Windenergie: Tritt Schleswig-Holstein ein wenig auf die Bremse?

Die Energie- und Klimawochenschau: Von schwedischen Musterschülern, koalitionswilligen Grünen und dem Protest der argentinischen Mapuche gegen Fracking

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Schweden macht den Klima-Vorreiter. Vergangene Woche stimmte das dortige Parlament einem Gesetzespaket zu, das das Land bis 2045 frei von allen (netto) Treibhausgasemissionen machen soll. Das berichtet unter anderem die Deutsche Welle.

Demnach müssen die Regierungen des skandinavischen Landes künftig jedes Jahr ein Fortschrittsbericht vorlegen und alle vier Jahre einen Aktionsplan erneuern, der schließlich zum gewünschten Ziel der Treibhausgasneutralität führen soll. Außerdem wird ein unabhängiger Expertenrat geschaffen, der die getroffenen Maßnahmen analysiert und darüber wacht, dass das Land auf dem eingeschlagenen Weg bleibt.

Verglichen mit dem deutschen Ziel, das bisher zwar von verschiedenen Regierungen wiederholt wurde, aber noch immer nicht gesetzlich fixiert ist, sieht das schwedische Vorhaben besonders fortschrittlich aus. Um 80 bis 95 Prozent gemessen am Niveau von 1990 sollen die hiesigen Emissionen bis 2050 reduziert sein.

Da hört sich 100 Prozent bis 2045 deutlich besser an. Allerdings sollen nur 85 Prozent davon im Inland geschafft werden. Die restlichen 15 Prozent will man durch Maßnahmen im Ausland erreichen. Ob diese dann jedoch tatsächlich zu einer Minderung der globalen Emissionen beitragen, muss sich erst noch zeigen. Der Verkauf der Kohlesparte des Staatskonzerns Vattenfalls im vergangenen Jahr hat jedenfalls sicherlich die schwedische, aber nicht die globale Treibhausgasbilanz verbessert.

Schweden wird derzeit von einer Minderheitsregierung regiert. Sozialdemokraten und Grüne, die beiden Regierungsparteien, verfügen nur über 138 der 349 Sitze im Stockholmer Reichstag. Allerdings stimmten dem Klima-Gesetzespaket sowohl die bürgerlichen Oppositionsparteien als aus die dortige Linkspartei (Vänsterpartiet) zu. Nur die rechtsradikalen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna) waren dagegen.

Weniger Windenergie?

Unterdessen hat am Montag der Koalitionsvertrag des schleswig-holsteinischen Jamaika-Bündnisses eine erste Hürde genommen. Der Landesparteitag der Grünen empfahl den Mitgliedern mit Zwei-Drittel-Mehrheit in der nun bis nächste Woche laufenden Befragung für die Koalition zu stimmen, wie der NDR berichtet.

Energiepolitisch hat der Vertrag viel Lyrik zu bieten, aber verspricht auch einiges an künftigem Konfliktpotenzial. So sollen die Abstände neuer Windkraftanlagen zu Siedlungen und einzelnen Wohnhäusern leicht vergrößert werden. Geplant sind "(...) dreifache Anlagenhöhe bis Rotorblattspitze, bei Siedlungen fünffache Anlagenhöhe (...), so dass der Abstand zu einer 200 Meter hohen Anlage im Außenbereich 600 Meter (vorher 400 Meter) und bei Siedlungen 1.000 Meter (vorher 800 Meter) beträgt".

Der Bundesverband Windenergie BWE ist alarmiert, aber die Koalitionspartner versprechen, auch weiter zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie zur Verfügung zu stellen. BWE-Landesgeschäftsführer Marcus Hrach sieht dennoch die Ausbauziel für die Windenergie in Schleswig-Holstein gefährdet. Andererseits erkennt der BWE an, dass der Vertrag die "Relevanz der Windenergie für Schleswig-Holstein" anerkenne. Die tatsächliche Umsetzung bleibe aber zunächst offen.

Zweifel kommen auf, wenn als Ausbauziel bis 2025 zehn Gigawatt (GW) an Windkraftleistung vorgegeben wird. Ende 2016 waren bereits knapp 6,5 GW im Land zwischen den Meeren installiert. Davon waren 0,65 GW allein 2016 hinzugekommen. In den Vorjahren hatten es ähnliche Zuwächse gegeben. Die neue Zielvorgabe bedeutet also eine Verlangsamung des Ausbaus.

Immerhin scheinen sich die Koalitionäre aber in der Unterstützung des sogenannten Repowerings einig zu sein, das heißt, im Ersatz von Altanlagen durch inzwischen wesentlich leistungsfähigere. Das würde zum einen bedeuten, dass der Bruttoausbau in den nächsten neun Jahren deutlich über den 3,5 GW liegt, die sich ergeben, wenn der Ist-Zustand von der Zielvorgabe abgezogen wird. Zum anderen könnte der Anlagen Zuwachs so gedämpft werden, da wenige neue Großanlagen viele alte Kleinanlagen ersetzen.

Nach Angaben auf der Internetpräsenz des Kieler Umweltministeriums konnte das Land 2015 seinen Strombedarf rechnerisch zu 115 Prozent mit erneuerbaren Energieträger decken. Da in dem Bundesland auch noch Kohlekraftwerke und das AKW Brokdorf laufen (voraussichtlich noch bis Ende 2021) ist es seit langem Stromexporteur. Damit das auch so bleibt, hatte die abgewählte Regierung aus SPD, SSW und Grünen einst beschlossen, bis 2025 den Stromeigenbedarf zu 300 Prozent mit Erneuerbaren zu decken.

