Wird Covid-19 auf der Nordhalbkugel im Sommer wie Influenza verschwinden?

Bild: NIAID/CC BY-2.0

Nach einer Studie gibt es keine Hinweise, dass Breitengrad, Temperatur oder Feuchtigkeit wie bei der Grippe eine Rolle spielen, aber Sars-CoV-2 dürfte die Weltgesellschaft bis 2021 mindestens beschäftigen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man nimmt gerne und beruhigender Weise an, dass Covid-19-Infektionen ähnliche wie die Grippe während des Sommers durch Wärme. Sonne und Aufenthalt im Freien abnehmen oder auch verschwinden wird, um dann im Herbst, wenn auch die nächste Grippewelle heranrollt, erneut in größerem Maße auszubrechen. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, hatte Ende April auf die Gefahr einer möglichen zweiten, stärkeren Welle nach dem Abklingen über den Sommer hingewiesen und dabei den Vergleich mit der Spanischen Grippe gezogen.

Im NDR-Podcast am 16. April sagte Drosten bei der Erörterung der Lockerungsmaßnahmen, es werde etwa neben einer Maskenpflicht einen "kleinen Zusatzeffekt über die Saisonalität geben", der die Ausbreitungsgeschwindigkeit verlangsamt, bis es zu einer möglichen Winterwelle kommen kann. Die Hoffnung sei, dass es bis dahin erste Medikamente geben könnte. Im Sommer könne man "viel lüften und draußen sein", was dem Virus gewissermaßen nicht gefällt. Drosten warnt mit Bezug auf die Spanische Grippe in amerikanischen Großstädten, dass diese wie Covid-19 in der erste Welle, die ebenfalls im Frühjahr auftrat, sehr unterschiedlich lokal verteilt war:

Dann ging es in den Sommer rein und man hatte dort offenbar einen starken saisonalen Effekt. Und man hat die Krankheit gar nicht mehr bemerkt. Und unter der Decke dieses saisonalen Effektes - da können wir vielleicht uns jetzt auch vorstellen, unter der Decke der sozialen Distanzierungsmaßnahmen, die im Moment in Kraft sind - hat sich diese Erkrankung aber unbemerkt viel besser gleichmäßig geografisch verteilt. Und als man bei der Spanischen Grippe dann in eine Winterwelle gekommen ist, war die Situation auf einmal ganz anders. Dann sind Infektionsketten an allen Orten gleichzeitig losgegangen, weil sich das Virus überall unbemerkt verteilt hatte und man nicht drauf geachtet hatte. Das ist natürlich ein Effekt, der sich auch in Deutschland einstellen wird.

Christian Drosten

Das werde auch dann geschehen, wenn die Reproduktionszahl unter 1 liegt. Das bedeute nicht, dass sich die Infektion nicht weiter ausbreitet, man könne jetzt schon sehen, dass sich die lokale Clusterung langsam auflöse und die Viren sich nun überall verteilen: "Plötzlich würde man sich wundern, dass das Virus doch überall gleichzeitig startet. Es ist natürlich eine ganz andere Wucht, die so eine Infektionswelle dann hätte."

Soziale Maßnahmen machen den Unterschied, Jahreszeiten spielen keine Rolle

Es können also viele Faktoren zusammen kommen, die saisonale Abschwächung der Verbreitung im Sommer bezeichnete Drosten als schwach. Andere Virologen gehen ebenfalls davon aus, dass dieser Effekt nicht sonderlich groß ist. Im Hintergrund der Sommerhoffnung für den Norden steht auch, dass die Infektion sich im Sommer von der nördlichen Hemisphäre zurückzieht und sich auf die südliche Halbkugel verlagern könnte, wo es dann Winter ist. Kanadische Wissenschaftler haben nun mit globalen Daten untersucht, ob Temperatur und Breitengrad die Ausbreitung des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 begünstigen oder bremsen können.

Zur Analyse herangezogen wurden 144 geopolitische Gebiete auf der ganzen Welt, als es bis Ende März erst nur 375.600 Infizierte weltweit gab. Ausgeschlossen wurden China, Italien, Iran und Südkorea, weil zu der Zeit die Pandemie bereits verschwand oder gerade voll am Ausbrechen war. Zur Abschätzung des epidemischen Wachstums wurde die Zahl der Fälle vom 27. März mit der vom 20. März verglichen. Da die Fälle zeitverzögert um 14 Tage nach der Infektion auftreten, wurde der Einfluss der Temperatur, der geografischen Breite, der Feuchtigkeit, aber auch von Schulschließungen, Verbot von Massenveranstaltungen und verordneter sozialer Distanzierung auf die Zeit zwischen dem 7. und 13. März abgeschätzt.

