leidenschaft, der andere hat zu wenig. Ford inszeniert ein erstes Zusammentreffen zweier Männer, die sich zum beiderseitigen Vorteil ergänzen werden, weil das kein Film über einen monolithischen Helden ist, sondern über Charaktere, die in der Gruppe stärker werden. Vorerst aber ist Travis noch der kühl kalkulierende Geschäftsmann, der einen für ihn günstigen Handel wittert und statt der von Sandy erhofften 30 Dollar deren 50 pro Pferd verlangt. Fords Blick auf Amerika wurde danach immer pessimistischer. Der zynischen Variante dieses Gewerbetreibenden begegnet man im zehn Jahre später entstandenen Western Two Rode Together, in der Gestalt von James Stewart als Marshall McCabe. Da wird darüber verhandelt, was ein Mensch kostet, nicht ein Pferd.

Im Zorn über den Wucherpreis lässt sich Wiggs zu einem Fluch hinreißen. Perkins ermahnt ihn zu mehr Gottesfurcht. So erwartet man das von einem strengen Patriarchen. Interessanter ist das Verhalten von Prudence. Ford inszeniert das wieder ganz unauffällig, integriert Prudence in eine Einstellung voller visueller Informationen, weil es bei ihm so sehr auf die Details ankommt wie bei Hitchcock, trotz aller Unterschiede in der Arbeitsweise. Wer wissen will, was vor sich geht, sollte genau hinsehen, statt sich darauf zu verlassen, dass das, was wichtig ist, in Großaufnahme präsentiert wird. Wagon Master gehört nicht zu der am Fließband hergestellten Konfektionsware, die den Zuschauer bevormundet und bei der Hand nimmt, als wäre er ein kleiner Junge oder geistig nicht besonders rege. Ford-Filme sind für Erwachsene (und kluge Kinder). Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sie im gebührenfinanzierten deutschen Fernsehen kaum mehr laufen.

"That’s why I keep my hat on"

Prudence also schaut bei Wiggs’ Wutausbruch erschrocken nach hinten, zu den Hilfssheriffs und den Damen aus dem Ort, als ginge von diesen Hausfrauen und Polizisten eine Gefahr aus. Es ist nicht Gottes Zorn, den sie fürchtet. Ford ist ein Meister der fein austarierten Reaktionen. Diese hier - Prudence senkt jetzt den Blick, als ob sie am liebsten im Boden versinken würde - geht über das übliche "Was werden bloß die Leute denken!" hinaus. Zu sehen ist das ängstliche Erschrecken einer jungen Frau, deren sorgsam etablierter Blickkontakt mit Sandy dadurch abbricht, was die von Ford gewünschte Wirkung steigert. Doch woher kommt die Angst? Wiggs spricht nun von einem Tal am Fluss, das der Herr für ihn und seine Gruppe reserviert hat, damit sie dort ihr Saatgut ausbringen und den Boden fruchtbar machen. Das ist einer dieser Dialoge, die man zum Verständnis der Geschichte braucht. Siedler wollen den beschwerlichen Weg zum San Juan River antreten und suchen einen Treckführer, der die Gegend kennt und sie dort hinbringt. Dem Publikum muss man das mitteilen. Bei Ford wird aus der Pflichtübung das Vehikel, mit dem er den Grundkonflikt des Films etabliert: Wie geht die Gesellschaft mit ihren Außenseitern um?

Wagon Master

"Ihr seid Mormonen!", platzt es aus Sandy heraus. Genau, antwortet Wiggs: "Darum lasse ich immer meinen Hut auf. Damit man meine Hörner nicht sieht. Ich habe mehr Frauen als Salomon. Oder wenigstens sagen das die Leute hier. Und wenn sie es nicht sagen, dann denken sie es." Gemeint sind Leute wie die, die man zu Beginn der Szene im Hintergrund sieht, wodurch Ford das Umfeld etabliert: Die Bewohner dieser Stadt, in der man keine Fremden will und deren Marshall am Ortsrand eine Transitzone eingerichtet hat, oder einen Hot Spot, oder wie immer es gerade heißen wird, wenn dieser Text erscheint. Die jeweilige Sprachregelung ist ein Thema für Linguisten, wie Horst Seehofer auf dem letzten CDU-Parteitag meinte. Wichtig für die besorgten Bürger (die Wähler des Marshalls) ist, dass die Fremden draußen vor der Stadt bleiben und so bald wie möglich wieder verschwinden.

Und überhaupt: Wo haben diese Mormonen das Geld für die Pferde her? Die Frage bleibt so offen wie die des Bundesinnenministers, wie sich die Muslime das Taxi leisten können, mit dem sie seinen Informationen nach kreuz und quer durch unser schönes Land fahren. Früher, vor der Flüchtlingskrise, empörte man sich am Stammtisch über die Hartz-IV-Empfänger, die im Taxi zum Arzt gebracht wurden, während der hart arbeitende Teil der Bevölkerung zu Fuß gehen musste. Gleichzeitig klagen die Taxifahrer über ausbleibende Kunden und Existenzängste. Aber das ist mehr ein Thema für den Verkehrs- oder den Wirtschaftsminister. Leider gibt es kein Ministerium für krause Phantasien, das uns mehr über Herrn de Maizières Phantomtaxis sagen könnte.