Das Ziel findet im neuen Koalitionsvertrag allerdings keine Erwähnung und bei CDU und FDP ist nach ihrer Rolle in der Opposition eher zu erwarten, dass sie diesbezüglich gerne die Handbremse anziehen würden. Immerhin erwähnt der Vertrag allerdings die wichtige Rolle der Erneuerbaren für die Wirtschaft im Land zwischen den Meeren, das noch immer vom Niedergang der Werftindustrie und anderer großer Betriebe der Metallverarbeitung leidet und mit seinen vielen Küsten und der Grenzregion schwere Strukturprobleme hat.

Nach Ministeriumsangaben waren 2015 in Schleswig-Holstein rund 18.400 Beschäftigte im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig. 12.200 in der On- und Offshore-Windindustrie, 5.100 in der energetischen Nutzung von Biomasse, 700 im Bereich der Photovoltaik und zusammen 400 auf den Feldern Solar- und Geothermie.

Argentinier protestieren gegen Fracking

Fracking, das Extrahieren von Gas aus Gesteinsporen mittels eines Chemie-Wasser-Sand-Ccocktails und viel Druck, trifft auch in Argentinien auf den Widerstand der Betroffenen in der Nachbarschaft der Förderanlagen. Die Aktivistenplattform Waging Nonviolence berichtet, dass einerseits der Präsident des Landes Mauricio Macri die US-Industrie auf einer Veranstaltung in Houston, Texas, hofierte und nach Argentinien einlud, um ihre Technik auch dort zur Förderung per Fracking einzusetzen.

Andererseits habe aber die Provinz Entre Rios, nördlich von Buenos Aires an der Grenze zu Uruguay gelegen, die Ausbeutung mit Fracking-Methoden verboten. Andernorts, in der Provinz Neuquen südwestlich von Buenos Aires am Westhang der Anden gelegen, werde bereits gefördert. Die betroffene Bevölkerung leistet dagegen zum Teil Widerstand. Eine Stadt hatte bereits versucht, Fracking auf ihrem Territorium zu verbieten, wogegen allerdings die dortige Provinzregierung erfolgreich klagte.

Die Mapuche ein altes indigenes Volk, das in Chile und Argentinien lebt, bezeichnen die in Neuquen für ihre Ländereien vergebenen Förderlizenzen als illegal. Seit Jahrzehnten wehren sich die einstigen Herren des Landes beiderseits der Grenze gegen Bergbaukonzerne, Staudämme und Endwaldung in ihren Siedlungsgebieten.

Aber es geht um viel Geld. Rex Tillerson, inzwischen US-Außenminister, hatte 2016 in seiner damaligen Funktion als ExxonMobil-Chef angekündigt, sein Unternehmen könnte in Neuquen zehn Milliarden US-Dollar investieren.

Etliche tausend Kilometer weiter nördlich haben währenddessen Umweltschützer und Indigene den Kampf gegen die Dakota Access Pipeline, die Fracking Öl durch ein wichtiges Trinkwasserreservoir in die Verbrauchszentren pumpen soll, noch nicht ganz aufgegeben.

Nach einem Bericht des Washingtoner Examiners muss die Umweltverträglichkeitsprüfung für den besonders strittigen Trassenabschnitt wiederholt werden, weil die Folgen eines etwaigen Öllecks nicht ausreichend untersucht worden seien. Die Pipeline wird allerdings inzwischen schon benutzt, woran auch das neue Urteil vorerst nichts ändert.

Fortschritt trotz Trump

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche. Auch in den USA nimmt der Anteil von Solar- und Windenergie an der Stromproduktion zu, allen Querschüssen gegen das schwachbrüstige internationale Klimaschutzabkommen aus Washington zum Trotz.

Die Energie-Informationsbehörde der US-Regierung (EIA) berichtet, dass im März landesweit erstmals zehn Prozent des Stroms von den beiden erneuerbaren Energieträgern geliefert wurde. 2016 habe ihr Anteil übers Jahr gerechnet sieben Prozent betragen.

Bild: EIA

Der meiste Strom aus Windkraft wurde in Texas erzeugt, während der Bundesstaat Kalifornien bei der Solarenergie führt. In der USA waren am Jahresende 2016 gut 82 GW an Windkraftleistung installiert. Der Zuwachs hatte rund 7,8 GW betragen.

Hinzu kommen Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von rund 43 GW. Die Anlagenpreise seien in den letzten 12 Monaten um 19 Prozent gefallen, heißt es beim Branchenverband SEIA. Im ersten Quartal seien bereits etwas über zwei GW installiert worden.

Und dann wäre da noch der schrittweise Ausstieg aus der Atomkraft, den Südkoreas neuer Präsident Moon Jae-in eingeleitet hat. Am Sonntag wurde dort Kori 1, der älteste Reaktor des Landes dauerhaft vom Netz genommen. 40 Jahre hatte er auf dem Buckel, für 30 Jahre war er ursprünglich ausgelegt gewesen. Im Februar hatte bereits ein Gericht die Laufzeitverlängerung eines anderen Reaktors kassiert.

Unklar ist noch, ob auch die Arbeiten an den im Bau befindlichen Reaktoren eingestellt werden, wie Moon andeutete. Ansonsten wurde hier schon an anderer Stelle über Südkoreas Atomausstieg berichtet.

Nach den Daten der Internationalen Atomenergieagentur IAEA sind bereits 90 der 449 weltweit laufenden Reaktoren 40 Jahre oder älter. Die sechs ältesten noch im Betrieb befindlichen bringen es bereits auf 48 Jahre Laufzeit. Die in Deutschland noch laufenden Anlagen wurden alle in den 1980ern in Betrieb genommen. Die ältesten Anlagen in Belgien, die auch hierzulande des öfteren für Schlagzeilen sorgen, laufen bereits seit 1974 bzw. 1975, mithin seit 42 und 43 Jahren.