Wie kommt die Internetsperre in ein Gesetz zum "nachhaltigen Wirtschaften"?
Wieder einmal hat eine spanische Regierung vor, die Sperre von Websites durch die Hintertür zu drücken
Am Mittwoch hat der sozialistische Ministerpräsident in Spanien sein Gesetz für eine nachhaltige Wirtschaft vorgestellt. Zuvor rieben sich die Netizen aber erstaunt die Augen, weil im letzten Entwurf plötzlich eingefügt war, dass eine Behörde ohne richterliche Anordnung Websites schließen kann. Das ist nicht neu. Mehrfach haben die Sozialisten versucht, die behördliche Internetzensur versteckt in irgendwelchen Gesetzen durchzumogeln. Erneut wurden sie ertappt. Im Parlament vereint sich eine Oppositionsfront von ganz links bis ganz rechts, um das Projekt zu kippen.
Die Netizen haben schon lange aufgehört darauf zu warten, dass die Sozialisten (PSOE) in Spanien ihr Wahlversprechen einlösen und das einst schwer umkämpfte Kontrollgesetz für das Internet (LSSI) kippen (Spanien: Mit Spam gegen Kritisches im Internet). Das Gesetz der ultrakonservativen Volkspartei (PP) war 2002 nach heftigem Widerstand nur noch abgeschwächt in Kraft getreten (Umstrittenes spanisches Internetgesetz in Kraft). Anstatt das LSSI zu schleifen, wie die PSOE einst versprach, hat sie stattdessen in gut fünf Jahren an der Regierung mehrfach versucht, es deutlich zu verschärfen. Endlich sollte das möglich werden, was einst die PP nicht durchsetzen konnte.
So tauchte am Freitag nach der Kabinettsitzung doch plötzlich im letzten Entwurf des "Gesetzes für eine nachhaltige Wirtschaft" wieder der Versuch auf, unter Umgehung der Justiz Webseiten auf behördliche Anordnung zu sperren. Wurde im Anhang des LSSI unverbindlich von der Möglichkeit gesprochen, eine "zuständige Behörde" dürfe Webseiten sperren, wird nun in dem Unterpunkt "e", der in den Artikel 8.1. eingefügt wurde, offen von einem "kompetenten Organ" gesprochen, das zur Zensur ansetzen dürfe. Das Organ wird im Artikel 158 als "Kommission für geistiges Eigentum" definiert, das im Kultusministerium gebildet werden solle.
Die Vorgehensweise ist bekannt und damit ist die einst von Telepolis gestellte Frage beantwortet, ob es sich nur um die übliche Konfusion innerhalb der PSOE handele oder ob tatsächlich eine Zensurbehörde eingeführt werden solle (Konfusion oder Zensur?). Nun weist sogar die den Sozialisten positiv gesonnene Zeitung Público mit vielen Artikeln auf die "versteckte" Reform Reform hin. Die Zeitung titelte, damit werde die "Tür zur Zensur des Internets geöffnet".
Woran in diesen Artikeln nicht erinnert wird, ist die Tatsache, dass die Vorgehensweise und der Inhalt nicht neu sind. Schon vor zwei Jahren wurde mit einer Reform versucht, Autorenvereinigungen und anderen Organisationen faktisch das Recht zu verschaffen, als Zensoren aufzutreten. Sie sollten den Providern vorschreiben können, so ein ebenfalls heimlich eingefügter Passus, so genannte illegitime Inhalte ohne richterliche Kontrolle von den Servern zu entfernen oder sie zu blockieren (Streit um Kopiergebühr und Internetzensur hält in Spanien an).
Erneut versuchte die PSOE also, die sich in der Opposition noch als Verteidiger der Freiheitsrechte aufspielte, eine öffentliche Debatte zu verhindern. Nun trachtet sie danach, diesen massiven Eingriff in Grundrechte sogar in einem Krisengesetz zu tarnen. Was die Sperrung von Webseiten in einem Gesetz zu suchen hat, mit dem das Land aus der tiefen Wirtschaftskrise geführt werden soll, in die Spanien immer tiefer versinkt, muss das Geheimnis der Sozialdemokraten bleiben.
Wie schon zuvor war auch die Reaktion aus dem Internet ähnlich massiv. Auf weit über 100.00 Webseiten wurde ein Manifest gegen die "Einschränkung der Meinungsfreiheit" veröffentlicht und diskutiert. Darin heißt es: "Die Autorenrechte können nicht über die Grundrechte der Bürger gestellt werden." Genannt werden die Rechte auf die Privatsphäre und die Sicherheit, die Unschuldsvermutung, die Meinungsfreiheit und einen effektiven juristischen Schutz. Es dürfe "nicht eine Schließung ohne Urteil" geben. Die Beschneidung von Grundrechten muss eine exklusive Kompetenz der Justiz bleiben. "Dieser Gesetzesentwurf, entgegen dem, was in Artikel 20.5 der Verfassung festgelegt ist, legt in ein nichtjuristisches Organ – das dem Kultusministerium untersteht – die Gewalt den spanischen Bürgern den Zugang zu Webseiten zu unterbinden".
Zahlreiche Filmemacher, Journalisten und Musiker haben das Manifest unterzeichnet. Der Präsident der Filmakademie, Álex de la Iglesia, forderte zum Beispiel "Alternativen", damit Filme und Musik bezahlt aus dem Internet herunter geladen werden können, bevor eine "Tür geschlossen wird, die schon zum Leben vieler Menschen gehört". Ähnlich einsam wie im Netz blieb die Regierung auch gestern im Parlament mit ihren fragwürdigen Vorstößen. Dass die Kultusministerin Ángeles González-Sinde gebetsmühlenhaft betont, niemandem solle das Internet gesperrt werden, ändert daran nichts, weil der geplante Eingriff viel gravierender ist.