Wiggs und seine Glaubensgenossen jedenfalls sind in Crystal City nicht erwünscht. Aus Wagon Master macht das noch keine Auseinandersetzung mit dem Mormonentum. Die Mormonen sind als solche zu erkennen und nicht viel mehr. Sie stehen stellvertretend für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen, die mit den Vorurteilen der Mehrheit zu kämpfen haben. Die Bürgerwehr der Stadt erinnert mehr an einen Lynchmob als an eine Ordnungstruppe. An der Willkommenskultur muss man noch arbeiten in Crystal City. Das steht im krassen Gegensatz zum Verhalten der Mormonen. Jeder, der ihnen begegnet, ohne Ansehen der Person, kann sich darauf verlassen, dass sie ihre Vorräte mit ihm teilen, wenn er nichts zu essen hat. Sogar der Marshall, der sie aus der Stadt wirft, wird später Wasser und eine Speckseite von ihnen kriegen, weil er vergessen hat, Proviant einzupacken, bevor er auf Verbrecherjagd ging. Man könnte auf die Idee kommen, dass die besorgten Bürger die Mormonen auch deshalb schnell loswerden wollen, weil sie durch sie daran erinnert werden, wie weit sie sich von den Werten des Christentums entfernt haben. Die Hausfrauen im Hintergrund stehen da, um zu gaffen und nicht, weil sie etwas von dem abgeben wollen, das sie in ihrem Einkaufskorb haben.

Mehrfach kommt die Sprache auf den Wagen mit dem Saatgut. Dieses Saatgut ist der Schatz der Mormonen. Vorerst sind es nur wenige von ihnen, sagt Wiggs, die sich aufgemacht haben, um einen Platz zu finden, wo sie in Frieden leben können. Aber im nächsten Jahr sollen hundert Familien folgen, die alle verhungern werden, wenn sie bis dahin kein Getreide angebaut haben, das die Neuankömmlinge ernähren kann. Hier wird man vielleicht an als "Flut" oder als "Lawine" auftretende Flüchtlinge denken, oder an die testosterongesteuerten jungen Männer, deretwegen der Familiennachzug abgeschafft werden muss, weil die Migranten sonst nicht nur in Scharen deutsche Blondinen vergewaltigen, sondern demnächst auch noch ihren Harem in der Nachbarwohnung installieren. Oder man nimmt zur Kenntnis, was Ford uns mit dem Wagen voller Saatgut sagen will: Seine Mormonen sind der Zukunft zugewandt und wollen etwas aufbauen, statt Besitzstandssicherung zu betreiben. Das Saatgut ist ihre Form der Willkommenskultur, die sie immer mit dabei haben. Die Bürger von Crystal City könnten manches von ihnen lernen.

Ambivalenz

"Geboren bin ich in Bonn, doch zu Hause war, bedingt durch häufige Ortswechsel im Laufe meines politischen Werdegangs, immer dort, wo meine Familie war." Home is where the family is. So könnten es auch Fords Mormonen formuliert haben. Wer sagt das von sich? Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf seiner Homepage. Ich bin verwirrt. Kann das derselbe Politiker sein, der den Familiennachzug begrenzen und damit, wenn man seinen Worten folgt, verhindern will, dass sich die Flüchtlinge hier zuhause fühlen und also integrieren? Oder ist der Mann ein Doppelgänger? Liegt eine Persönlichkeitsspaltung vor? Der nächste Satz: "Das ist auch heute noch so, inzwischen haben wir in Sachsen und Dresden die Heimat unseres Herzens gefunden." Wäre das keine Gebrauchsprosa, sondern ein literarischer Text, müsste man von Ironie sprechen. Ein Autor könnte eine von ihm erfundene Figur so reden und sich dadurch selbst entlarven lassen.

Screenshot: Hans Schmid

Wir hätten es dann mit einem Politiker zu tun, der sich in seiner Selbstdarstellung zu den von seiner Partei propagierten Werten bekennt (Beschluss des CDU-Parteitags vom 14.12.2015: "Wir wollen eine familienfreundliche Gesellschaft und Freiräume für Familien schaffen"), diese in seiner Politik aber zumindest stark relativiert, wenn es um Flüchtlinge geht, weil sonst die Pegidisten und andere besorgte Wähler in seiner sächsischen Lebensabschnittsheimat Frauke Petry ihre Stimme geben könnten und nicht ihm. Unser imaginärer Autor würde einen multimedialen Ansatz pflegen, denn der Text ergänzt ein Bild, in welchem der vom Autor erfundene Politiker beim Telefonieren zu sehen ist (ob ihm der Verfassungsschutz gerade die neuesten Zahlen zu den Flüchtlingstaxis durchgibt?). Die Einstellung suggeriert Dynamik. Offenbar sind die Dinge so in Schieflage geraten, dass sich der Politiker am eigenen Revers festhalten muss, um nicht abzurutschen, aber dieser Mann, dürfen wir uns sehr gern denken, wird es schon richten. Man beachte in diesem Zusammenhang auch das Kreuz, das rechts außen an der Wand lehnt (aus Sicht des Mannes am Telefon) und auf mich so wirkt, als hätte es der Requisiteur vor dem Phototermin noch schnell da hingestellt, weil die Verteidigung des christlichen Abendlandes in der sächsischen Heimat besonders virulent betrieben wird.

Der Mann ist so zupackend (zieht er vielleicht seine Jacke zu, weil in seinem Büro ein kalter Wind weht?), fast könnte man dabei vergessen, dass er der politisch Verantwortliche für eines der größten Probleme im Flüchtlingsdrama ist, für ein institutionelles Versagen, das sowohl die Integration der Asylberechtigten wie die angestrebte Abschiebung der Menschen ohne Asylanspruch zur Farce macht und alle in eine schier endlose Warteschleife schickt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das derzeit 700.000 unerledigte Asylfälle vor sich herschiebt, ist dem Innenministerium unterstellt. Vielleicht hätte der Mann am Telefon mal bei den Vereinten Nationen anrufen sollen. Da gab es schon 2011, als in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach, inzwischen sehr prophetisch wirkende Studien zur Flüchtlingsproblematik, damit Politiker eine Grundlage für vorausschauendes Handeln haben, statt hinterher täglich eine neue Forderung hinausposaunen und dem Wahlvolk sagen zu müssen, dass sie beim besten Willen nicht wissen konnten, was kommen würde.

