Wollen wir wirklich die maximale Katastrophe?

Seite 2: Wo bleibt der fürsorgende Staat für die Bürger:innen?

Auch im vergleichsweise stabilen Powerhouse der EU, in Deutschland, das die europäische Wirtschaftskrise durch Outsourcing der Kosten auf die Eurozonen-Peripherie einigermaßen gut überstehen konnte und sogar in manchen Aspekten von der Schwächung der anderen Länder profitierte, wird das Leben Stück für Stück ungemütlicher für die, die nicht über Vermögen, gutes Einkommen oder Kapital verfügen.

Altersarmut, Niedriglohn und unwürdige Arbeitsverhältnisse, Mietkrise in den Städten, fehlende oder dysfunktionale Infrastrukturen insbesondere in abgehängten Vierteln bilden einen Nährboden für Dauer-Frust. Auch die Mittelschichten sind längst in den Strudel von Auszehrung und Überforderung geraten.

In dieser Situation gießen Energiekrise und Inflation im Zuge der Covid-19-Pandemie, des Ukraine-Kriegs und steigender Lebensmittelpreise Öl ins Feuer. Die Preissteigerung könnte ab September noch weiter anziehen, in Deutschland wird dann eine Teuerungsrate von zehn Prozent erwartet. In ganz Europa und vielen anderen Staaten sieht es nicht besser, eher schlimmer aus.

Es droht eine zum Teil extreme Belastung für viele Haushalte, vor allem, da die Energiepreise – die alle treffen und denen man nur bedingt ausweichen kann – im Moment nur eine Richtung kennen: nach oben. Die Gaskosten für Verbraucher haben sich bereits nach Angaben des Vergleichsportals Verivox verdreifacht, und das ist nicht das Ende der Fahnenstange. Zudem steigen viele Mieten, da Indexmietverträge an die Inflation gebunden sind. Explodierende Mieten von bis zu 15 Prozent mehr im Monat plus explodierende Nebenkosten: eine toxische Mischung. Die Politik schaut von der Seitenlinie aus zu.

Dabei muss man im Hinterkopf haben, dass die allgemeine Kaufkraft in Deutschland bereits seit dreißig Jahren stagniert, wie eine Auswertung der Daten des Statistischen Bundesamtes zeigt, während die Einkommen und Vermögen der reichsten Schichten zugenommen haben. Jetzt geht die Kurve im Krisenmodus sogar nach unten. Die Löhne sind aufgrund der Preissteigerungen im ersten Quartal dieses Jahres real um 1,8 Prozent gesunken. Im Corona-Krisenjahr 2020 gab es bereits ein Minus von 1,1 Prozent.

Die Bundesregierung hat auf die aktuelle Energiekrise mit einer Gasumlage für Unternehmen reagiert, die auch denen zu Gute kommen soll, die sich gar nicht in einer Krise befinden, während die Bürger:innen dafür zahlen sollen. Wen wundert es, als nun herauskam, dass Energiekonzerne und Ratingagenturen wohl an der Umlage mitgewirkt haben, ja die Idee dazu erst aufbrachten. Es ist nicht neu, dass die Profiteure an den für sie günstigen Gesetzen selbst mitschreiben dürfen, wie man an der Billionen Dollar schweren globalen Bankenrettung gut studieren kann.

Für die Bürger:innen, die echte Not leiden, gibt es bisher lediglich eine eher symbolische Energiepauschale von einmalig 300 Euro, die zudem meistens noch besteuert werden muss. Die Ungerechtigkeit ist derart offensichtlich und spürbar, dass öffentlicher Druck die Ampelkoalition schließlich dazu zwang anzukündigen, "bald" ein Entlastungspaket vorzulegen. Man darf gespannt sein, was der Regierung einfällt. Vielleicht ein Förderpaket in der Dimension, wie man es im Hauruckverfahren für Militär und Rüstung zusammenschnürte: 100 Milliarden Euro an Sondervermögen für die Bundeswehr, dazu eine massive Aufstockung des Verteidigungsbudgets? Das wäre mal was.

Angesichts des bisherigen Krisenmanagements darf man sich nicht wundern, dass laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA 65 Prozent der Deutschen unzufrieden sind mit der Arbeit der Bundesregierung. Es ist nicht zu erwarten, dass der "Winter der Verzweiflung", gekoppelt mit möglichen Maßnahmen gegen eine neue Pandemie-Welle, diese Werte positiv beeinflussen wird – wenn nicht sozial entschlossen gegen gesteuert wird.

Wie gesagt, Inflation und Energiekrise lösen weit höhere Belastungen in den Staaten aus, die schlicht nicht fähig sind wie Deutschland, die Kostensteigerungen aufzufangen – ganz zu schweigen von Ländern des Globalen Südens, die mit den Pandemie-Effekten, der Nahrungsmittelkrise und Energiepreisrally allein gelassen werden. Auch das macht die Welt nicht sicherer, schon gar nicht humaner.