Wie die Ukraine-Solidarität Putin in die Hände spielt

Seite 2: Wie deutsche Justiz und Polizei Putin helfen

Der Tag der Befreiung vom NS-Regime – oder eben der Tag der Niederlage, wie ihn weniger demokratisch gesinnte Zeit- bis Volksgenossen nennen – wurde in der Bundeshauptstadt Berlin von einem seltsamen Flaggenstreit begleitet. Dem Disput lag ein skurriles Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichtes zugrunde, das von der Polizei auf noch skurrilere Weise umgesetzt wurde.

Die Sache könnte nun als Berliner Provinzpose abgetan werden, wenn sie nicht einen ernsten Hintergrund hätte. Doch der Reihe nach.

Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine waren erst ukrainische und russische Fahnen verboten, die Symbole der Konfliktseiten also. Die Berliner Polizei wollte so verhindert, dass sich Vertreter der Kriegsparteien beim Weltkriegsgedenken an den Ehrenmalen für die Rote Armee in die Haare bekommen.

Dann aber wurde die ukrainische Fahne erlaubt und die russische verboten. Doch nicht nur das: Untersagt war auch die Fahne der Sowjetunion – rot, bekanntlich, mit Hammer und Sichel. Zur UdSSR kann und sollte man im Jahr 2023 ein kritisches Verhältnis haben. Dass damit aber das zentrale Symbol der Anti-Hitler-Koalition mit den meisten zivilen und militärischen Opfern von Justiz und Sicherheitsorganen der Hauptstadt der Täter verboten und einkassiert wird – das kann nicht ohne Widerspruch stehen bleiben.

Dazu trägt auch die Umsetzung bei. Weil die Einsatzkräfte an den Berliner Ehrenmalen, allen voran dem Komplex im Treptower Park im Osten der Stadt, wenig differenziert vorgingen, wurden gleich auch andere rote Fahnen linker europäischer Parteien einkassiert, die überdies Nachfolger derjenigen sind, die Widerstand gegen die Angriffskrieger der deutschen Wehrmacht geleistet haben, die griechischen Kommunisten etwa.

Dass 2023 Fahnen von Widerstandsgruppen und ihren Nachfolgern in Berlin heruntergerissen werden, ist Ausdruck der ideologischen Zäsur, die sich – über den rhetorischen Umweg der Ukraine-Solidarität – Bahn bricht: Mit der Front gegen Putins Russland kann endlich, wenn auch posthum, mit der Sowjetunion abgerechnet werden. Die staatlich geförderte wie geforderte Ukraine-Solidarität, die durch die Flaggenurteile durchschimmert, führt damit gewollt oder ungewollt zu einem politischen Ergebnis, das den Ewiggestrigen der letzten fast 80 Jahre Freudentränen in die Augen getrieben hätte.

Aber es geht noch bizarrer: Das Verbot der Fahne der sowjetischen Befreier kommt dem obersten Angriffskriegsherrn Wladimir Putin gerade recht. Denn während in Berlin Polizistinnen und Polizisten historische rote Fahnen herunterrissen und auf den Boden ihrer Mannschaftswagen warfen, inszenierte sich Putin gut 20 Autostunden östlich, in Moskau also, als Nachfolger der antifaschistischen Roten Armee.

Man kann zu dem Schluss kommen, dass sich die deutsche Justiz und Polizei unter dem moralischen Druck, der die Ukraine-Debatte bestimmt, zu willigen Propaganda-Vollstreckern Putins haben machen lassen.

Das Argument, der Angriffskrieg Russlands könne nicht ignoriert werden, könnte gelten, wenn alle Angriffskriege entsprechend geahndet würden und worden wären; denn das nach den Schrecken des Hitlerfaschismus etablierte Völkerrecht ist eben universell oder gar nicht. Wo aber war das US-Fahnenverbot während des verlogenen und geradezu völkermörderischen Irak-Krieges? Argument entkräftet.

Es kursiert die These, vor allem die USA versuchten, Russland durch die Expansionspolitik der NATO zu schwächen, die zum Angriff auf die Ukraine beigetragen habe. Zumindest was die identitätsstiftende und damit politikgestaltende Erinnerungskultur betrifft, ist schon jetzt klar, dass ein tiefer Keil in die postsowjetische Gemeinschaft getrieben wurde.

Ein gemeinsames Erinnern der einstigen Waffenbrüder (und -schwestern) gegen Hitler wird es nicht mehr geben. Auch das ist eine historische Zäsur.

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