Das Ergebnis bestätigt Hoffnungen auf einen saisonalen Effekt nicht. Es zeigte sich, dass es nur eine kleine oder keine Korrelation zwischen Breitengrad und Temperatur und der Ausbreitung von Covid-19 gab. Ein Zusammenhang mit der Feuchtigkeit war nur schwach. Die Wissenschaftler waren in einer ersten Untersuchung davon ausgegangen, dass es einen solchen Zusammenhang zwischen Temperatur und Virusausbreitung gibt: "Als wir dann die Studie unter strengeren Bedingungen wiederholten, erhielten wir ein gegensätzliches Ergebnis", sagt Mitautor Peter Jüni vom Institute for Health Policy, Management and Evaluation, an der University of Toronto.

Dagegen waren die anderen Maßnahmen, also Schulschließen, Verbote von Massenveranstaltungen und soziale Distanzierung wirkungsvoll. Jüni ist der Überzeugung, dass das Ergebnis der Studie für die Ländern interessant sein sollte, die sozialen Maßnahmen lockern wollen. "Der Sommer wird das nicht wegschaffen", warnt die Epidemiologin und Mitautorin Dionne Gesink. "Es ist wichtig, dass die Menschen das wissen … Die öffentlichen Gesundheitsinterventionen sind wirklich wichtig, weil sie jetzt die einzigen Mittel sind, die die Epidemie verlangsamen." In der Studie schreiben die Wissenschaftler, es gebe in einem multivariablen Modell eine starke Korrelation mit der Zahl der eingeführten sozialen Maßnahmen, aber hier auch keine mehr mit Feuchtigkeit.

Drei mögliche Szenarien

Eine Studie des Center for Infectious Disease Research and Policy (CIDRAP) an der University of Minnesota vergleicht Grippewellen mit der Covid-19-Pandemie, um Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.

Ähnlichkeiten gebe es zwischen Sars-CoV-2 und einem pandemischen Influenzavirus, weil in beiden Fällen die Weltbevölkerung keine bestehende Immunität besitzt. Beide werden vorwiegend über Tröpfchen aus den Atemwegen übertragen, in beiden Fällen auch durch asymptomatisch Infizierte. Beide Viren können Millionen infizieren und schnell um die Erde wandern.

Unterschiede gibt es in der Inkubationszeit. Grippe bricht bereits nach zwei Tagen aus, Covid-19 erst nach 5 Tagen. Das macht Covid-19 gefährlicher, weil es sich länger unbemerkt ausbreiten kann. Während der Anteil der asymptomatisch Infizierten bei der Grippe um die 16 Prozent geschätzt wird, liegt er bei Covid-19 bei 25 Prozent, könnte aber auch höher sein. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Covid-19 die Viruslast zu Beginn der Infektion am höchsten ist, also bevor sich Symptome zeigen.

Die Wissenschaftler stellen drei Szenarien für die Weiterentwicklung der Covid-19-Pandemie auf der Grundlage des Wissens über Grippepandemien heraus, gehen aber davon aus, dass wir noch mindestens 18 Monate damit beschäftigt sein werden, wobei Infektionsherde global verstreut immer wieder auftreten.

Nach dem Szenario 1 könnte der ersten Welle im Frühling eine Reihe kleinerer Wellen im Sommer und bis zu 1-2 Jahren folgen, um schließlich 2021 schrittweise auszulaufen. Hier müssten Eindämmungsmaßnahmen je nach Stärke immer wieder eingeführt und gelockert werden.

Nach Szenario 2 könnte im Herbst oder Winter eine größere Welle mit nachfolgenden kleineren Wellen 2021. Das ähnele dem Verlauf der Spanischen Grippe, aber auch der Grippewelle 1957-58 oder 2009-2010 und würde wieder die Einführung von Eindämmungsmaßnahmen verlangen, damit die Gesundheitssysteme nicht überwältigt werden.

Und nach Szenario 3 könnte der ersten Welle auch ein schwächerer Verlauf ohne erkennbares Muster folgen. Hier wären die Wiedereinführung der Eindämmungsmaßnahmen nicht erforderlich, aber es komme zu neuen Infektionen und weiteren Todesfällen.

Welches Szenario sich auch immer einstellen werde, so sei es wahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 sich weiter in der Weltbevölkerung verbreitet, sich mit Jahreszeiten wie Grippe synchronisiert und mit der Zeit an Gefährlichkeit abnimmt, wie dies bei anderen Coronaviren wie den Betacoronaviren OC43 und HKU1 oder Influenzaviren geschehen ist. Was wissen wir damit? Man wird abwarten müssen, wie sich Covid-19 entwickelt und wie sich die Gesellschaften damit einrichten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.