Das Kreuz an der Wand des Innenministers bringt mich auf eine Idee. Neue, von der Bundesregierung paketweise auf den Weg gebrachte Gesetze zur Verschärfung des Asylrechts haben wir jetzt schon eine ganze Menge. Wie wäre es, wenn wir Moses (auch so ein Migrant, der zur Verbesserung seiner Lebensumstände in das Land der Verheißung aufbrach) noch einmal auf den Berg Sinai schicken würden, damit er uns ein elftes Gebot holt, das der Minister dann als guter Christ befolgen müsste: Du sollst nicht die Lebenszeit der Flüchtlinge stehlen. Und warum nicht von John Ford lernen und das Whittling einführen, als Pflichtprogramm für Mitglieder der Bundesregierung. Das könnte den als Problemlösung getarnten Aktionismus eindämmen und wäre gut für alle.

Verteidigung der amerikanischen Ideale

Aber mit Politik kenne ich mich nicht aus, über die religiösen Überzeugungen real existierender oder frei erfundener Minister weiß ich nichts, und gute Filme sind mir lieber als die Selbstinszenierungsversuche von Politikern. In jedem Fall ironisch ist es zu verstehen, wenn Ward Bond in Wagon Master den Anführer der Diskriminierten spielt. Im echten Leben war er in der Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals aktiv. Sein Freund John Wayne war seit 1949 Präsident der MPA, und Bond war seitdem so sehr mit der Jagd auf - tatsächliche oder vermeintliche - Kommunisten beschäftigt, dass ihm für Filmauftritte wenig Zeit blieb. Fords Haltung gegenüber der MPA war ambivalent. Unter dem Eindruck des sich abzeichnenden Kalten Krieges sowie der antireligiösen Sprüche linker Gruppierungen hatte der gläubige Katholik die Allianz 1944 selbst mit gegründet. In den folgenden Jahren entwickelte sich die MPA zur Speerspitze der Hexenjäger in Hollywood. Ford erlebte mit, wie aus einer Mischung aus echter Besorgnis und einer der Anbiederung beim rechten Rand dienenden Rhetorik eine Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas wurde. Er bezog Stellung gegen die rabiaten Antikommunisten in der Gewerkschaft der Regisseure (auch da war er Gründungsmitglied) wie Sam Wood und Cecil B. DeMille. Doch aus der MPA trat er weder aus, noch distanzierte er sich von ihr, obwohl da die Superpatrioten den Ton angaben, für die nur der ein Amerikaner war, dessen Familie seit Generationen in den USA lebte. Ford, dem Sohn irischer Einwanderer, konnte das nicht gefallen.

Seine Biographen gehen darauf entweder nicht ein, oder sie spekulieren über seine Motive. Ich kann der Vermutung einiges abgewinnen, dass die Mitgliedschaft in der MPA eine Rückversicherung war, die Ford, den Anhänger Roosevelts und des New Deal, davor schützen sollte, selbst auf der Schwarzen Liste zu landen. Wem das zu opportunistisch ist, dem sei die Theorie empfohlen, dass Ford in der MPA blieb, um mäßigend auf Wayne und Bond einzuwirken, die beide lieber im Filmatelier Krieg geführt hatten als an der Front und jetzt unter Rechtfertigungsdruck standen, weshalb sie es mit dem Patriotismus ein wenig übertrieben. Allerdings verliehen Mitglieder wie Ford der Allianz, einem Sammelbecken für xenophobe und chauvinistische Anti-Rooseveltianer, ein Prestige, das sie auch für Gemäßigte attraktiv machte, nicht nur für Kommunistenfresser, sie also weiter in die Mitte der Gesellschaft vorrücken ließ oder, je nachdem, die Mitte zunehmend radikalisierte. John Ford hatte einen extrem komplexen Charakter. Zwischen ihm als biographischer Person und seinem Werk besteht ein Spannungsverhältnis. Für das Zustandekommen guter Filme waren das nicht die schlechtesten Voraussetzungen.

Wagon Master

Es gibt auch die Theorie, dass Ford seine Filmarbeit nützte, um den Superpatrioten eine Lektion zu erteilen. Der von seinem Stunt-Koordinator Cliff Lyons gespielte Marshall wird zum Amüsement des Publikums zweimal abgeworfen, weil ihm Travis ein Pferd verkauft hat, das auf einen Pfiff außer Rand und Band gerät. Dieser Theorie nach landet nicht nur der oberste Polizist einer fremdenfeindlichen Stadt im Staub, sondern auch Lyons als williger Helfer von Ward Bond bei der MPA. Bond selbst hätte Ford demnach eine Lektion in Toleranz erteilt, indem er ihn als Elder Wiggs besetzte. Falls dem so war hätte Bond die Möglichkeit gehabt, dreifach von Wagon Master zu profitieren. Der ewige Nebendarsteller erhielt (1) die Chance, sich in einer tragenden Rolle zu beweisen. Mit einiger Verspätung brachte ihm das (2) 1957 ein Engagement als Star der Westernserie Wagon Train ein, wo er im Fernsehen den Treckführer spielte, bis er 1961 einem Herzinfarkt erlag wie 1949 bereits Sam Wood, Waynes Vorgänger als MPA-Präsident, der sich so in die Verfolgung des "Unamerikanischen" hineingesteigert hatte, dass er gewissermaßen in seinen Stiefeln starb (Merke: Intoleranz kann tödlich sein). Und Bond hätte seinen Auftritt als Mormone, also als Angehöriger einer diskriminierten Minderheit, (3) dafür nützen können, sein borniertes Patriotengehabe zu überdenken.

