Wie rechts wird Österreich nach den Wahlen?

Symbolbild: Ade Lukmanul Hakimmm / Shutterstock.com

Die heiße Phase des Wahlkampfs hat begonnen. Eine wichtige Rolle spielt Neid, aber nicht auf Reiche. Reizthema: Migration. Ein kommentierender Überblick.

Ungewöhnlich viele Parteien treten am 29. September zu den Nationalratswahlen an, die wohl zu dem gewöhnlichen Ergebnis einer konservativen Mehrheit führen werden. Die Frage scheint einzig zu sein, wie rechts wird Österreich nach den Wahlen werden.

Der sichere Wahlsieger, FPÖ-Chef Herbert Kickl, ist für seine Verhältnisse ruhig geworden, weil er auf den letzten Metern seinen Erfolg nicht mit zu lautstarkem Poltern verplempern will. Ohnehin spielt ihm der öffentliche Diskurs aktuell in die Karten.

Migration als Reizthema: Der Neid auf syrische Großfamilien

Skandal-Thema der sommerlichen Saure-Gurken-Zeit war eine neunköpfige syrische Familie in Wien, die insgesamt 6.000 Euro an sozialen Transferleistungen erhält. Die Wiener ÖVP fragte noch vor Kickl die SPÖ und ihren Parteivorsitzenden Andreas Babler: "Ist das gerecht?" Schließlich würde sich mit Arbeit (in der Diktion der ÖVP "Leistung") kaum ein Monatsgehalt von 6.000 Euro erwirtschaften lassen.

Herbert Kickl muss bei solchen Kampagnen der konservativen Volkspartei und der konservativen Medien des Landes nur im Sessel sitzen und grinsen. Diese Art propagandistischer Zuspitzung wird letztlich einzig seiner stramm rechten FPÖ nützen, die bei der Kombination Neid und "Ausländer" immer automatisch vorne liegt.

Sachlich erörtert, müsste erwähnt werden, dass Maßnahmen wie jene der Mindestsicherung selbstverständlich allen notleidenden Menschen in Österreich zustehen und nicht nur syrischen Familien und dass ein großer Teil der Hilfsleistungen unmittelbar weitergeleitet wird.

Beispielsweise ist der größte Kostenposten die Miete, die diese Wiener Familie zu zahlen hat. Mithin alles Gelder die nicht nach Damaskus überwiesen werden, sondern sogleich wieder im österreichischen Wirtschaftskreislauf landen und von denen Österreicher profitieren.

Wahlversprechen: Keine neuen Steuern für Migranten

Mit dieser Argumentation ist aber kein Durchkommen. Jahrzehntelange rechtspopulistische Zuspitzung hat das Debattenklima vergiftet. Herbert Kickl versteht diese Stimmung gut zu nutzen und setzt aufs Thema Steuern. Mit ihm werde es keine Steuererhöhungen geben und das allein kommt schon gut an.

Verbunden mit dem mitgedachten Argument, die Steuergelder erhalten dann ja doch nur die faulen Syrer, ist der FPÖ Populismus des "Wir zahlen für die" nahezu unschlagbar. Ein Kniff, den Rechtsextremisten übrigens bereits vor dreißig Jahren in Ostdeutschland ausgepackt haben. Aber warum sich etwas Neues ausdenken, wenn die alten Zuspitzungen ziehen?

Ansonsten braucht Herbert Kickl kein weiteres Geld vom Steuerzahler, weil er soziale Ausgaben und überhaupt staatliche Aufgaben zurückfahren will. Die teure Umwelt- und Klimapolitik hält er ohnehin für reine Ideologie.

Der Widerspruch, dass der selbsternannte Anwalt des kleinen Mannes ebendiesem das Leben noch schwerer machen wird (die meisten Menschen in Österreich sind auf die eine oder andere Weise auf soziale Transferleistungen angewiesen), überhören die meisten FPÖ-Wähler geflissentlich.

Die anderen Parteien beißen sich deshalb an der FPÖ meist die Zähne aus. Nicht unähnlich wie bei der deutschen Auseinandersetzung mit der AfD nützt es anscheinend wenig, rechten Parteien ihre Inkonsequenz und Widersprüche vorzuhalten. Sie werden gewählt, auch wenn dies den eigenen Wählern objektiv schadet.

Sozialdemokratische Themen im Abseits?