Erstaunlich war gestern im Parlament die Breite der Ablehnungsfront, die von ganz links bis ganz rechts reichte. Die Kritik an solchen Vorstößen von linken und nationalistischen Parteien ist nicht neu, doch nun wettern selbst die Ultrakonservativen gegen das Gesetz. Ausgerechnet der PP-Sprecher für Kommunikation, Esteban González Pons, warf der Regierung vor, eine "Kulturpolizei" einführen zu wollen, und sprach vom "Big Brother" des Internet. Dabei war es doch die PP, die mit dem LSSI die Tür für eine breite Kontrolle des Internet aufgestoßen hat. Auch sonst hat sie für viele gesellschaftliche Fragen meist nur Verbote und Einschränkungen im Repertoire. Eine Partei, welche die Abtreibung wie in der Diktatur wieder unter Strafe stellen will, die gegen die Homoehe wettert, sich von Putsch und Diktatur nicht distanziert, sich gegen die Rehabilitierung der Opfer stellt und die universelle Gerichtsbarkeit in Spanien mit abgeschafft, kann kaum die Rolle als Verteidiger von Freiheitsrechten abgenommen werden.
Vielmehr nutzt die PP auch diese Frage nun, um die in der Wirtschaftskrise versagenden Sozialdemokraten um den schwer angeschlagenen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero weiter zu schwächen. Sie wittert nach den Wahlniederlagen der PSOE Morgenluft. Allerdings führt die Ablehnung der PP nun dazu, dass die PSOE, die keine eigene Mehrheit im Parlament hat, keine Partner hat, um das Gesetz durchzubringen.
Wie dramatisch die Lage für Zapatero ist, zeigt sich auch daran, dass er den Konservativen sogar einen definitiven Ausstieg aus dem offiziellen Atomausstieg anbietet: "Die Position der Regierung ist offen für den Dialog und für Veränderungen", warf Zapatero der PP als Angebot zu. Bisher bietet er derzeit die Laufzeitverlängerung der Meiler als "außerordentlich" an. Dabei hatte er, womit das Ausstiegsversprechen längst gebrochen wurde, erst kürzlich die Laufzeit des uralten Pannenreaktors Garoña auf 42 Jahre verlängert. Nun hält er der PP offiziell den Ausstieg aus dem Ausstieg als Zuckerchen vor die Nase, um ein fragwürdiges Gesetz für ein nachhaltiges Wirtschaften mit Internetzensur durch die Hintertür durchs Parlament bringen zu können.
Tatsächlich würde genau die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke die Nachhaltigkeit sogar weiter untergraben. Spanien weiß schon jetzt oft nicht, wohin mit dem vielen Strom aus Erneuerbaren Energien. Vor allem Windanlagen müssen immer öfter abgeschaltet werden, weil das Netz den Strom nicht mehr aufnehmen kann. Bis 2014 könnten knapp 5 % sauberer Energie einfach verloren gehen, weil nicht auf Nachhaltigkeit umgestellt wird.
Dass auch die Nutzung der nationalen Kohle festgeschrieben werden soll, noch so eine Dinosauriertechnologie die kaum regelbar ist und damit zur Abschaltung von sauberen Strom führt, widerspricht ebenfalls den Klimazielen und einem nachhaltigen Wirtschaften. Die Konkurrenzwächter (CNC) in Madrid rechnen der Regierung vor, dass sich zudem dadurch die Stromrechnung für die Familien um 9 % verteuern wird..
Wie hunderttausende Familien das bezahlen sollen, die schon jetzt keinerlei Einkommen (http://www.heise.de/tp/blogs/8/144088) haben, bleibt auch ein Geheimnis der Sozialdemokraten. Dazu kommt, so rechnet die Energieaufsichtsbehörde Zapatero vor, dass der Ausstoß des Treibhausgases CO2 durch die Förderung der Kohle um 20 % zunehmen wird. Dabei waren die Kohlekraftwerke die größten Dreckschleudern, die 2007 nach einer Studie 70 Millionen Tonnen CO2 abbliesen und damit alleine für fast 16 % des Treibhausgases verantwortlich waren. Das führte auch dazu, dass Spanien sich immer weiter von den Kioto-Zielen entfernte und an der Spitze beim Verstoß gegen die eingegangenen Klimaverpflichtungen steht.
Es macht sich wohl einfacher, Kneipiers und Unternehmen vorzuschreiben, die Räume im Winter nicht über 21 Grad zu heizen und im Sommer nicht unter 26 Grad zu kühlen, um sich einen grünen Anstrich zu verpassen. Statt Dreckschleudern und gefährliche altersschwache Atomkraftwerk abzuschalten, werden lieber saubere Windkraftanlagen vom Netz genommen. Wie sich das damit verträgt, dass in dem neuen Gesetz in den nächsten zehn Jahren weitere 20 Milliarden Euro angeblich in ein neues Wirtschaftsmodell investiert werden sollen und auch die erneuerbaren Energien weiter gefördert werden sollen, ist rätselhaft. Aber es macht sich vor dem Klimagipfel in Kopenhagen allemal gut, wenn die Vizeregierungschefin María Teresa Fernández de la Vega im Umweltschutz eine Chance für Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen sieht.