Sein Wirken in der MPA gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass Wagon Master an Bonds Selbstgerechtigkeit etwas geändert hätte. John Huston musste sich vor ihm demütigen und behandeln lassen wie ein unartiger Junge, um von der Liste mit den mutmaßlichen Kommunisten gestrichen zu werden und weiter Filme drehen zu können. Harry Carey zufolge war Bond, der Sohn eines Bergarbeiters, Fords Meinung nach ein zu Selbstkritik völlig unfähiger Emporkömmling, dem es nichts ausmachte, auf anderen Leuten herumzutrampeln, wenn ihm das ein Gefühl von Wichtigkeit gab. Ford hingegen ertränkte zwischen zwei Filmen seine Selbstzweifel im Alkohol und verbarg die eigene Verletzlichkeit unter der Maske des Regie-Raubeins, was sich bei Dreharbeiten in Grobheiten gegenüber manchen Darstellern äußern konnte. Mag sein, dass er in Bond Aspekte seiner eigenen Persönlichkeit erkannte. Er gab ihm größer werdende Rollen und lebte seinen Hang zum Sadismus an ihm aus. Man erfährt viel über Fords schwieriges Verhältnis zu sich selbst, wenn man die Charaktere betrachtet, die Bond da spielt. In The Wings of Eagles ist er sogar als Fords Alter ego zu sehen, als der Regisseur John Dodge. Am sympathischsten ist Bond als der tolerante Mormone in Wagon Master, den Ford drehte, als er mit sich selbst im Reinen war. In Fords Filmen zeigen die von Bond verkörperten Charaktere auch immer wieder die Fähigkeit zu einer tief empfundenen Empathie, die wenige so hätten spielen können wie dieser Mann, der privat ein unsensibles Trampeltier war.

Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun

Ford ist bekannt für seine mit den Augen eines Malers eingefangenen Landschaftsaufnahmen, für die perfekt komponierten Bilder von Menschen in einer unberührt wirkenden Natur. Oft aber sind es die kleinen, scheinbar unwichtigen Momente, in denen sich der Zauber seiner Filme entfaltet. Ein Beispiel: Travis lehnt es ab, die Mormonen in ihr Gelobtes Land zu führen, weil er lieber in Crystal City seinen Spaß beim Kartenspiel haben will als sich auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang einzulassen. Er freut sich nicht auf die übliche Pokerrunde, sondern auf eine Partie "Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun". Hier sollte man darauf hinweisen, dass im klassischen Western zwei Arten von Cowboys zu sehen sind. Es gibt die Schauspieler mit den Sprechrollen, die unser Bild vom "Wilden Westen" geprägt haben, und es gibt die echten Cowboys, die in Hollywood als Komparsen, Stuntmen und Doubles für die Stars unterkamen, als in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts die riesigen Weideland-Imperien der Rinderbarone zusammenbrachen und Hunderte von Arbeitsplätzen verloren gingen.

Die Wirtschaftsflüchtlinge machten die Erfahrung, dass ihre Reitkunst gefragt war, nicht ihr Wissen über das Leben eines Cowboys. Hollywood warb zwar mit dem Authentizitätsversprechen, doch in der Praxis interessierte sich kaum einer von den Verantwortlichen dafür, wie etwas wirklich gewesen war. Das besondere Hassobjekt der Cowboys war Cecil B. DeMille, der grundsätzlich seine ganz eigene Realität erschuf und sich Zurufe aus der Komparserie verbat. Ford war anders. Er hörte zu und integrierte das, was ihm die ehemaligen Cowboys zu sagen hatten, in seine Filme. Diana Serra Cary, Tochter des Stuntman Jack Montgomery und in der Stummfilmära - als "Baby Peggy" - ein Kinderstar, hat ein aufschlussreiches Buch über ihren Vater und seine Freunde geschrieben, die im sonst nicht immer kollegialen Hollywood eine verschworene Gemeinschaft bildeten. In The Hollywood Posse erzählt sie, wie bei den Dreharbeiten zu My Darling Clementine vier von den echten Cowboys bei einer Pokerrunde mitmachen sollten. Das taten sie nur widerwillig. Im Westen war das Pokern erst sehr spät populär geworden. Die geschichtsbewussten Cowboys klärten Ford darüber auf, dass man damals, zur Zeit der Handlung, fast ausschließlich das offenbar mit dem Skat verwandte "Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun" spielte. Ford änderte die Dialoge und erinnerte sich daran, als er Wagon Master drehte.

Wagon Master

Wiggs ist es egal, ob gepokert oder sonst was wird. Die einen spielen Karten, sagt er angewidert, während andere ihr Leben aufs Spiel setzen. Eine Überblendung bringt uns in den Saloon. Travis sitzt beim "Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun". Gerade hat er gewonnen. Der Marshall (Cliff Lyons von der reaktionären MPA) hat verloren, ist schlechter Laune und redet über Leute, die er in seiner Stadt nicht haben will, von Mormonen bis zu Pferdehändlern. Travis überlegt kurz, wirft eine Münze in das Glas, in dem die Einsätze gesammelt werden, und sagt: "Ich bin dabei." Vordergründig heißt das, dass er die nächste Runde des Kartenspiels eröffnet. Tatsächlich bedeutet es, dass er sich zu den in Crystal City nicht willkommenen Siedlern bekennt, weil sich in diesem Film die Außenseiter miteinander solidarisieren und man sich irgendwann entscheiden muss, auf wessen Seite man stehen will. Ford war der Überzeugung, dass selbst die kleinste Verrichtung ihre ganz eigene Grazie hat und der Welt ihre besondere Magie gibt. Hier ist es die Bewegung aus dem Handgelenk, mit der Travis die Münze in das Glas wirft. Wer nun einwendet, dass der Zuschauer das nicht mitbekommt: Es gibt kein Verbot, Filme öfter zu sehen. Bei Ford lohnt sich das immer. Mit jedem Sehen werden sie reicher.