Die SPÖ kann kein glaubwürdiges sozialdemokratisches Reformprojekt präsentieren, das die eigene Basis mobilisiert und über die Grenzen der Partei hinausstrahlt. Die Wahlkampagne "Mit Herz und Hirn für ein besseres Österreich" wirkt herz- und hirnerweichend generisch. In den Augen der Öffentlichkeit sind das alles so Sachen, die Sozialdemokraten halt so sagen: Mehr Geld für Kinder etc.

Dabei hat die Partei eine umfangreiche, inhaltliche Vorbereitung durchlaufen und ein Wahlprogramm mit viel Expertenwissen vorgelegt. Daraus ließen sich bislang aber keine griffigen Themen filtrieren, die eine den Sozialdemokraten eher ablehnend gegenüberstehende Medienöffentlichkeit zu diskutieren begonnen hätte.

Die Roten wehren derweil nur Vorwürfe der anderen Lager ab. Eigene Skandale, wie jene des Linzer SPÖ-Bürgermeisters, der dem ihm genehmen Kandidaten für die Leitung des bedeutenden Linzer Brucknerhauses die Fragen des Hearings vorab übermittelte, sind hier nicht hilfreich. Statt frischem Wind kaut man auf rotem Filz.

Das strategische Problem für die SPÖ? Es gibt keinen erkennbaren "Path to Victory", nach dem US-amerikanische Parteistrategen stets so verbissen suchen. Selbst wenn die SPÖ ein unerwartet gutes Wahlergebnis hinlegen würde, bräuchte sie Koalitionspartner.

Rot-grüne Mehrheit wohl ausgeschlossen

Aufgrund der relativen Lagerstabilität, darf eine rot-grüne Mehrheit als ausgeschlossen gelten, weil dann auch die Grünen ein überirdisches Ergebnis einfahren müssten, was sie nicht tun werden, nach fünf Jahren trauriger Kompromisse mit der ÖVP.

Dann wäre nur mehr eine österreichische Ampel mit Grünen und den liberalen NEOS möglich, die zwar gesellschaftspolitisch denkbar wäre, fiskalpolitisch aber fast unmöglich erscheint.

Auch die NEOS schließen kategorisch neue Steuern, wie "Millionärssteuer" oder die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer im "Hochsteuerland Österreich" aus. Woher dann das Geld nehmen für soziale Verbesserungen, die die SPÖ plant?

Folglich braucht die SPÖ die ÖVP als Juniorpartner. Frühere Ankündigungen, eine starke SPÖ müsse die ÖVP nach Jahren schlechten Regierens endlich in die Opposition schicken, sind weitgehend verstummt. Wenn Parteichef Babler sagt, es gelte einen Kanzler Kickl zu verhindern, dann schneidet ihm dieser Satz längst ins eigene Fleisch, denn die österreichischen Wähler können die Wahlprognosen zusammenrechnen und kennen ihre Pappenheimer.

Volkspartei steht überraschend gut da

Für die ÖVP wäre es fraglos sehr unangenehm als Nummer zwei hinter FPÖ-Chef Kickl in der Regierung zu sitzen, aufgrund vieler, auch persönlicher, Verletzungen während der mit dem Ibiza-Skandal so fabulös gescheiterten letzten Koalition mit der FPÖ. Der ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer, der sich auf einen strengen Anti-Kickl Kurs festgelegt hat und den FPÖ-Parteivorsitzenden "rechtsextrem" nennt, müsste wohl zurücktreten.

Aber noch schlimmer wäre es für die ÖVP Nummer zwei hinter der SPÖ zu sein, weil es inhaltlich (Steuern, Soziales, Migration, Umwelt) so wenig Übereinstimmungen mit den Sozialdemokraten gibt.

Deswegen muss dem ÖVP-Wahlkampfspruch: "Die Mitte stärken" größte Schläue attestiert werden. Wer den FPÖ-Kanzler Herbert Kickl verhindern will, könnte meinen, trotz jahrzehntelanger wenig überzeugender und skandalreicher Politik, sei es am besten, die ÖVP zu wählen.

Denn wenn die Volkspartei zweitstärkste Kraft hinter der FPÖ wird, dann werden die Sozialdemokraten wohl aus staatspolitischer Verantwortung "zu Kreuze kriechen", ihre zarten Pflänzchen linker Forderungen und am besten auch gleich sich selbst vergessen und die österreichische Volkspartei ist da angekommen, wo sie seit drei Jahrzehnten hinwollte: an der Spitze einer "großen Koalition" aus ÖVP und SPÖ.

