Wie die Nato neue globale Regeln schafft
Seite 3: Libyen-Intervention als responsiblity to protect
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Die mangelnde Aufmerksamkeit mag auch daran liegen, dass dieses Interventionsmodell bereits bekannt war und praktiziert wurde. Denn schon 2011 hatte die Nato in Libyen in die Auseinandersetzung von Rebellen mit Gaddafi eingegriffen. Auf der Seite der Nato waren es vorwiegend die USA, Frankreich und Großbritannien. Die Rebellen wurden von der Libyen Islamic Fighting Group (LIFG), einer islamistischen Organisation angeführt.
Die Proteste hat Gaddafi im Februar 2010 mit Gewalt niederschlagen lassen und damit einen Bürgerkrieg entfacht. In einer ersten Resolution 1970 verhängte der Sicherheitsrat am 26. Februar zunächst nur Sanktionen gegen die Regierung Gaddafis. Als die Kämpfe eskalierten, verschärfte der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1973 am 17. März 2010 die Sanktionen und ermächtigte die Mitgliedstaaten, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Zivilpersonen zu schützen".
Zudem verfügte er eine Flugverbotszone und untersagte den Einsatz ausländischer Besatzungstruppen. Das war der Startschuss für eine "Koalition der Willigen" mit Angriffen gegen die Luftverteidigung der Regierung. Ende März übernahm die Nato unter Führung von Frankreich und Großbritannien die Operation.
Die Nato hatte damit eindeutig Partei ergriffen für die Rebellen und schon bald das Mandat der Sicherheitsrats überschritten. Denn bereits im April erklärten die drei Regierungen den "Regime Change" zum offiziellen Kriegsziel.10 Sie lieferten Kriegsmaterial an die Rebellen und unterstützten sie durch Ausbildungspersonal und den Einsatz von Spezialkräften zur Zielerkennung. Die militärische Intervention wurde erst mit der Ermordung Gaddafis im Oktober 2011 eingestellt.
Dies alles lief unter der PR-Devise der sog. Schutzverantwortung, der responsibility to protect, um die Intervention humanitär zu verbrämen. Dieses Konzept war erst vor einigen Jahren in der Uno entwickelt worden, ermächtigt aber die Mitgliedstaaten zu keinen militärischen Schritten außerhalb der vom Sicherheitsrat erteilten Mandate.
Deutschland hatte sich, genauso wie die Bric-Staaten Russland, China, Indien und Brasilien, der Stimme enthalten. Außenminister Westerwelle war damals von den Medien heftig gescholten worden. Er hatte vor den Konsequenzen der militärischen Parteinahme gewarnt, die dramatisch sein könnten.
Joschka Fischer teilte großspurig aus, Westerwelle habe das "vielleicht größte Debakel seit Gründung der Bundesrepublik" angerichtet. Der Gescholtene behielt leider Recht. Die Nato hat in Libyen ein Chaos angerichtet, das bis heute das Land paralysiert.
Nato im Ukraine-Krieg
Blicken wir zum Schluss noch kurz auf den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine. Politik und Medien ist es offensichtlich gelungen, die eigene Verantwortung der Nato für die Eskalation der Beziehungen zwischen ihr und Russland, die schließlich zum Krieg führen musste, aus der Öffentlichkeit zu halten.
Natürlich müssen wir die völkerrechtswidrige Intervention und den Krieg der russischen Armee verurteilen. Sie sind genauso wenig akzeptabel wie all die Interventionen der USA und der Nato, die wir bisher verurteilt haben. Die aktuellen Anstrengungen etlicher Nato-Staaten, die Ukraine in ihrer Verteidigung zu unterstützen, möchten zwar nicht als Kriegsbeteiligung wahrgenommen werden, was sie aber sind.
Die Lieferung schwerer Waffen mit einer umfangreichen Ausbildung der Soldaten am Gerät und die offensichtlichen elektronischen Hilfen der USA zur Identifizierung und Eliminierung ausgewählter Opfer und Kriegsmaterial (Schlachtschiffe) überschreitet eindeutig das Neutralitätsgebot im Krieg. Sie lassen sich als kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 Uno-Charta rechtfertigen, müssen aber dem Uno-Sicherheitsrat gemeldet werden.
Zudem ermöglichen sie Russland, militärisch zu reagieren und die Staaten anzugreifen. Das ist eine äußerst gefährliche Situation, vor der vielfach, aber bisher vergeblich gewarnt wird, weil sie in einen dritten Weltkrieg abgleiten kann. Ihren Plan, auch die Ukraine und Georgien als Protektorate in ihr Nato-Reservat einzugliedern, haben die Staaten nicht aufgegeben.
Fassen wir zusammen: Die Nato hat sich von einem strikten Verteidigungsbündnis zu einer weltweit operierenden Ordnungsmacht mit überlegener militärischer Feuerkraft entwickelt. Die faktische Dominanz der USA in diesem Bündnis hat nicht nur dazu geführt, dass die anderen Staaten als "Vasallen" (Brzezinski) den Ordnungsvorstellungen und militärischen Abenteuern der USA folgen, sondern dass sie sich auch dem Völkerrechtsnihilismus der US-Regierung angepasst haben nach dem Motto: Völkerrecht, wenn möglich, Krieg wenn nötig. Die Frage ist also nicht, wo bleibt das Völkerrecht, sondern, wohin mit der Nato?