"I left my gal in Old Virginny …"

In der nächsten Szene sind wir bei den Mormonen, die sich anschicken, hinaus in die Wildnis zu ziehen und erst mal etwas Musik machen, weil der Tag dann gleich viel besser anfängt. Bei den Dreharbeiten zu einem Ford-Film war das genauso. Der Mormone mit dem Akkordeon ist Danny Borzage, der Bruder des Regisseurs Frank Borzage. Jeden Morgen, wenn Ford auf dem Set erschien, spielte Danny ein Lied (meistens den Gospel-Song "Bringing in the Sheaves"). Damit begann der Arbeitstag. Dannys Kurzauftritt in Wagon Master sorgt für einen der selbstironischen Momente, die Ford oft einstreute. So wie der Wagenzug wird sich auch der Film jetzt in Bewegung setzen. Man beachte die Peitsche in der Hand von Wiggs, dem Anführer der Mormonen. Ford spielt da mit dem Bild vom strengen Zuchtmeister, als den sich manche seiner Regisseurskollegen gern sehen wollten (Cecil B. DeMille entschied sich für das Outfit eines Herrenreiters als Arbeitskleidung).

Wagon Master

Borzage stieß 1924 zu Fords Filmfamilie, beim Western The Iron Horse. Mit seinem Akkordeon sollte er die Darsteller in die gewünschte Stimmung bringen. Beim Stummfilm war das so üblich. Ford behielt diese Praxis auch nach dem Übergang zum Tonfilm bei. Vier Jahrzehnte lang spielte Borzage zwischen den Szenen auf dem Akkordeon, und er übernahm kleine Rollen. Wenn Schauspieler von Dreharbeiten mit John Ford erzählen fällt oft sein Name. Fords Filme haben auch da eine musikalische Qualität, wo nicht gesungen wird. Häufig bewegen sich die Darsteller wie zu einer nur von ihnen gehörten Melodie (man sehe sich John Wayne daraufhin an, da wird man sich wundern). Danny Borzage leistete dazu sicher einen Beitrag.

Wagon Master

Die vom Marshall gesetzte Frist ist bald abgelaufen, und die mit Gewehren bewaffnete Bürgerwehr ist da, um die Abreise der unerwünschten Besucher zu überwachen. Wiggs hält eine kurze Ansprache (Mit Gottes Hilfe schaffen wir das) und bittet Sister Ledeyard, noch einmal in ihr Horn zu stoßen, weil es nicht schaden kann, wenn die beiden jungen Pferdehändler Gott etwas zur Hand gehen würden. Als hätten sie nur auf dieses Signal gewartet, kommen Sandy und Travis angeritten. Synchron wie das Tanzpaar in einem Musical klettern sie auf ein Gatter, um von dort den vorbeiziehenden Wagentreck zu beobachten (über solche Gatter bei Ford ließe sich ein ganzes Buch schreiben). Sandy sucht wieder den Blickkontakt mit Prudence und würde Wiggs’ Angebot gerne annehmen. Hier könnte nun eine Dialogpassage folgen, in der die beiden das Für und Wider gegeneinander abwägen. Ford löst die Sache musikalisch und nützt zudem die Gelegenheit, uns einen Einblick in die Beziehung der beiden Freunde zu geben, mit einem Höchstmaß an erzählerischer Ökonomie.

Was wird wohl passieren, fragt Sandy, wenn die Mormonen die Wüste erreichen? Wir haben sie gewarnt, meint Travis, und es gibt einfachere Möglichkeiten, Geld zu verdienen als den, die Siedler durch die Wildnis zu führen. Ein "Selber schuld" und "Wir haben es ja gleich gesagt" passt aber nicht zu diesen beiden. Sie lächeln sich kurz an, dann stimmt Sandy die erste Zeile eines Liedes an, das von einem Mann handelt, der seine Liebste verlässt, weil er sich einem Wagentreck anschließt (in Wagon Master wird das zur Liebsten führen, nicht weg von ihr): "I left my gal in Old Virginny …". Travis antwortet, auch singend: "… fell in 'hind the wagon train." Sandy: "Another I left in Old Missouri …". Travis: "... fell in 'hind the wagon train." Damit ist das abgemacht. Die Freunde werden die Mormonen in das Gelobte Land bringen. An dieser Stelle hätte man eine Grundsatzrede über christliche Werte einfügen können, oder sonst ein paar pompöse Statements über Volk und Vaterland, für die Hollywood gern mal einen Oscar vergibt. Ford-Helden ist so etwas ein Graus. Travis und Sandy helfen, weil die Mormonen es ohne sie nicht schaffen würden. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Wagon Master

Zu einer Instrumentalversion des "Chuckawalla Swing" galoppiert Ben Johnson, der beste Reiter von Hollywood, an den Planwagen vorbei, springt auf seinem Pferd Steel über das Gatter und nimmt seinen Platz an der Spitze des Trecks ein - nicht allein, als klassischer Westernheld, sondern an der Seite von Elder Wiggs, weil das ein Film über das Bilden einer auf Respekt und Solidarität gegründeten Gemeinschaft ist (als Gegenentwurf zur dumpfen Welt der Spießer in Crystal City). Und weil Ford keine idealisierten Helden in weißer Rüstung mag erinnert Travis den Mormonen daran, dass er ihm pro Pferd 50 Dollar schuldet. Der Wucherpreis ist geblieben. Ein Geschäftsmann nimmt mit, was er kriegen kann.

Yipie I oh

Wiggs und Travis besiegeln per Handschlag die Abmachung zwischen den Mormonen und ihren neuen Treckführern, dann schwenkt Wiggs seinen Hut und ruft ein zweifaches "Wagen westwärts". Der "Chuckawalla Swing" geht in die Melodie von "Wagons West" über, und die Sons of the Pioneers singen dieses Lied, während die Siedler einen Fluss überqueren: "Wagons West are rollin’/Out where winds are blowin’/'Cross mountains and plains/Through sand and through rain/Rolls the mighty wagon train ..." Um das mit diesen Vier- oder gar Sechsspännern bewältigen zu können brauchte man erstklassige Fuhrleute. Da ist nichts getrickst, und vorher proben konnte man das sowieso nicht. Für solche Sequenzen wählte Ford mit traumwandlerischer Sicherheit die optimale Position der Kamera aus (in Absprache mit dem Kameramann oder zur Not auch gegen ihn), den Schauspielern und Stuntmen gab er ein paar allgemein gehaltene Regieanweisungen, dann ließ er den Dingen ihren Lauf. Darum ist das so lebendig.

