Wie der Terrorismus die Zivilisation bedroht die Piraterie die Kultur

Ein von der spanischen EU-Präsidentschaft organisiertes Seminar über die "Verteidigung des geistigen Eigentums" kommt zu dramatischen Warnungen und fordert EU-weite Maßnahmen gegen Piraterie

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Während eines zweitägigen Treffens von 230 Vertretern der Contentindustrie aus 30 europäischen Ländern ging es wieder einmal um die angeblich bedrohlich weiter anschwellende "Epidemie" des Raubkopierens und die Notwendigkeit zu deren Bekämpfung. Gefordert wurden auf dem von der spanischen Regierung, die derzeit die EU-Präsidentschaft innehat, organisierten Seminar "Die Verteidigung des geistigen Eigentums" europaweit einheitliche Regelungen und schärferes Vorgehen gegen die Piraterie. Angeblich kostet die digitale Piraterie in Europa jährlich 100.000 Arbeitsplätze.

Das Klagen über die Raubkopierer vornehmlich im Internet gehört mittlerweile schon zur feststehenden Rhetorik. Gewarnt wird von der Contentindustrie, die sich und ihre Profite möglichst hinter Burgmauern verteidigen will, anstatt Schritte auf einen veränderten Markt zu machen, nicht nur vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Branche, sondern gerne auch vor dem Untergang der Kultur. Dazu werden drohend gewaltige Verluste an die Wand gemalt, um die Politiker zum Handeln zu nötigen. Angeblich würden weltweit jährlich über 16 Milliarden Euro Verluste durch Raubkopierer entstehen (wobei vermutlich die geschätzte Zahl an Raubkopien insgesamt als Verlust gerechnet wird, als ob sonst jede Raubkopie zu egal welchem Preis auch erworben worden wäre). Unterschiedslos scheint man auch Menschen, die für private Zwecke Kopien herstellen, mit Raubkopierern, die auf Geschäfte aus sind, in einen Topf zu setzen.

Schon der Titel der Veranstaltung lässt vermuten, dass hier eher nicht kreativ darüber nachgedacht wurde, wie Angebote veränderten Markt- und Distributionsbedingungen angepasst werden könnten, sondern dass das freie Unternehmertum der Großkonzerne sich lieber an den Staat halten wird, um die angestammten Pfründe zu verteidigen und ansonsten alles beim Alten zu lassen. Appelliert wurde denn auch an die Menschen da draußen und ihr Gewissen, um gegen das Phänomen der kostenlosen Aneignung anzugehen, als ob die Gewinnerwartungen der Konzerne reiner Menschenfreundlichkeit entspringen würden. In der Abschlusserklärung heißt es etwa, dass die meisten Menschen in der EU über das "alarmierende" Ausmaß der Piraterie nicht Bescheid wüssten, da sich diese der digitalen Revolution und "dem häufigen Einsatz von Minderjährigen und Immigranten in diesem illegalen Handel" verdanke. Das ist bestenfalls eine seltsame Begründung.

Alain Levy von EMI Music behauptete, dass 40 Prozent aller CDs und ein Fünftel aller Kassettenbänder, die verkauft würden, Raubkopien seien. Das wären insgesamt 1,9 Milliarden Datenträger mit einem Wert von 4,3 Milliarden Euro. Die Branche setze in Europa jährlich 12 Milliarden Euro um, beschäftige 600.000 Menschen und erzeuge ein Steueraufkommen von 1,9 Milliarden Euro.

Man muss bei der Waage auf die eine Seite das Extrem des "armen Einwanderers", den Mantero, setzen und auf die andere Seite den reichen Künstler, der im Privatjet reist und in einer Villa lebt. Der Kunde tendiert letztlich zum "armen Schlucker". Wenn wir nicht imstande sind, die Werte zu verändern und zu denken, dass der arme Schlucker nichts anderes als ein Opfer der Mafia ist, werden wir nicht vorankommen.

Der Staatssekretär Miguel Cortes versuchte ein wenig auszugleichen.

Auch der spanische Justizminister Angel Acebes drückte fest aufs Gas und sagte zur Eröffnung, dass Verbrechen gegen geistiges Eigentum und Copyright "unsere Kultur selbst gefährden, einen der Grundpfeiler, auf dem wir die Europäische Union errichten". Die Verantwortlichen für den "gemeinsamen Angriff" auf Urheberrechte seien organisierte Verbrechernetzwerke. Auf die Bedrohung müssten die Gesellschaft und die Behörden "unmittelbar reagieren", da man kein Europa bauen könne, "in dem es Grenzen nur für die Polizei, aber nicht für die Kriminellen gibt".

Und der Staatssekretär des Justizministeriums, Ramón de Miguel, fügte hinzu, dass Raubkopien den Verlust von jährlich 100.000 Arbeitsplätzen mit sich bringen würden. Die Verletzung der Urheberrechte sei "epidemisch" geworden: "Sie trägt zur Ausbeutung der Menschen bei, zerstört Arbeitsplätze und vertreibt diejenigen, die unsere Kultur schaffen und produzieren." Piraterie würde eines der größten Probleme des EU-Binnenmarktes darstellen. Jesús Espigares, der Präsident von Interpol, versprach auch gleich seine Unterstützung für eine Zusammenarbeit mit Europol bei Urheberrechtsverletzungen. Francisco Mingorance von der Business Software Alliance hingegen äußerte die Befürchtung, dass mit der Aufnahme weiterer Länder in die EU alles noch schlimmer werden würde.

Levy von EMI schlug der EU gleich die geeigneten Mittel zur Eindämmung der Piraterie vor: Ausbau der Schnellgerichte, die Möglichkeit für die Polizei, die beschlagnahmten Gegenstände zu zerstören, die Verschärfung der Gefängnisstrafen von drei auf vier Jahren und die Einrichtung von Spezialeinheiten bei der Polizei.

Als "offizielle" Empfehlungen des Seminars zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen wurden die Einführung einer europäischen Richtlinie auf der Basis einer einheitlichen Definition des Vergehens gegen Urheberrechte, die Erweiterung der Befugnisse von Europol und Eurojust sowie die Möglichkeit einer schnelleren Auslieferung sowie eines europaweiten Haftbefehls gegeben. Eingerichtet werden sollte ein europäisches Beobachtungsstelle zur Koordination der Bekämpfung der Urheberrechtsverletzungen. Überdies wurden mehr Trainingsprogramme zum Schutz des geistigen Eigentums für Polizisten und Justizangehörige gefordert. Und die Menschen müssten stärker auf das Problem der Raubkopien als "Angriffe auf die Kultur" aufmerksam gemacht werden, schließlich sei es die breite Bevölkerung, die durch Raubkopien zum Loser werde.

Insgesamt erinnert man sich bei all dem an die Rhetorik, mit der der Krieg gegen den Terrorismus geführt wird. Greift der Terrorismus die Zivilisation an, so der Raubkopierer die Kultur. Und Begriffe wie Raubkopierer oder Piraterie erschienen den in Madrid Versammelten zu vage, um die Gefährdungsdimension plastisch vor Augen zu führen: "Wir sollten hingegen beginnen, von diesem Phänomen als wirkliche Verletzung der Rechte an geistigem Eigentum zu sprechen." Ob das aber mehr Erfolg zeitigen wird?