Mit der Warnung vor der blauen Gefahr durch die in Teilen rechtsextreme FPÖ könnte diese Koalition stabilisiert werden. Die Sozialdemokraten würden, wie zuvor die Grünen, darauf achten, dass die schlimmsten sozialen und ökologischen Grausamkeiten der streng wirtschaftstreuen ÖVP verhindert werden und alles bliebe beim Alten.

Dass dies aufgrund der Weltlage und der sich zuspitzenden Klimakatastrophe kaum mehr möglich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Das grüne Elend hat tiefliegende Gründe

Der kleine Noch-Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen, hat es sich am Boden liegend bequem gemacht. Sie treten mit dem bizarren Wahlkampfspruch an: "Wähl, als gäbe es ein Morgen". Ein Morgen für wen? Die Grünen müssen versuchen, ihre zäh errungenen Erfolge in der Umweltpolitik in Erinnerung zu rufen. Tatsächlich gelang manches, allerdings meist nur auf Ebene einer Symbol- und Ankündigungspolitik.

Nach harten Kämpfen mit der ÖVP konnte zuletzt endlich der von der EU geforderten Klimaplan vorgestellt werden. Der ist in vielem nicht mehr als die Ankündigung von Arbeitskreisen, aber immerhin. Das Problem für die Grünen?

Selbst wenn Erfolge erzielt werden konnten, wie beispielsweise bei der umweltfreundlichen Mobilität (Einführung des "Klimatickets" und mehr Geld für die Österreichische Bundesbahn), dann steht dies nie in Zusammenhang mit einem Umbau hin zu einer ökologischeren Wirtschaft, sondern sind Gnadenerlasse, zu denen sich die rein auf Wirtschaftswachstum gepolte ÖVP hinreißen ließ.

Der notwendige strukturelle Wandel weg von einer fossilen Wirtschaft zu einer nachhaltigen wird so auf die lange Bank geschoben. Die Grünen müssen aber froh sein, wenn zumindest dies möglich wird.

Als ihre Klimaministerin Leonore Gewessler dem EU-Renaturierungsgesetz trotz Ablehnung des türkisen Koalitionspartners in Brüssel zustimmte, wurde sie von der ÖVP wegen Amtsmissbrauchs angezeigt und soll vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt werden. Ein schlechteres Koalitionsklima ist kaum mehr denkbar.

Wenn Grüne in die Mitte wollen

Die grüne Bewegung ist durch die Koalition mit der ÖVP in einer ideologischen und strategischen Sackgasse gelandet. Angeblich hat die legendäre Mit-Gründerin der Grünen Freda Meissner-Blau ganz zu Beginn der Bewegung gesagt: "wir müssen die linken Fransen abschneiden", um in die gesellschaftliche Mitte wirken zu können.

Dieser Marschbefehl führte die Grünen seit den 1980er-Jahren in mehrere Landes- und die Bundesregierung, schadete der Partei aber auch beim Wuchs nach links und des dadurch erst möglichen gesellschaftlichen Wandels.

Generationen junger, engagierter, politischer Talente wendeten sich von der Partei ab und suchten sich eine andere politische Heimat (es scheint als seien alle KPÖ-Funktionäre unter Vierzig ehemalige Grüne).

Die scheinbare Unmöglichkeit, Regierungsverantwortung in Österreich zu übernehmen und trotzdem eine avanciert linke Politik zu machen, sagt möglicherweise weniger über die besondere Unfähigkeit der Grünen aus, als über das Wirken eines neoliberalen Regimes.

Kuriose Kleinparteien

In der Freakshow der Kleinparteien erhält die Krone der Absurdität, wenn die ehemals als "Wandel" bekannte Gruppierung jetzt als "Keine" antritt, denn Wortwitz geht bekanntlich über alles: "Welche Partei vertritt unsere Interessen? – Keine." Na dann einfach "Keine" wählen und das Lachen schallt bis zum Wahltag.

Wer Lust hat, bei diesem geistreichen Spiel mitzumachen: Auf österreichischen Stimmzetteln kann eine Partei mit maximal fünf Buchstaben aufgeführt werden, der Spiegelautor Hans-Peter Martin ("Die Globalisierungsfalle") trat seinerzeit deshalb als Matin (frz. der Morgen) an. Eigene Ideen einfach bei der österreichischen Wahlbehörde einsenden, denn Demokratie ist lustig.