Wagon Master

Wenn Travis, Sandy und die Mormonen den Fluss überschreiten bringen die Strahlen der Sonne das Wasser zum Funkeln. Wer würde da dem matt gewordenen Glanz von Crystal City nachtrauern? Und wer außer Ford hätte es geschafft, sattsam bekannte Westernszenen mit einer so unaufdringlichen Leichtigkeit in ein Musical zu verwandeln? Leider trug dieser Aspekt des Films dazu bei, dass ihn die Mehrzahl der Kritiker, die Wagon Master in den frühen 1950ern zur Kenntnis nahmen, erst recht in die Pfanne haute. Viele Zeitgenossen, besonders die sich intellektuell dünkenden unter ihnen, fanden die Musik unerträglich. Inzwischen hat sich das auf eine seltsame Weise umgedreht. Heute kann man oft lesen, dass die Musik und die Lieder zur Authentizität von Wagon Master beitragen. Genau so war er, der Wilde Westen, ist dann der Tenor. Da hätte Ford sich bestimmt gewundert.

Wagon Master

Stan Jones hätte es verdient, als ein früher Vertreter der Ökologie-Bewegung entdeckt zu werden. Als Ranger im Death-Valley-Nationalpark war er mit den Folgen der Umweltverschmutzung konfrontiert und thematisierte das in seinen Texten. Bekannt aber wurde er mit Liedern für Wildwest-Nostalgiker. Mit (Ghost) Riders in the Sky war ihm kürzlich ein Megahit gelungen. Für Wagon Master schrieb er vier Songs, die auch mehr zur "Yipie I oh, yipie I ay"-Variante der Country- und Westernmusik gehören als in die Sparte "Traditionelle amerikanische Populärkultur des 19. Jahrhunderts", zumal sie von den Sons of the Pioneers interpretiert werden. Die sehr beliebten Sons hatten sich auf weichgespülte, mitunter klagende Versionen von Cowboyballaden spezialisiert. Das ist eingängig und populär, viele ihrer Aufnahmen sind zum Oldie geworden, aber es ist in etwa so "traditionell" wie das, was im friedlich entschlafenen Musikantenstadl der ARD dargeboten wurde. Volksmusik-Puristen rümpfen da die Nase. Ford wusste das genau. Bei einem seiner Biographen habe ich gelesen, dass er von "Riders in the Sky" begeistert war und darum unbedingt ein paar Songs von Jones haben wollte. Alles andere sei ihm egal gewesen. Das verkennt, dass die vier Lieder Stimmungswechsel einleiten und - ganz wie im Musical - so in die Handlung integriert sind, dass sie diese kommentieren und zum Verständnis beitragende Informationen liefern. Da wird nicht einfach nur gesungen, damit die Zeit vergeht oder die Merchandising-Abteilung ein paar Schallplatten verkaufen kann.

Der Bariton, den man da hört, ist Ken Curtis. Fords Tochter Barbara sah ihn im Tonstudio, als die Sons die Lieder von Stan Jones aufnahmen, war fasziniert und glaubte, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Die daraus resultierende Ehe hielt offiziell bis 1964 und war nicht besonders glücklich. Curtis übernahm fortan kleine Nebenrollen in den Filmen seines Schwiegervaters. Wenn ein Kavallerist, ein Cowboy oder auch mal ein Ire ein Lied singt ist das meistens Ken Curtis. Ältere Semester werden ihn als den Hilfssheriff Festus Haggen in der Fernsehserie Gunsmoke (Rauchende Colts) kennen. James Arness alias Matt Dillon, in Gunsmoke der Marshall von Dodge City, wurde einer der reichsten Männer Hollywoods, weil er seine Gage sehr geschickt investierte. In Wagon Master ist er einer von den Banditen.

Stan Jones und die Sons of the Pioneers sind perfekt gewählt, weil das genau die Westermusik ist, die damals aus dem Radio kam. Wer sich an der mangelnden Authentizität stört liegt völlig richtig, hat aber die Intention missverstanden. "A hundred years have gone since 1849, but the ghostly wagons rollin’ west are ever brought to mind ...", singen die Sons beim Überqueren des Flusses. Das verankert Wagon Master im Jahr 1949, als der Film gedreht wurde, in einer Zeit des Kalten Krieges und der Paranoia, als Amerika immer intoleranter und paranoider wurde. Ford wollte einen Film über die Gegenwart machen, nicht ein Museum mit irgendwie "authentischen" Versatzstücken aus der Pionierzeit auf die Leinwand bringen (vgl. dazu den genialen Romananfang von Kim, und was sich daraus entwickelt). Die Regierung Truman hatte Sicherheitsgesetze verabschiedet, die vor inneren und äußeren Feinden schützen sollten, aber in erster Linie die Atmosphäre vergifteten und die Bürgerrechte aushöhlten. Ford hatte das anfangs befürwortet, unter dem Eindruck von Schnüffelei und Denunziation in Hollywood jedoch umgedacht. Anders lassen sich der Marshall und seine Hilfspolizisten nicht deuten. Im Drangsalieren ungefährlicher, aber von der Norm abweichender Amerikaner sind sie gut. Im Kampf gegen eine echte Bedrohung, die Mörderbande der Cleggs, versagen sie.

