Wie realistisch ist eine allgemeine Corona-Impfpflicht überhaupt noch?

Seite 4: Alternative Verantwortlichkeit

Eine Alternative zur umstrittenen Impfpflicht könnte somit sein, die Entscheidungen erwachsener Menschen für oder gegen eine Impfung ernst zu nehmen. Und für die Individuen würde das bedeuten, Verantwortung für seine Entscheidungen zu übernehmen.

Wichtig ist, hier keine soziale Selektion vorzunehmen. Das wäre dann der Fall, wenn bestimmte Präventions- oder Impfmaßnahmen nur für wohlhabendere Menschen zur Verfügung stünden. Das ist bei den Impfstoffen aber in der Regel nicht der Fall: Diese sind frei verfügbar, auch wenn es nach Alter und Gesundheit (Beispiel Vorerkrankung) zu einer Priorisierung kommen kann.

Wir sind moralische Subjekte, weil wir einander als solche anerkennen. Im Rechtsstaat und aufgrund der Menschenwürde behält selbst derjenige einigen grundrechtlichen Schutz, der schwere Verbrechen begeht und damit grundlegende Interessen anderer Personen verletzt.

Übertragen aufs Gesundheitssystem könnte das bedeuten: Auch jemand, der prinzipiell gegen gesundheitsschützende Maßnahmen wie Impfungen ist, bekommt eine Grundversorgung. Eine Maximalbehandlung wäre dann aber, bei begrenzten Ressourcen, erst einmal denjenigen vorbehalten, die sich an die Spielregeln des Gesundheitssystems halten.

Das könnten neben Impfungen auch bestimmte Kontrolluntersuchungen sein. So würde auch die höhere Sterblichkeit unter Männern reduziert, die seltener zum Arzt gehen oder häufiger erst dann, wenn es schon zu spät ist.

Voraussetzung für ein solches Modell wäre ein großes Vertrauen in die Institutionen des Gesundheitssystems. Beispielsweise dürften Gewinninteressen privater Akteure oder großer Unternehmen deren Arbeit nicht beeinflussen. Entscheidungen müssten transparent und nachvollziehbar sein, Geheimverträge vermieden werden.

Letztere geraten irgendwann doch an die Öffentlichkeit und dann ist das Entsetzen groß. Bei Verträgen mit Impfstoffherstellern ist das in der Coronapandemie tatsächlich so passiert.

Wer ein solches Modell heute noch für unrealistisch hält, der möge sich einmal die demografische Entwicklung anschauen: Zwar gibt es immer technologische Innovationen, doch in zehn bis zwanzig Jahren wird ein viel kleinerer Teil der Gesellschaft noch am Arbeitsmarkt partizipieren. Wenn sich dann wieder ein gefährliches Virus verbreitet, könnte die Coronapandemie seit 2020 nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen sein.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.