Corona wirkt im Wahlkampf noch etwas nach. Alle bisherigen Versuche eine neue, meist sehr rechte Partei aus Maßnahmenkritikern zu etablieren schlugen weitgehend fehl, wohl weil sich die FPÖ immer noch geschickt auf das Thema Corona draufsetzt.

Die ehemalige Vorsitzende der Grünen, Madeleine Petrovic, tritt jetzt mit eigener Liste an. Sie will jene gewinnen, die die Corona-Maßnahmen falsch fanden, aber nicht die in Teilen rechtsextreme FPÖ wählen möchten. Ein weitgehend aussichtsloses Unterfangen, das aber den bereits geschwächten Grünen schaden wird.

Auch Populismus: Bierbrunnen statt früher Rente?

Die Bier-Partei wird antreten, die sogar gewisse Chancen aufgrund ihres populären Parteivorsitzenden Marco Pogo hat. Der Spaßpunker ist studierter Arzt und kann auch seriös. Seine Partei ist werbetechnisch jung und pfiffig und versucht den Weltrekord an Opportunismus zu brechen.

"Was würden unser Wähler und Wählerinnen sich vermutlich von uns wünschen? Na, das schreiben wir das einfach mal auf einen Bierdeckel" scheint das Credo ihres Wahlprogrammes zu sein. Interessant hierbei ist, dass die konsequente Konzept- und Prinzipienlosigkeit zu einem autoritären (es ist eine Ein-Mann-Partei) und recht neoliberalen Gemisch führt.

Die Bier-Partei will beispielsweise kein frühes Rentenantrittsalter und keine Arbeitszeitverkürzung. Kurios, bliebe doch mehr Zeit zum Biertrinken und zum Genuss jenes riesigen Bierbrunnens, den die Partei in einem früheren Wahlkampf den Wiener versprach aufzustellen.

Die Anbiederung an ein letztlich neoliberales Grundgefühl in Austria könnte realistisch sein und ist durchaus erfolgsversprechend. Der Einzug in den Nationalrat könnte also laut Umfragen gelingen. Nur sind solche Prognosen bei neuen Parteien sehr ungewiss und es könnte am Ende ein Leichtbier mit 2 Prozent dabei herauskommen.

Kommunisten setzen auf soziale Sachpolitik

Die stolze KPÖ tritt selbstverständlich an, das hat Tradition seit dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings weilen nur mehr wenige unter den Lebenden, die sich noch daran erinnern können, wie es war, als die KPÖ im Nationalrat war.

Aktuell ist die Stimmung unter den Parteimitgliedern aber: "Wenn nicht jetzt, wann dann?" Die KP unterscheidet sich von den anderen Kleinparteien, dass sie nicht anlassgebunden entstanden ist (Corona-Maßnahmen; Liste Madeleine Petrovic) oder aus einer Bierlaune heraus.

Die Kommunisten feierten in den letzten Jahren Erfolge durch eine konsequente und überzeugende Sozialberatung. Das Einkommen ihrer Abgeordneten ist auf Höhe eines Facharbeitergehaltes gedeckelt, der Rest ihrer Gehälter steht sozialen Projekten oder der Partei für den Aufbau ihrer Strukturen zur Verfügung.

Als Hauptthema stellte sich bald die Mietberatung heraus. Insbesondere in urbanen Räumen sind die Mieten in Österreich erschreckend hoch. In Salzburg unterlag die KPÖ nur knapp der SPÖ beim Kampf um den Bürgermeistersessel, in Graz stellt die KPÖ mit Elke Kahr die Bürgermeisterin. Neben dem Erfolg die Bürgermeisterin in Österreichs zweitgrößter Stadt zu stellen, schaffte die steirische KPÖ auch den Einzug in den Landtag.

Prognose: Wahlkampf bunt und ergebnislos

Elke Kahr und die steirische KPÖ sind somit eine "normale" Partei, die über die in Österreich üppige Parteienfinanzierung verfügt. Die Steirer versprachen diesmal, anders als in früheren Nationalratswahlkämpfen, sich für die im Vergleich winzige Bundespartei zu engagieren, womit die Chancen der KPÖ höher sein dürften.

Der Wahlkampf in Austria verspricht, bunt und ergebnislos zu werden. Die Reformkräfte haben ihre Energien auf zu viele Projekte zerstückelt, der Medienboulevard wird mithelfen, dass die immergleichen Themen durchgekaut werden und das hilft – wie immer – den etablierten Kräften.