Aus dem Balladieren der Sons hätte leicht ein Amerika und seine Werte verklärender Wildwestkitsch werden können. Der für die Arrangements zuständige Richard Hageman unterläuft das, indem er im richtigen Moment musikalische Kontrapunkte setzt, mit die Harmonie störenden Streichinstrumenten oder Gitarren. Ein mit dem Kitsch eng verwandtes Pathos will auch nicht recht aufkommen, weil Ford die Liedtexte mit ironisierenden Bildern kombiniert. "Wagons West are rollin’", singen die Sons of the Pioneers, "[...] and their thunder echoes in the sky." Aber der "mächtige Wagentreck" des Liedes besteht im Film aus sechs bis maximal zehn Fuhrwerken. Einen Treck, dessen Donnern vom Firmament widerhallt, stellt man sich doch irgendwie monumentaler vor. Wo Stan Jones ins Mythische entschwebt, bleibt Ford mit beiden Beinen auf der Erde. Dem Gefühl, dass man da dem Aufbruch in ein neues Leben beiwohnt, und der Schaffung einer neuen Gesellschaft, tut das keinen Abbruch.

Von Dallas nach Denver

Nach dem Überqueren des Flusses sehen wir Travis, Sandy und Wiggs durch die Landschaft von Moab reiten. Aus dem Freundespaar ist ein Trio geworden, weil das ein Film über die Bildung einer Gemeinschaft ist. Und weil Wagon Master Fords Version von einem Musical ist, spielt die Musik wieder eine Rolle. Die Reiter halten verdutzt an, spähen ungläubig hinaus in die Wüste (Ford spaltet das Trio, zeigt Travis und Sandy in einer Zweiereinstellung und Wiggs allein, denn die Gemeinschaftsbildung ist ein nicht abgeschlossener Prozess). Man hört Gitarrenklänge. Mitten in der Wüste sitzt, die Beine breit, eine junge Frau in einem schulterfreien Glitzerkleid und zupft auf ihrem Instrument herum. Joanne Dru als Denver ist in den über hundert Filmen von John Ford wahrscheinlich die Frau, die am unverstelltesten ein sexuelles Wesen ist, und zwar ganz ohne Rechtfertigungsdruck. Für einen Western, der im Vorfeld der an Prüderie kaum zu übertreffenden Eisenhower-Zeit entstand, ist das bemerkenswert. Einmal sagt Denver, dass sie sich für das, was sie tut, nicht schämen muss. Der Film sieht das genauso. In Wagon Master werden alle genommen, wie sie sind und nach ihrem Verhalten beurteilt, nicht nach ihrem Status. Denver ist eine Prostituierte wie Dallas, die am Anfang von Stagecoach aus der Stadt geworfen wird und am Ende ein neues Leben mit John Wayne beginnt. Wer unbedingt will, kann bei der von der Zensur erzwungenen Konvention bleiben und die Medicine Show von Dr. A. Locksley Hall als "verirrte Schauspieltruppe" bezeichnen wie der Wikipedia-Artikel zu "Westlich St. Louis" (deutscher Verleihtitel). Denver wäre dann ein Showgirl.

Wagon Master

Alan Mowbray spielt den Dr. Hall als Neuauflage des Shakespeare-Rezitators und Schmierenkomödianten Granville Thorndyke (My Darling Clementine), verkauft jetzt allerdings Schlangenöl, Haarwuchsmittel sowie andere Elixiere und bietet medizinische Dienstleistungen wie Zähneziehen an. Seine Partnerin, Miss Fleuretty Phyffe (der Stummfilmstar Ruth Clifford), ist auch schon etwas älter, Mr. Peachtree (Fords Bruder Francis) schlägt die große Trommel, und Denvers Aufgaben dürften sich kaum darauf beschränken, die Kunden zum Kauf von Schlangenöl zu animieren. Das massive Bett, auf dem Dr. Hall in seiner Freizeit ruht, ist Denvers Arbeitsplatz. So machte man das in Zeiten des von den Scheinheiligen verordneten Production Code: Man stellte gewisse Requisiten vor die Kamera, um die gewünschten Assoziationen zu wecken. Der Hure gab man gern den Namen einer Stadt, um zu signalisieren, dass sie viele Leute kennt, also eine Frau mit vielen Freiern ist. Nur zu direkt durfte es nicht sein. Denver auf dem Bett hätten die Zensoren herausgeschnitten.

Wagon Master

"Horses", lallt Dr. Hall. Ford zeigt uns im Gegenschnitt die Pferde von Sandy und Travis und lässt ein paar Einstellungen folgen, in denen Travis Denver Feuer gibt (die Zigaretten verwahrt sie im Dekolleté). Travis und Denver, heißt das, sind ein angehendes Liebespaar (oder potentielle Partner beim Geschlechtsverkehr). Im vom Production Code regierten Hollywood war das Zigarettenanzünden sexuell konnotiert, und auch die Pferde werden dabei eine Rolle spielen. Denver muss husten und sagt zu Travis, dass er einer Dame einen Drink anbieten könnte. Auf dem Boden liegt eines von Dr. Halls Elixieren. Travis nimmt die Flasche widerwillig auf und hält sie Denver vor die Nase. Typisch Tingeltangel, denkt man sich mit ihm. Alle in Dr. Halls Truppe sind total besoffen. Aber dann schlägt Denver Travis die Flasche aus der Hand, verlangt Wasser und fällt ihm ohnmächtig in die Arme (mit dem Ausschnitt in Richtung Kamera).

Man kann hier lernen, wie man mit anderen Leuten umgehen sollte. Nicht Vorurteile sind gefragt, sondern genaues Hinsehen und die Überlegung, was das Beobachtete zu bedeuten hat. Die "Schauspieler" haben sich nicht verirrt wie im Wikipedia-Artikel. Sie wurden von besorgten Bürgern aus Crystal City verjagt wie die Mormonen und haben ihre Zugtiere verloren. Die Wasservorräte sind aufgebraucht, darum müssen sie seit Tagen das alkoholhaltige Elixier trinken. Es ist Wiggs, die toleranteste Figur im Film, der das als erster erkennt und die anderen auffordert, den Verdurstenden endlich Wasser zu geben. Dem schließt sich eine Lektion in christlicher Nächstenliebe an.

Schlampen und Muschis

Wiggs ist ein so sympathischer Charakter, weil er früher, bevor er Mormone wurde, ein Sünder war und nicht vergessen hat, wie das gewesen ist. Dr. Hall, teilt er seinen Brüdern und Schwestern mit, will nach Kalifornien und betreibt das, was er, Wiggs, in seinen Sündertagen eine "Hoochie Coochie Show" genannt hätte. Wie das durch die Zensur kam weiß ich nicht. Hoochie ist ein umgangssprachliches Wort für "Schlampe", coochie für "Muschi". Dr. Hall sitzt zwischen Miss Fleuretty und einem schwarzbestrumpften Bein von Denver (mit Stöckelschuh), schrickt kurz auf, als er das hört und lüftet dann den Zylinder, weil man als Gentleman mit Stil und Würde stets die Form wahrt.

Die Frage ist jetzt, was man mit der Schlampenmuschishow machen soll? Denver nimmt eine provokante Stellung ein, während das verhandelt wird, und Wiggs muss erklären, dass Miss Fleuretty nicht mit Dr. Hall verheiratet und Denver nicht dessen Tochter ist. Jetzt ist alles klar, sagt Bruder Perkins. Solche Leute wollen wir bei uns nicht haben - weil sie nicht nur besoffen sind, ist gemeint, sondern auch noch in Sünde leben. Das denkt ausgerechnet ein Mormone, den die braven Bürger von Crystal City soeben aus ihrer Stadt geworfen haben, weil sie dachten, dass er einen Harem hat. Die Moral ist doch sehr relativ und hängt von der Perspektive ab. Die Mormonen, könnte man sagen, sind auch nur Christen.

Wagon Master

Gott, wendet Wiggs ein, habe sich bestimmt etwas dabei gedacht, als er beschloss, dass die Mormonen diesen Leuten begegnen sollten. Der Herr verschwende seine Energien nicht für Sachen, in denen kein tieferer Sinn verborgen sei (im Hintergrund das große Bett von Dr. Hall). Darum stehe es ihm, Wiggs, nicht zu, den Herrn zu kritisieren und seinen Willen zu missachten. Perkins hat dagegen kein Argument. Damit ist das abgemacht. Das Quartett um Dr. Hall darf bleiben, solange der Weg nach Kalifornien derselbe ist wie der zum San Juan. Sister Ledeyard bläst bekräftigend in ihr Horn und Mr. Peachtree haut auf seine Trommel, weil die Musik (die Kultur, auch wenn sie einem noch so schräg erscheint) ein verbindendes Element ist, und ein Pfeifenspieler mit Armeehose und Holzbein gesellt sich dazu, damit wir wissen, was die Alternative wäre. Politikern der C-Parteien, die glauben, sich beim rechten Rand anbiedern zu müssen, möchte ich diese schöne Szene genauso ans Herz legen wie den Pegidisten, die durch Dresden marschieren, um das christliche Abendland zu retten. Wiggs hat es relativ leicht, die Mormonen zurück auf den rechten Weg zu führen, weil seine Brüder und Schwestern zwar gelegentlich vergessen, was in der Bibel steht, diese aber sehr wohl gelesen haben. Bei manch einem, der jetzt das Christentum verteidigt, indem er die christliche Nächstenliebe für Nicht-Christen abschafft, bin ich mir da nicht so sicher.

Wagon Master

Allen Freunden des Grenzzauns sei neben der Lektüre des Neuen Testaments auch das Studium der Filmminute empfohlen, die Ford dem Marsch durch die Wüste widmet. Frauen, Männer, kleine Kinder gehen zu Fuß in das Land, von dem sie sich das Paradies versprechen, im Off singen die Sons of the Pioneers ihr ebenso monotones wie geduldiges "Rollin’ west, rollin’ west, rollin’ west …" dazu, und jede Einstellung macht deutlich, dass diese Menschen nichts aufhalten wird, weil sie ein festes Ziel vor Augen haben und sie von sozialen und natürlichen Kräften vorangetrieben werden, fast so, als wäre das eine biologische, den Menschen mit den Elementen verschmelzende Funktion. Die Wanderungsbewegung, sagt Massimo Livi Bacci, Autor der Kurzen Geschichte der Migration, sei ein physiologischer Faktor der menschlichen Gesellschaft. Wagon Master macht nachvollziehbar, was darunter zu verstehen ist.

Wagon Master

Natürlich ist es nicht immer einfach, Fremde bei sich aufzunehmen. Manchmal machen sie Dinge, über die man nur den Kopf schütteln kann. Dr. Hall beispielsweise ist sich keiner Schuld bewusst, als er eine Schüssel vom streng rationierten Wasser für seine tägliche Rasur abzweigt (jede Wette, dass er zur Weiterreise nach Kalifornien ein Taxi nehmen würde, wenn eines zur Verfügung stünde). Travis nimmt ihm das Wasser weg, und Ford gelingt es, dem Doktor, diesem Außenseiter unter den Außenseitern, seine Würde zu belassen, weil Travis immer höflich bleibt, statt ihn auszuschelten wie ein kleines Kind und der strenge Bruder Perkins, für den das Wasser nun besudelt ist, den Inhalt der Schüssel wütend auskippt. Wer ist da wohl kindischer? Wagon Master ist auch deshalb ein so wunderbarer Film, weil da niemand infantilisiert wird, indem man ihn auffordert, seine "Hausaufgaben" zu machen und dergleichen. Wer auf dem hohen Ross sitzt fällt alsbald herunter.

Mit Pferden und anderen Tieren geht es zweiten und letzten Teil:
Chuckawalla Swing: Zwischen Schlange und Leguan

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